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Wie Erwachsene in Görlitz zur Musik finden

Es ist schon seit Jahren ein Trend. An den Musikschulen lernen außer Kindern und Jugendlichen auch viele Erwachsene ein Instrument – auch wenn Lehrer knapp sind.

Von Ines Eifler
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Corina Noack gehört zu den 250 Erwachsenen, die - neben vorwiegend Kindern und Jugendlichen - an der Görlitzer Musikschule am Fischmarkt Unterricht nehmen. Klavier lernt sie bei Johannes Menzel.
Corina Noack gehört zu den 250 Erwachsenen, die - neben vorwiegend Kindern und Jugendlichen - an der Görlitzer Musikschule am Fischmarkt Unterricht nehmen. Klavier lernt sie bei Johannes Menzel. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Für Musikpädagogen wie Johannes Menzel, Matthias Hahn oder Ljudmila Büchner ist es längst selbstverständlich, dass sie nicht nur Kinder und Jugendliche ausbilden, sondern auch viele Erwachsene.

"Und es werden zunehmend mehr", sagt Johannes Menzel, der an der Görlitzer Musikschule Johann Adam Hiller am Fischmarkt und an der Kreismusikschule Dreiländereck in Niesky seit vielen Jahren Klavier unterrichtet. "Ein Drittel meiner Schüler sind Erwachsene, alle über 40 Jahre alt", sagt er. "Viele verwirklichen sich einen Kindheitstraum, indem sie Instrumentalunterricht nehmen." Andere wollten auch in höherem Alter noch einmal etwas Neues lernen. Und für viele erfülle Musik das Bedürfnis, etwas für sich selbst zu tun.

Kindheitstraum erfüllt

Seine Schülerin Corina Noack zum Beispiel wollte immer schon ein Instrument lernen, aber in ihrer Kindheit kam es nicht dazu. Dafür sang sie zehn Jahre im Chor und lernte während ihrer Ausbildung zur Erzieherin Gitarre. Als ihre Tochter nach mehreren Jahren an der Musikschule das Klavierspielen aufgab, übernahm sie deren Vertrag und kam so zu Johannes Menzel.

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"Es geht zwar langsam voran, auch weil ich als Kind nicht richtig gelernt habe, Noten zu lesen", sagt die 44-Jährige, "aber ich bin froh, dass ich mich dafür entschieden habe." Als sie vor zwei Jahren mit Klavier anfing, pflegte sie noch ihren Großvater und suchte in der Musik einen Ausgleich. Nach seinem Tod blieb sie dabei. "Heute habe ich mehr Zeit zum Üben und den Kopf frei dafür."

Wartelisten für Klavierunterricht

Corina Noack gehört zu den 250 erwachsenen von insgesamt über 1.200 Musikschülern an der Musikschule am Fischmarkt. Davon ist ein Fünftel über 60 Jahre alt. Besonders für Klavierunterricht gibt es teilweise Wartelisten, vor allem für Interessenten, die mitten im Schuljahr neu einsteigen möchten – egal ob Kinder oder Erwachsene. Weil die Lehrer gut gebucht und die Stundenpläne dicht getaktet sind, ist ein Einstieg meist frühestens zum Beginn des neuen Schuljahrs möglich.

Reinhard Tscheschel (l.) hat sich mit über 60 dazu entschieden, bei Matthias Hahn (r.) an dessen Musikschule "Time2groove" Schlagzeug zu lernen, um den Rockstars der 1960/70er nahe zu sein.
Reinhard Tscheschel (l.) hat sich mit über 60 dazu entschieden, bei Matthias Hahn (r.) an dessen Musikschule "Time2groove" Schlagzeug zu lernen, um den Rockstars der 1960/70er nahe zu sein. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Wartelisten kennt auch Matthias Hahn, der in seiner Musikschule "Time2groove" gern noch mehr Lehrer beschäftigen würde, um alle Schüleranfragen positiv beantworten zu können. Bei ihm zählen von Beginn an, seit der Eröffnung 2003 Erwachsene zu seinen Schülern. Wie bei Johannes Menzel machen sie heute auch bei ihm ein Drittel aus. "Einige suchen einen Ausgleich zum beruflichen Alltag, vor allem, wenn die Kinder aus dem Haus sind und wieder mehr Zeit für anderes ist", sagt er. "Andere suchen sich gezielt am Ende ihres Arbeitslebens eine aktive Freizeitbeschäftigung."

Rockmusik: früher gehört, heute selbst gespielt

Dazu gehört Reinhard Tscheschel, der bei den Görlitzer Stadtwerken arbeitete und wenige Jahre vor der Rente begann, Schlagzeug zu lernen. "Ich hatte es als Junge schon mal versucht, doch später fehlte mir die Zeit dazu." Als seine Kinder ihm ein paar Schnupperstunden bei Matthias Hahn schenkten, begann er Unterricht am Drumset zu nehmen. "Und es hat Spaß gemacht", erzählt der heute 67-Jährige, "so bin ich dabei geblieben."

Tscheschel hat sein Leben lang gern Musik gehört, in seiner Jugend bei schlechtem Radioempfang Rockgrößen wie die Rolling Stones, Led Zeppelin, CCR (Creedence Clearwater Revival) oder Deep Purple. Die Liebe zur Rockmusik ist geblieben, nur dass Reinhard Tscheschel sie heute zusammen mit ein paar Freunden selber nachspielt und beim Drummer Day oder der Time2groove-Sommerparty am Berzdorfer See schon mehrmals aufgetreten ist.

Musik kann Therapie sein

Erwachsene Musikschüler gehören auch für die Klavierlehrerin Ljudmila Büchner, die trotz Ruhestandes noch an drei Tagen pro Woche voll unterrichtet, seit vielen Jahren dazu. Nur etwa die Hälfte ihrer Schüler sind Kinder und Jugendliche. "Meine erste Seniorin kam Anfang der 1990er zu mir und sagte: 'Ich heiße Gerda und möchte wieder Unterricht nehmen!'." Es sei faszinierend gewesen, wie diese ältere Dame aufblühte, als sie ihr Klavierspiel, das sie seit der Jugend beherrschte, wieder aufnahm, um aktiv zu bleiben. Sie habe sich, immer wenn sie ihre Wohnung für den Unterricht verließ, extra geschminkt und Schmuck angelegt, als sei es ein besonderes Ereignis.

Aber auch Berufstätige gehören zu Ljudmila Büchners Schülern. "Viele können nicht abschalten von Alltag und Arbeit, selbst wenn sie ein Buch lesen oder Musik hören", sagt sie. "Doch wenn man selber Musik macht, kann man an nichts anderes denken, weil man sich konzentrieren muss." Manchen helfe das Klavierspiel sogar, schwerste Gedanken für eine Weile loszulassen. Eine ihrer Schülerinnen sei sehr schwer erkrankt und habe den Unterricht deshalb aufgeben wollen. "Doch jetzt macht sie doch weiter, weil es ihr guttut", sagt Ljudmila Büchner. "Musik wirkt manchmal wie Therapie."

Alle drei Musikpädagogen sind überzeugt, dass das Spielen von Instrumenten das Gehirn fit hält. Sowohl bei Schlagzeug als auch bei Klavier müssen die linke und die rechte Hand unterschiedliche Dinge tun, was oft neue Verbindungen im Gehirn schafft. "Es ist längst erwiesen", sagt Johannes Menzel, "dass der alte Spruch 'Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr' ganz und gar nicht stimmt."