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Tourismusbilanz: Wohin die Reise in der Oberlausitz geht

Hinter dem Tourismus in der Oberlausitz liegt ein gutes Jahr. Die Gäste verbrachten zwei Millionen Nächte in der Region. Doch die Kreise Görlitz und Bautzen tun sich trotzdem schwer, mit den beliebtesten Reisezielen zu wuchern.

Von Sebastian Beutler
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Das Lausitzer Seenland mit Boxberg und dem Bärwalder See (Foto) gewinnt an Beliebtheit bei Touristen und Gästen der Oberlausitz.
Das Lausitzer Seenland mit Boxberg und dem Bärwalder See (Foto) gewinnt an Beliebtheit bei Touristen und Gästen der Oberlausitz. © www.wolfgang-wittchen.de

Jeder freut sich auf seine Weise. Während jüngst der Görlitzer Städtetourismus und das Zittauer Gebirge mit Rekordzahlen an die Öffentlichkeit traten, wandte sich jetzt auch die Marketing-Gesellschaft Oberlausitz-Niederschlesien (MGO) mit positiven Zahlen an die Öffentlichkeit. Doch anders als Görlitz und das Zittauer Gebirge hat die Region zwischen Bischofswerda und Bad Muskau die Corona-Delle noch nicht ganz überwunden. Doch sie ist auf bestem Wege dahin.

So buchten rund 734.000 Gäste knapp zwei Millionen Übernachtungen. Das sind noch 23.000 weniger als 2019. Also kaum der Rede wert. Die Zahlen legte die MGO am Montag in Görlitz vor. Die MGO, getragen von den beiden Landkreisen Görlitz und Bautzen und den Sparkassen, nimmt eine Mittlerfunktion ein. Sie koordiniert zum einen die sieben Tourismusgemeinschaften in der Oberlausitz, die wie die Gebietsgemeinschaft Naturpark Zittauer Gebirge/Oberlausitz oder die Europastadt Görlitz/Zgorzelec direkt für ihre Gebiete für den Tourismus wirken. Und zugleich vermarktet die MGO touristisch die Region überregional, entwickelt übergreifende Strategien und Produkte.

Der Oberlausitzer Bergweg ist einer der beliebtesten Fernwanderwege.
Der Oberlausitzer Bergweg ist einer der beliebtesten Fernwanderwege. © MGO/Matthias Ludwig

So investierte sie im vergangenen Jahr 250.000 Euro in Kampagnen für die Oberlausitz. Der Oberlausitzer Bergweg wurde auf 130 Kilometer Länge erweitert, Bischofswerda mit dem Butterberg ist jetzt der neue Startpunkt, dann gibt es eine neue Online-Seite mit dem famil-o-mat, auf der besondere Angebote für Familien zu finden sind. Und für die Städte des historischen Sechsstädtebundes der Oberlausitz wurden Audioguides auf Deutsch und Polnisch entwickelt, englische und tschechische Versionen folgen.

Das Zittauer Gebirge ist das Reiseziel im Landkreis Görlitz. Dazu zählt auch Berg und Burg Oybin.
Das Zittauer Gebirge ist das Reiseziel im Landkreis Görlitz. Dazu zählt auch Berg und Burg Oybin. © SZ/Wolfgang Wittchen

Man hätte nun erwarten können, dass die MGO ihre fünf häufigsten Reiseziele besonders herausstellen würde. Doch das war nicht so. Das Zittauer Gebirge und Görlitz beispielsweise stehen für 40 Prozent aller Übernachtungen, Görlitz kam wenigstens noch als letzter von fünf Gewinnern in der Bilanz der MGO vor, das Zittauer Gebirge nur mit dem Verlierer Oybin, weil der Kurort knapp ein Viertel an Übernachtungen verloren hat. Aber die positive Botschaft beider Reiseziele verpuffte völlig.

Görlitz ist die unumstrittene Nummer 1 im Städtetourismus der Oberlausitz.
Görlitz ist die unumstrittene Nummer 1 im Städtetourismus der Oberlausitz. © lausitznews.de

Stattdessen hob die MGO besonders hervor, dass Boxberg 20.000 Übernachtungen mehr zählte, was eine Steigerung von 63 Prozent ergibt. Es sind jetzt also etwas mehr als 50.000 überhaupt. Für Boxberg und den Bärwalder See ist das eine gute und schöne Entwicklung, die MGO sieht vor allem einen Aufschwung an allen Orten, die an Seen liegen. Das Seenland im Norden hat das Zeug eines der frequentiertesten Ziele in der Oberlausitz zu werden.

Entscheiden wirklich Zuwächse in Ohorn und Niesky?

Kurios wird es dann aber, wenn die MGO Zuwächse in Ohorn und Niesky herausstellt, weil dort die Übernachtungen leicht stiegen und jetzt bei mehr als 10.000 und 20.000 liegen. Das ist alles schön für diese Kommunen, aber die Leuchttürme der Region sind sie in der Tourismusbranche tatsächlich nicht, trotz Urlaubsregion Westlausitz und Holzhäusern. Kaum die Rede war von der Oster-Hauptstadt Bautzen, von der Nummer 1 im Städtetourismus Görlitz und vom Zittauer Gebirge. Und vergleichsweise wenig vom Unesco-Welterbe Muskauer Park. Immerhin fiebert auch die MGO der Entscheidung im Juni entgegen, wenn Herrnhut das begehrte Unesco-Label bekommen könnte.

Zugegebenermaßen hat es die MGO auch schwer, der Vielfalt der Oberlausitz und damit auch den Ansprüchen aller Reiseziele gerecht zu werden. Der Radtourismus zeigt das beispielhaft auf.

Nach den Worten des Görlitzer Landrats Stephan Meyer will die MGO verstärkt Premiumradwege vermarkten. Mit dem Oder-Neiße-Radweg verläuft einer der großen Radwanderwege Europas durch die Region, er ist populär und im Sommer gut befahren. Doch auf der Internetseite der MGO steht er unter ferner liefen, weiter oben ist von einem Zwillingsradweg die Rede. Wenn man den Button anklickt, erfährt man, dass man den Oder-Neiße-Radweg mit dem Spree- und Frosch-Radweg verknüpfen kann. Es ist ein typischer Kunstgriff, um die Interessen aller unter einen Hut zu bekommen, niemanden zu verschrecken. Der Preis aber ist, dass der Oder-Neiße-Radweg in der Schlagzeile gar nicht mehr vorkommt. Der braucht das angesichts seines Bekanntheitsgrades nicht unbedingt, aber vielleicht wäre es hilfreich, den Radweg mit der Oberlausitz in einem Atemzug zu nennen. Wer weiß schon in der Ferne, wo die Neiße ist. Die MGO spricht jetzt von 18 ausgewählten Premiumradtouren, die sie vermarkten wird. Außerdem soll eine Strecke für Gravel-Biken, also Radfahren über Stock und Stein, eingerichtet werden.

Radfahren wird immer beliebter - auch im Urlaub. Darauf reagiert auch die MGO seit geraumer Zeit.
Radfahren wird immer beliebter - auch im Urlaub. Darauf reagiert auch die MGO seit geraumer Zeit. © SZ/Uwe Soeder

Der Tourismus in der Oberlausitz macht etwa zehn Prozent am gesamten Aufkommen in Sachsen aus. Deswegen bricht MGO-Geschäftsführer Olaf Franke die sachsenweiten Branchen-Kennziffern auch so herunter: Wenn in Sachsen 91.300 Mitarbeiter direkt in der Tourismuswirtschaft beschäftigt sind, dann sind es in der Oberlausitz rund 9.000. Wenn die Branche sachsenweit 8,3 Milliarden Euro Umsatz macht, dann seien es in der Oberlausitz 830 Millionen Euro, wenn weitere 181.000 Jobs vom Tourismus in Sachsen abhängen, dann sind es in der Oberlausitz 18.000.

Die Fischwochen sind einer der Höhepunkte bei der Vermarktung der Oberlausitz durch die MGO jedes Jahr. Hier stellt André Meyer vom Bio Berggasthof Beckenbergbaude einen Fisch-Snack zusammen.
Die Fischwochen sind einer der Höhepunkte bei der Vermarktung der Oberlausitz durch die MGO jedes Jahr. Hier stellt André Meyer vom Bio Berggasthof Beckenbergbaude einen Fisch-Snack zusammen. © MGO_Michael Bärisch

Ob es wirklich so ist, wie sich das in der Region verteilt, ob die Effekte in Görlitz größer sind als in Bautzen, in Boxberg größer als in Wittichenau - das weiß aber niemand. Denn Zahlen für die Oberlausitz liegen offensichtlich nicht vor, dabei hatte Meyer zuvor von einem differenzierten Bild in der Region gesprochen: Manche Reiseziele entwickeln sich einfach besser als andere. Das ist an Bautzen zu sehen, das vor 15 Jahren noch gleichauf mit Görlitz lag. Und jetzt deutlich zurückgefallen ist, aber immerhin als einzige Stadt in Sachsen bei einer Auswertung von Booking.com unter die Top fünf der gastfreundlichsten Orte Deutschlands gekommen ist. Vielleicht wäre ja eine Untersuchung analog der sächsischen Tourismusbranche auch für die Oberlausitz sinnvoll, um anschließend zielgenauer agieren zu können.

Die Tücken einer Gästecard für die Oberlausitz

Dass ein guter Vorsatz nicht schon zu einem guten Ergebnis führt, ist derzeit bei der Gästecard zu erleben. Sie sollte längst eingeführt sein, doch wird sie Jahr um Jahr verschoben. Jetzt ist von 2025 die Rede und Modellregion soll das Zittauer Gebirge sein. Doch ausgerechnet der Kurort Oybin, neben Jonsdorf und Großschönau eines der Hauptziele im Gebirge, hat als einzige Kommune seine Teilnahme noch nicht zugesagt. Der Görlitzer Landrat Stephan Meyer will sich davon nicht aufhalten lassen und notfalls 2025 nur mit Zittau beginnen, doch räumt er selbst ein, dass Oybin mit seinem Potenzial besonders wichtig für die Gästecard sei. Er glaubt, dass die Oybiner demnächst ihren Widerstand auch aufgeben werden.

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Doch das ist für das Vorhaben noch nicht ausreichend. Für solche Gästecards gibt es zwei grundlegende Modelle. Das eine ist eine Kaufkarte, die Hamburg-Card ist ein Beispiel dafür. Man kann sie zusätzlich zur Übernachtung im Internet oder bei den Touristinformationen kaufen. Beim anderen Modell ist die Gästecard inclusive der Gäste- oder Kurtaxe, die beim Aufenthalt sowieso erhoben wird. Die Vergünstigungen ähneln sich bei beiden Varianten, vor allem auf eine kostenlose Nutzung des ÖPNV kommt es in größeren Städten an. Auch für die Oberlausitz hat der regionale Verkehrsverbund Zvon bereits zugesagt.

Olaf Franke, Geschäftsführer, Marketinggesellschaft Oberlausitz (MGO) (2. v. l.), und der Görlitzer Landrat Stephan Meyer bei der jährlichen Pressekonferenz der MGO im Hotel "Insel der Sinne" am Berzdorfer See.
Olaf Franke, Geschäftsführer, Marketinggesellschaft Oberlausitz (MGO) (2. v. l.), und der Görlitzer Landrat Stephan Meyer bei der jährlichen Pressekonferenz der MGO im Hotel "Insel der Sinne" am Berzdorfer See. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Doch nicht alle Gemeinden oder Kommunen können Kurtaxen erheben, das ist an den Status der Gemeinden gebunden. Alle anderen müssten eine Gästetaxe oder eine Bettensteuer einführen, von deren Erlösen sie einen Teil für die Gästecard aufwenden. In Görlitz ist die Einführung der Bettensteuer schon mal im vergangenen Jahr gescheitert, als sie zur allgemeinen Deckung des Haushalts und nicht spezifisch für touristische Aufgaben eingeführt werden sollte. Es gibt auch unterschiedliche Angaben, was die Gästecard kostet. Während Olaf Franke von einem bis 1,20 Euro pro Übernachtung redet, gehen in Oybin fünf Euro um. Die Bettensteuer in Görlitz sollte aber überhaupt nur fünf Euro kosten, ist sie dann ausschließlich eine Gästecard-Steuer?

So bleiben Fragen nach der Bilanz der MGO. Womöglich hängt das ja auch mit der Neuorientierung ihrer Arbeit zusammen. Da läuft ein großer Strategieprozess, wie das bei solchen Veränderungsprozessen üblich ist. Eine Berliner Firma hat dafür den Auftrag erhalten. Im Sommer sollen Handlungsempfehlungen vorliegen, kündigte der Görlitzer Landrat Meyer an, der auch im Namen seines erkrankten Bautzener Kollegens Udo Witschas sprach. Wohin da die Reise geht, ob die Verbindung von MGO und den Tourismusgemeinschaften enger wird, blieb aber noch offen. Womöglich aber freuen sich bei der nächsten Bilanz schon alle gemeinsam.