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Türmer in Görlitz: „Der Löwe brüllt bis nach Manhattan“

Wer in Görlitz hoch hinaus will, kommt an ihnen nicht vorbei: Ronny Förster, Renate Junge und Heiko Christoph führen seit fast 20 Jahren Touristen und Einheimische auf die höchsten Türme. Jetzt suchen sie Verstärkung.

Von Jonas Niesmann
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Die Turmführer Renate Junge, Heiko Christoph und Ronny Förster (v.l.) posieren vor dem Lieblings-Fotomotiv ihrer Gäste.
Die Turmführer Renate Junge, Heiko Christoph und Ronny Förster (v.l.) posieren vor dem Lieblings-Fotomotiv ihrer Gäste. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Wenn Renate Junge hoch oben den Schlüssel dreht, hört das halb Görlitz. Dann jagt ein alter DDR-Motor Druckluft durch die sieben Orgelpfeifen, die hinter dem goldenen Löwen auf dem Rathausturm versteckt sind und ein raues Tuten, ein bisschen wie von einem Containerschiff, schallt über die Dächer bis hinüber zu den Hochhäusern auf der polnischen Seite. „Der Löwe brüllt bis nach Manhattan“, sagt ihr Kollege Heiko Christoph dann gern.

Renate Junge (67) ist Türmerin. Gemeinsam mit Heiko Christoph (49) und Ronny Förster (51) vom Förderverein Kulturstadt Görlitz führt sie Touristen und Einheimische auf die alten Türme der Stadt – den Rathausturm, den Nikolaiturm, den Dicken Turm und den Reichenbacher Turm.

„Die Tour muss aus dem Herzen kommen“

Ein bisschen sportlich sollte man dafür schon sein, sagt Renate Junge. Bei einer früheren Kollegin habe mal der Rettungswagen kommen müssen, weil sie die sommerliche Hitze und die Anstrengung des Treppensteigens nicht vertragen habe. Sie selbst gehe ohnehin gerne wandern, nach ihrer Stelle als Bürokraft im Kraftwerk Hagenwerder sei für sie klar gewesen: „Ich will unter Leuten sein und das am liebsten draußen und in Bewegung.“

„Erzähl doch das mit dem Kegeln!“, sagt Heiko Christoph und Renate Junge fügt fast ein bisschen beschämt hinzu, dass sie früher sogar mal in der Bundesliga gekegelt hat. Die drei kennen sich gut: Seit 2006 kann man die Türme der Stadt besichtigen, Ronny Förster war von Anfang an dabei. Renate Junge kam 2007 dazu, Heiko Christoph dann ein paar Jahre später. Bald 800.000 Treppenstufen hat Ronny Förster inzwischen zurückgelegt, das hat er Ende vorigen Jahres ausgerechnet, mehr als 4.000 Turmführungen waren das.

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Eine solche Führung ist mehr als nur der Ausblick vom Turm. Es geht darum, die Leute zu unterhalten, ihnen die Geschichte der Stadt zu erklären, sie zum Lachen zu bringen. „Die Tour muss aus dem Herzen kommen“, sagt Heiko Christoph.

Dabei müsse man sich auf seine Gäste einstellen, es gibt ganz verschiedene. "Der Wessi fragt ganz gern, wie das hier zu DDR-Zeiten aussah. Das brauchst du 'nem Ossi nicht erzählen", sagt Ronny Förster. Kinder wollen keine Jahreszahlen hören, sondern lieber den Löwen nochmal brüllen hören. Und internationale Touristen? Kein Problem, sagt Förster, „ein bisschen Englisch kann ich perfekt!"

Die wievielte Treppenstufe das jetzt wohl war? Turmführer Ronny Förster beim Aufstieg auf dem Rathausturm.
Die wievielte Treppenstufe das jetzt wohl war? Turmführer Ronny Förster beim Aufstieg auf dem Rathausturm. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Bei den Führungen komme es immer wieder zu skurrilen Situationen: Einmal sei er mit einer Hochzeitsgesellschaft oben auf dem Rathausturm gewesen, sagt Förster und der Wind habe den Brautschleier mitgerissen. Den habe er dann, zusammen mit dem Bräutigam und einem alten Besenstil, von den Taubendrähten außen am Turm geangelt. Ein anderes Mal habe ein kleiner Junge in einer Spalte des alten Holzgebälks einen Pfennig von 1847 gefunden. Den durfte er natürlich mitnehmen. Und am Neujahrsmorgen 2019 sei Förster allein auf den höchsten Turm gestiegen und habe sich von dort oben den ersten Sonnenaufgang des Jahres angesehen. Denn die Türmer können jederzeit hinauf auf ihre Schützlinge.

"Wir repräsentieren die Stadt"

„Wir repräsentieren die Stadt“, sagt Ronny Förster. Er ist ausgebildeter Gärtner, hat aber nebenbei auch früher schon Menschen durch das Naturkundemuseum oder die Altstadt geführt. Nach der Wende habe er sich besonders für die leerstehenden Häuser interessiert, habe sie mit seiner Kamera erkundet und sich gefragt, wer dort einst gewohnt hat. Diese Begeisterung für historische Bauwerke hat er sich bis heute bewahrt. Wenn er davon erzählt, wie der Dachstuhl des Rathausturmes gezimmert ist und wie alt die verblassten Inschriften auf den alten Holzbalken sind, leuchten seine Augen auch nach 4.000 Touren noch immer.

Trotz aller Begeisterung und körperlichen Fitness können die drei Türmer die enorme Nachfrage in der Sommersaison nicht mehr bewältigen. „Wir versuchen, keine Tour ausfallen zu lassen“, sagt Renate Junge, aber man könnte gut und gerne noch vier weitere Leute beschäftigen. Einen haben sie schon gefunden, ziemlich sicher, der werde gerade eingearbeitet. Wer sich für Geschichte und Architektur interessiert und keine Knieprobleme hat, sollte es sich mal durch den Kopf gehen lassen.

Wer Interesse hat, meldet sich beim Förderverein Kulturstadt Görlitz, Telefon 03581 6849010 oder per E-Mail: [email protected]