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Warum zahlt Birkenstock 100 Millionen an vier Gemeinden?

Görlitz, Bernstadt, Markersdorf und Schönau-Berzdorf verzeichneten jetzt hohe einmalige Einnahmen. Die Freude ist groß, aber nicht ungetrübt.

Von Anja Beutler & Sebastian Beutler
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Blick in das Birkenstock-Werk in Görlitz - der größte Fertigungsbetrieb des Unternehmens in Deutschland.
Blick in das Birkenstock-Werk in Görlitz - der größte Fertigungsbetrieb des Unternehmens in Deutschland. © Archivfoto: pawel sosnowski/80studio.net

So hin- und hergerissen war die Görlitzer Kämmerin Birgit Peschel-Martin noch nie, als sie am Donnerstagabend vor den Görlitzer Stadtrat trat. Auf der einen Seite konnte sie sich über eine einmalige Gewerbesteuerzahlung in Höhe von 68 Millionen Euro freuen. Noch nie in ihrer gesamten Laufbahn hatte sie eine so hohe Zahlung auf einmal registrieren können. Aber die Freude hält nicht lange an: Die Summe wird durch Haushaltslöcher, höhere Kreisumlage und Verlust an Schlüsselzuweisungen aus Dresden bis Ende 2024 aufgebraucht. Zusätzliche Projekte sind selbst mit dieser Summe nicht möglich.

Ganz ähnlich geht es auch Bürgermeistern in den Umlandgemeinden. Denn auch Bernstadt, Schönau-Berzdorf und Markersdorf verbuchten auf ihren Stadtkonten jetzt die Überweisung einer einmaligen Gewerbesteuerzahlung.

Kommunen profitieren vom Verkauf von Birkenstock

Doch woher kommt sie? Gewerbesteuern werden auf den Gewinn eines Unternehmens gezahlt. Allerdings zahlen die Firmen die Gewerbesteuer nicht Ende Oktober/Anfang November auf einen Schlag. Zumeist gibt es vierteljährliche Abschlagszahlungen.

Eine zweite Möglichkeit für Gewerbesteuern: Sie wird fällig auf Veräußerungserlöse, beispielsweise wenn ein Unternehmen oder Teile von ihm verkauft werden. Es gibt nur ein Unternehmen, das in allen betroffenen Kommunen Fertigungsstätten hat und tatsächlich auch verkauft wurde: Birkenstock. Im Februar dieses Jahres kündigte Birkenstock an, die Mehrheit am Unternehmen an die amerikanisch-französische Beteiligungsgesellschaft L Catterton zu verkaufen.

Die Details des Verkaufs blieben geheim. Doch die Nachrichtenagentur Bloomberg sprach von vier Milliarden Euro, die L Catterton dafür auf den Tisch legte. Der Zahl wurde bislang von keinem der Beteiligten widersprochen.

Blick in das Bernstädter Birkenstock-Werk.
Blick in das Bernstädter Birkenstock-Werk. © Archivfoto: Matthias Weber

Und tatsächlich erhielt die SZ am Mittwoch aus Unternehmenskreisen die Bestätigung: Die einmaligen Gewerbesteuer-Zahlungen dieser Tage an Görlitz, Bernstadt, Markersdorf und Schönau-Berzdorf stammen aus diesem Birkenstock-Verkauf. Die Höhe der Zahlungen richtet sich nach den Lohnsummen der einzelnen Betriebsstätten in Deutschland, denn natürlich erhalten auch alle anderen Kommunen, wo Birkenstock ansässig ist, anteilsmäßig eine solche Sonder-Gewerbesteuer jetzt. Görlitz mit rund 2.000 Mitarbeitern der größte Standort von Birkenstock in Deutschland ist, erhält die Stadt jetzt auch die größte Summe.

Bernstadt hat rund 850 Mitarbeiter und hat - wie Bürgermeister Markus Weise der SZ bestätigte - eine achtstellige Summe überwiesen bekommen, also mindestens 10 Millionen Euro. Wahrscheinlich dürfte die Zahl sich aber in Richtung 30 Millionen Euro bewegen. Markersdorf erhielt für die Schnallenfertigung im Gewerbegebiet Friedersdorf eine knappe Million Euro, die Bürgermeister Thomas Knack der SZ bestätigte. Davon erhält Schönau-Berzdorf, das an dem Gewerbegebiet beteiligt ist, rund ein Drittel.

Freistaat, Kreis und andere Kommunen profitieren auch

Ein Sprecher der Birkenstock-Gruppe wies auf den Einmaleffekt dieser Zahlung hin, natürlich zahle Birkenstock auch regelmäßig Gewerbesteuer an die Kommunen, doch sind diese Zahlungen deutlich geringer. Görlitz verzeichnet von allen seinen Gewerbesteuerzahlern im Moment rund 17 Millionen Euro pro Jahr, Markersdorf von etwa einer Million Euro. Doch gleichzeitig ist Birkenstock nach eigenen Angaben durchaus stolz, auch auf diese Weise die gesamte Region an seinem Erfolg teilhaben zu lassen.

Tatsächlich profitieren nicht nur die vier Gemeinden von den Zahlungen, sondern auch der Freistaat und der Landkreis Görlitz. Am meisten ist es der Freistaat. Denn das Kommunalfinanz-System ist so aufgebaut, dass Schlüsselzuweisungen nur dann gezahlt werden, wenn die Kommunen sie nötig haben. Bei so hohen einmaligen Zahlungen aber ist das nicht der Fall. So fallen allein in Görlitz 42 Millionen Euro an Zuweisungen aus Dresden 2023 weg.

Auch der Kreis kann sich freuen. 2023 kann er mit einer deutlich höheren Kreisumlage rechnen. Görlitz wird sieben Millionen Euro zusätzlich zahlen müssen, Bernstadt dürfte auch einen Millionenbetrag an den Kreis weiterreichen, selbst die kleinen Gemeinden Markersdorf und Schönau-Berzdorf rechnen mit einer für ihre Verhältnisse stolzen Summe zusätzlich für den Kreis.

Zudem gibt es noch ein paar weitere Posten: So fließt ein Teil des Sondererlöses in die Finanzausgleichsumlage, von der alle kreisangehörigen Kommunen in Sachsen sowie der Landkreis Görlitz profitieren. Macht allein von Görlitz 2,5 Millionen Euro. Und die größte Stadt des Kreises wird 2022 wohl auch auf die Corona-Sachsenhilfe verzichten müssen, da war mit einer Million Euro gerechnet worden. Andere Gemeinden wie Bernstadt sind derzeit noch am Rechnen, was wohin fließt.

Was die Gemeinden mit dem Geld machen

Trotzdem bleibt auch noch Geld für die Städte und Gemeinde übrig. Görlitz kann damit alle Fehlbeträge bis Ende 2023 decken und einen Teil von 2024, das sind einige Millionen Euro. Darüber hinaus braucht die Stadt geplante Kredite in diesem und im nächsten Jahr nicht aufnehmen, tilgt andere Kredite außer der Reihe. Zusammen sind das weitere elf Millionen Euro. Und alles, was die Stadt jetzt noch im Vergleich zum Etat einspart, kann entweder zur Deckung der Fehlbeträge ab 2024 dienen oder für kleinere Projekte. Große zusätzliche Sprünge sind aber nicht möglich. Doch wenigstens muss die Stadt nicht bis Ende dieses Jahres ein Sparkonzept dem Kreis vorlegen, sondern vermutlich erst 2023 oder 2024.

Bernstadts Bürgermeister Markus Weise (Kemnitzer Liste) will ebenso keine überzogenen Erwartungen wecken. Da Bernstadt schuldenfrei ist, das Ansparen in der Rücklage bei der momentanen Zinslage für die Stadt aber derzeit wenig attraktiv ist, geht Weise davon aus, dass man die Gelder investieren werde. „Wir werden jedoch nicht ein Projekt zu 100 Prozent finanzieren, sondern setzen darauf, mit dem Geld weitere Fördergelder einzuwerben“, schildert der Bürgermeister. Der Grund für diese Haltung liegt auf der Hand: Finanziert Bernstadt ein Projekt komplett allein, muss die Stadt auch auf die gesamte Summe Abschreibungen bilden und das wird auf Dauer teuer.

Was genau Bernstadt mit der zusätzlichen Gewerbesteuer vorantreiben wird, ist noch unklar: „Wir haben eine Prioritätenliste und dort werden wir sehen, wo der Schuh am meisten drückt“, sagt Bürgermeister Weise.

Markersdorf wird die verbleibende Summe in die Rücklage einstellen, wie Bürgermeister Thomas Knack sagt. Die Gemeinderäte in Markersdorf waren in der letzten Sitzung im nicht-öffentlichen Teil über die Zahlung informiert worden.

Am Ende aber überwog bei der Görlitzer Kämmerin doch die Freude. Es sei ein schönes und zugleich irritierendes Gefühl gewesen, den Bescheid über diese riesige Summe zu lesen. So etwas werde sie in ihrer Tätigkeit als Amtsleiterin der Görlitzer Stadtfinanzen wohl nicht mehr erleben. Daher freue sie sich über die Summe - "und auch für diese Stadt".