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"Sie gehörte zu unserem Leben dazu"

Am 1. März vor 65 Jahren wurde die NVA gegründet. Großenhain war für das Panzerregiment bekannt. Daran erinnern sich einige mit Stolz - andere mit Abscheu.

Von Kathrin Krüger
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Oberstleutnant a.D. Lutz Schubert ist Vorsitzender der Kameradschaft Großenhain im Deutschen BundeswehrVerband und ehemaliger Regimentsfotograf.
Oberstleutnant a.D. Lutz Schubert ist Vorsitzender der Kameradschaft Großenhain im Deutschen BundeswehrVerband und ehemaliger Regimentsfotograf. © Kristin Richter

Großenhain. Es könnte eine Frage im Kreuzworträtsel sein: geschlossene Gesellschaft zur DDR-Zeit mit knapp 1.000 Mann. Die Antwort lautet: das Panzerregiment Leo Jogiches in Großenhain. Soldaten im Grundwehrdienst und Längerdienende aus der ganzen Republik kamen hier zusammen. "Die Kaserne rund um den Remonteplatz war abgeriegelt, aber natürlich gab es viele Kontakte in die Stadt", weiß Lutz Schubert, ehemaliger Regimentsfotograf und Parteisekretär.

Wenn am 1. März an die Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA) vor 65 Jahren erinnert wird - sie ging aus der kasernierten Volkspolizei hervor - dann kommt bei manchen Nostalgie und ein gewisser Heimatstolz auf. Andere denken mit Abscheu an den Drill und die ideologische Indoktrination im Regiment zurück. Oft wurden sie ja nicht in Heimatnähe einberufen, sondern kamen von weit her.

Lutz Schubert kann beide Seiten verstehen. "Klar wollen viele nichts mehr von ihrem Armeedienst in Großenhain wissen", sagt der Chronist, der sich um die Aufarbeitung der Geschichte des Regimentes kümmert. Allerdings werden heute manchmal auch die negativen Bereiche ausgeblendet, sagt er. Wenn zum Beispiel bei Facebook Filmaufnahmen von damals aus Großenhain kursieren. "Etliche Großenhainer haben Kopien davon, ich auch, und dann schaut man sehr interessiert in die Vergangenheit zurück", sagt er. Tatsächlich gehörte der NVA-Alltag zum Leben der Männer dazu. Für Großenhain war das Panzerregiment auch ein Aushängeschild.

Die letzten Panzer wurden 1991 abtransportiert. Sie gingen in die Türkei und die Vereinigten Staaten.
Die letzten Panzer wurden 1991 abtransportiert. Sie gingen in die Türkei und die Vereinigten Staaten. © Brühl/Archiv

94 Kampfpanzer gehörten zum Regiment, das bis 1986 ständig eine 85-prozentige Personalstärke im Objekt aufrechterhalten musste. "Das heißt, wenn zehn Prozent auf Urlaub waren, konnten nur fünf Prozent in den Ausgang", sagt Lutz Schubert. Zu Weihnachten und Silvester durfte immerhin die Hälfte der Militärangehörigen die Kaserne verlassen. Zu tun hatte das mit der Alarmierungszeit des Regiments. Schubert: "Im Ernstfall hätte alle mobile Technik in 40 Minuten aus dem Objekt raus sein müssen." Erst mit Gorbatschow und der Perestroika änderten sich die Rahmenbedingungen.

Bis dahin war die Militärdoktrin, den Gegner bei dessen Mobilmachung auf eigenem Territorium zu vernichten. "Zuschlagen, bevor der andere zuckt", hießt es damals salopp. Die Kettenfahrzeuge waren auch in Großenhain damit Angriffspanzer und hätten einen Angriffskrieg führen müssen. Erst nach 1986 wurden sie zu Verteidigungswaffen. "2.000 NVA-Panzer gab es in der gesamten DDR, dazu noch viele mehr in den Kasernen der Sowjetarmee", so Schubert. Die Stadt war ein wichtiger Teil davon. Was aber selbst er damals nicht wusste: Das war ein Grund, warum Großenhain Kernwaffenziel der Nato gewesen ist. Die weiteren Gründe waren der Flugplatz der sowjetischen Streitkräfte und das Eisenbahndrehkreuz der Strecken Berlin-Dresden und Dresden-Cottbus.

Circa 3.000 gepanzerte Radfahrzeuge wurden im Frühjahr 1991 zur Demilitarisierung auf dem Gelände des ehemaligen Panzerregimentes zusammengezogen. Dieses Foto entstand vom Dach der einstigen Papierfabrik aus.
Circa 3.000 gepanzerte Radfahrzeuge wurden im Frühjahr 1991 zur Demilitarisierung auf dem Gelände des ehemaligen Panzerregimentes zusammengezogen. Dieses Foto entstand vom Dach der einstigen Papierfabrik aus. © privat/Werner Löffler

Jährlich im Herbst konnte die Bevölkerung der Vereidigung der neuen Rekruten auf dem Marktplatz beiwohnen. Ab Mitte der 80er-Jahre gab es laut Schubert am 1. März einen Tag der offenen Tür in der Kaserne. Da konnte man sich den Friseur und den Med.-Punkt vor der Remontehalle anschauen, den Laden im Objekt - heute Teil der Förderschule. Die Gaststätte in der heutigen Seniorenanlage, die Wache und die Arrestzellen daneben. "Weil es im Objekt keinen Alkohol gab, haben sich die Soldaten die tollsten Sachen einfallen lassen, um an Schnaps zu kommen", schmunzelt Lutz Schubert. Sogar der Fahrer des Regimentskommandeurs ist mal bei der Beschaffung erwischt worden.

Besagter Youtubefilm dokumentiert übrigens den Besuch von Verteidigungsminister Heinz Hoffmann 1980 in Großenhain. Da lief das Manöver Waffenbrüderschaft des Warschauer Paktes. Eine "propagandistische Großveranstaltung", wie man schon damals sagte. Vor allem die höheren Dienstgrade waren mit Leib und Seele dabei, blickt Schubert zurück. Die Offiziere und 200 Berufssoldaten wohnten mit ihren Familien ja auch außerhalb - im Preuskerviertel oder auf der Hohe Straße.

Was viele Großenhainer noch wissen: NVA-Angehörige mussten auch in Betrieben helfen, um den Personalmangel auszugleichen. Zum Beispiel in Elmo und Schmiede. Im harten Winter 1979 waren zwei Drittel des Regiments in den Braunkohletagebauen Boxberg und Welzow. "Da haben sie uns alle rausgehauen, da war die Gefechtsbereitschaft aufgehoben", so Lutz Schubert. Auch das war eben NVA-Alltag.

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