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Wer war der geheimnisvolle Maler?

Hermann Kirchner hatte in Großenhain eine Möbelfabrik. Als er im Krieg war, zeichnete er. Das Museum kaufte seine Grafikmappe. Man kennt ihn aber kaum.

Von Kathrin Krüger
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Museumsleiter Jens Schulze-Forster (l.) und Heimatfreund Hartmut Jannasch forschen zu Hermann Kirchner.
Museumsleiter Jens Schulze-Forster (l.) und Heimatfreund Hartmut Jannasch forschen zu Hermann Kirchner. © Kristin Richter

Großenhain. Das Museum Alte Lateinschule konnte eine Grafikmappe aus dem Nachlass des Innenarchitekten Hermann Kirchner erwerben. Über 170 Blätter gehören dazu. Es handelt sich um Bleistiftskizzen, Kohlezeichnungen, aber auch einige Aquarelle und farbige Kreidezeichnungen, die offenbar vor allem auf Reisen entstanden sind. Sie zeigen Landschaften, Stadtansichten, aber auch Tiere, Pflanzen und gegenständliche Skizzen.

Die Blätter datieren aus der Zeit von 1909 bis 1944. Eine Reihe von Zeichnungen ist während der Soldatenzeit im Ersten und Zweiten Weltkrieg in Frankreich entstanden. "Kirchner dürfte demnach um 1890 geboren sein und der Generation von Kurt Globig und Walter Harras angehören, die zwei Weltkriege miterlebten", vermutet Museumsleiter Jens Schulze-Forster. Er hat die Sammlung als künstlerisch wertvoll eingestuft.

Der Rahmenplatz 17 in Großenhain. Das war später Hermann Kirchners Möbelfabrik. Ab den 1960er- Jahren war hier die Schulspeisung untergebracht.
Der Rahmenplatz 17 in Großenhain. Das war später Hermann Kirchners Möbelfabrik. Ab den 1960er- Jahren war hier die Schulspeisung untergebracht. © Kristin Richter

Kirchner war Inhaber der gleichnamigen Möbelfabrik Hermann Kirchner in der Gabelsberger Straße 9. 1919 warb sie mit „vornehmen Wohnungseinrichtungen, Salons, Speise- und Herrenzimmern“ sowie mit „kompletten Brautausstattungen, Wohn-, Schlafzimmern und Küchen“. Mehrfach nutzte der Großenhainer die Rückseiten von Möbelkatalogen als Zeichenpapier. Auch alte Schaufensterbeschriftungen wurden wiederverwendet. Die Jahre 1940 und 1941 belegen Aufenthalte in Nordfrankreich bei Calais und in Paris. Die jüngsten datierten Zeichnungen entstanden im November 1944 in Bautzen. "Im Adressbuch von 1949 ist Elsa Kirchner als Inhaberin der Möbeltischlerei Hermann Kirchner angegeben", weiß Museumsleiter Jens-Schulze-Forster. Er vermutet, dass Kirchner den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte oder bald danach gestorben ist.

Hermann Kirchners Grafiken datieren aus der Zeit von 1909 bis 1944.
Hermann Kirchners Grafiken datieren aus der Zeit von 1909 bis 1944. © Kristin Richter
Laut Museumsleiter sind sie künstlerisch wertvoll. Es sind unter anderem Aquarelle wie diese und farbige Kreidezeichnungen.
Laut Museumsleiter sind sie künstlerisch wertvoll. Es sind unter anderem Aquarelle wie diese und farbige Kreidezeichnungen. © Kristin Richter
Hermann Kirchner war nicht nur Möbelfabrikant, sondern auch Innenarchitekt und besaß deshalb die Gabe zu malen.
Hermann Kirchner war nicht nur Möbelfabrikant, sondern auch Innenarchitekt und besaß deshalb die Gabe zu malen. © Kristin Richter
In alten Adressbüchern finden sich Geschäftsanzeigen wie diese. Emil Kirchner könnte der Bruder gewesen sein.
In alten Adressbüchern finden sich Geschäftsanzeigen wie diese. Emil Kirchner könnte der Bruder gewesen sein. © Kristin Richter
Ausschnitt aus dem Gedenkbuch der IG Mahnmal Marienkirche. Kirchner wird hier Kirschner genannt.
Ausschnitt aus dem Gedenkbuch der IG Mahnmal Marienkirche. Kirchner wird hier Kirschner genannt. © Kathrin Krüger

Die Zeichenmappe ist dem Museumsleiter zufolge ein guter Anlass, sich näher mit der Familienbiografie und dem Möbelgeschäft zu befassen, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den besten Adressen in Großenhain gehört haben dürfte. Die SZ hat sich deshalb auf Spurensuche ins Stadtarchiv begeben. In der Stadtchronik ist als Erstes zu finden, dass man 1930 auf ein 70-jähriges Bestehen des Möbelgeschäfts zurückblicken konnte. 1860 ist es demnach gegründet worden. Und zwar von Kirchners Vater, dem Sattlermeister Paul Kirchner. Hermann Kirchner wurde am 18. Januar 1891 geboren, seine Frau Else am 29. Dezember 1901. Kirchner hatte 1952 einen handschriftlichen Lebenslauf verfasst, der im Archiv erhalten ist.

Der verrät die künstlerische Prägung des talentierten Großenhainers. 1906 begann er eine Lehre bei der Firma Joch in Großenhain und später bei Tischler Herfurth, der das Stadtmodell im Museum fertigte. 1907 und 1908 besuchte Kirchner die Werkstätten der Sonntagsschule Freiberg. Dort lernte er Freihandzeichnen, Formenlehre, Sachzeichnen, Schattenlehre, Konstruktionslehre und Perspektivzeichnen. Überall hatte er gute Noten. 1908 und 1909 ging Hermann Kirchner auf die Berliner Tischlerfachschule, 1910 auf die Kunstgewerbeschule. Dann war er zwei Jahre als Zeichner im Atelier und anderen Möbelabteilungen des Hohenzollern-Kunstgewerbehauses in der Leipziger Straße in Berlin tätig. Seine Stellung habe er auf eigenen Wunsch verlassen, heißt es in einem Beleg.

1914 hat sich der Großenhainer als Innenarchitekt selbstständig gemacht, 1915 wurde er aber eingezogen. Bis Kriegsende, schreibt er in seinem Lebenslauf, war er in Frankreich in einer Munitionskolonne. Dann hat er als Innenarchitekt im väterlichen Möbelbetrieb mitgearbeitet, den er 1932 nach dem Tod des Vaters übernahm und bis 1939 führte, offenbar schon am Rahmenplatz 17. Wieder kam ein Krieg, Hermann Kirchner wurde zur Wehrmacht als Leutnant der Reserve eingezogen, diente ab 1944 bei der Militärreitschule in Großenhain. Er war laut Suchdienst-Kartei Mitglied der SA, der NSDAP und ab 1939 Hauptmann. Am 1. September 1945 wurde er bei einer Offiziersrazzia festgenommen und kam ins Speziallager Mühlberg. Ein Jahr später musste er zur Zwangsarbeit nach Russland, von wo er erst 1950 zurückkehrte. Hermann Kirchner ist auch in den Gedenkbüchern der IG Mahnmal Großenhain zu finden.

Seine Frau Else führt die Tischlerei weiter, ein Antrag auf Betreiben des Möbelhauses wurde 1946 von den Behörden abgelehnt, weil angeblich keine Notwendigkeit dafür bestand. Das Geschäft schloss Ende Mai des Jahres. Hermann Kirchner konnte 1952 das Gewerbe wieder auf sich anmelden, im April 1957 wurde das Geschäft der HO unterstellt. Else Kirchner wurde Verkaufsstellenleiterin. Möglicherweise war Hermann Kirchner da schon krank - er starb am 18. Juli 1960. Ein Beleg zeigt, dass das Geschäft dann - genau 100 Jahre nach Eröffnung - abgemeldet wurde.