„Wir sind dann mal weg!“

Bernsdorf. Wenn er den Hupton hört, muss Werner Grubert schmunzeln. Und das passiert unter der Woche recht häufig. „Nicht erschrecken, da wisst ihr, dass ich es bin“, hatte sich ein Kraftfahrer aus Bad Liebenwerda bei der letzten Begegnung von ihm und seiner Frau Roswitha verabschiedet. Statt anzuhalten, wie gewohnt, wird nun eben nur noch gehupt. Aus alter Verbundenheit als Stammkunde der Fleischerei Grubert in Bernsdorf. Die hat ihren Betrieb eingestellt, nach mehr als 60 Jahren.
Am ersten Tag im Ruhestand hatte Werner Grubert ein mulmiges Gefühl. Er musste an die Kunden denken, an die Kraftfahrer, die an der Fleischerei in der Straße des 8. Mai angehalten haben. „Wir hatten auch viele Kunden von außerhalb, selbst aus Dresden. Häufig waren es Kraftfahrer, die es sich so eingerichtet haben, dass sie hier vorbeikommen. Und wenn sie mal nicht diese Strecke gehabt haben, dann haben sie sich ins Privatauto gesetzt und sind hergekommen und haben bestellt.“
Ein Machtwort des Vaters
Der gebürtige Hoyerswerdaer wollte eigentlich gar kein Fleischer werden. „Ich wollte Dreher werden.“ Der Technik-Unterricht in der Schule hatte sein Interesse für den Metallbau geweckt. „Deshalb habe ich bis heute auch das Faible für das Basteln an Autos und Motorrädern, für das Schweißen, für das Werkeln.“ Aber sein Vater hat ein Machtwort gesprochen und festgelegt: „Du wirst Fleischer.“ Womit quasi auch die Unternehmensnachfolge geregelt war.
Sein Vater Paul Grubert hatte sich 1954 mit einer Fleischerei in Lauchhammer selbstständig gemacht. Zuvor war er nach der Rückkehr aus dem 2. Weltkrieg in Fleischereien in Crostwitz und Bergmannsheimstätten in Laubusch angestellt gewesen. Da es mit einer Erweiterung des Betriebes in Lauchhammer nicht geklappt hat, schaute sich der Vater nach einer Alternative um, erzählt Werner Grubert. „Dann hat es sich 1958 ergeben, dass die Fleischerei hier in Bernsdorf zu kaufen war.“ Am 1. April 1959 erfolgte die Eröffnung.
Der jüngste Fleischermeister
Acht Jahre später begann Werner Grubert eine Fleischer-Lehre. Danach ging es gleich zur Meisterschule. „Am 1. März 1975 hatte ich den Meisterbrief in der Tasche, mit knapp 22 Jahren. Da war ich der jüngste Fleischermeister im Bezirk Cottbus“, erzählt der heute 69-Jährige nicht ohne Stolz. 1986 hat er schließlich den Betrieb von seinem Vater übergeben bekommen. Dass es den Betrieb da überhaupt noch gab, ist seinem Vater zu verdanken. „In den 1960er-Jahren“, so erinnert sich Werner Grubert, „war es gang und gäbe, dass die Privaten mit mehr oder weniger Druck gezwungen wurden, eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) zu gründen. Mein Vater hat sich nicht darauf eingelassen. Er vertrat immer den Standpunkt: Das Handwerk muss erhalten bleiben.“
Es gab auch Rückschläge für Werner Grubert. Besonders ärgert er sich zurückblickend, dass er sich nach der Wende überreden ließ, im damals neu errichteten Plus-Markt eine Filiale zu eröffnen. „Es wurde gesagt, es kommt kein weiterer Supermarkt in die Stadt.“ Nach einem Dreivierteljahr verabschiedete er sich wieder aus dem Discounter. Es hat sich nicht gerechnet. Personal und Miete waren zu bezahlen. „Und dann kam Lidl. Und Aldi.“
Zur Fleischerei Grubert gehörte von 1990 bis Januar 2009 auch eine Filiale in Heye, dem Wiednitzer Ortsteil Heide. Der Laden war im Klubhaus zu finden und an zwei Tagen in der Woche geöffnet. „Wir haben von jedem die Krankheiten und alles möglich gekannt“, beschreibt Werner Grubert das enge Verhältnis zur Kundschaft. „In dieser Zeit haben wir aber auch den kompletten Abriss der Brikettfabrik miterlebt, die Bevölkerungsflucht, weil es keine Arbeit mehr gab.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte Ehefrau Roswitha längst die Leitung des Fleischerei-Betriebes übernommen. Im Januar 1995 war das. Werner Grubert musste aufgrund gesundheitlicher Probleme vorübergehend kürzer treten. Als er wieder auf den Beinen war, beließen sie es bei dieser Konstellation, bis zum Schluss. Werner Grubert betitelt seine neue Rolle im Unternehmen schmunzelnd als „Produzent vom Dienst“. Zu Spitzenzeiten nach der Wende hatte die Fleischerei zwölf Beschäftigte, sechs Verkäuferinnen, davon vier Verkäuferinnen allein im Plus-Markt, und sechs Fleischer. Immerhin 36 Lehrlinge durchliefen bei Werner Grubert ihre Ausbildung.
Keine Unternehmensnachfolge
Das 70-jährige Bestehen wird die Fleischerei Grubert nicht feiern können. „Ich bin schon lange in Rente“, sagt Werner Grubert, der im Juni das siebte Lebensjahrzehnt vollenden wird. Seine Frau ist seit dem 1. Dezember offiziell Rentnerin. Beide waren sich einig, das zum Anlass zu nehmen, um den Betrieb zu schließen. Zumal es keine Unternehmensnachfolge gibt. Die beiden Töchter haben eine Beamtenlaufbahn eingeschlagen. Aktiv nach jemanden gesucht, der die Fleischerei übernehmen könnte, hat Werner Grubert nicht. „Auch weil die Auflagen seit diesem Jahr so extrem sind, dass sie vielen Kollegen das Genick brechen werden.“
Mit der Fleischerei Grubert verschwindet ein weiterer Handwerksbetrieb in Bernsdorf. Lediglich eine produzierende Fleischerei ist übrig geblieben, fünf waren es zu DDR-Zeiten, sogar neun vor dem Zweiten Weltkrieg, weiß Werner Grubert.
Und was fängt er mit der neu gewonnenen Freizeit als Ruheständler an? „Ich gehe meinen Hobbys nach.“ Das sind Oldtimer, sein aktuelles und wohl auch letztes Projekt ist ein Polski Fiat Baujahr 1970 aus der ersten Serie. „Und meine Familie.“ Zu der gehören inzwischen drei Enkel und eine Urenkelin. Und dann ist ja noch sein Engagement im Bernsdorfer Karnevals Club.
DDR-Geräte werden noch geschätzt
Seit der Schließung der Fleischerei ist Werner Grubert mit dem Ausräumen beschäftigt. Für einen Teil des Inventars hat er einen Abnehmer gefunden, einen Hersteller von Geräten, den es schon zu DDR-Zeiten gab. „Der kommt so gut wie alles abholen. Die Geräte werden aufgearbeitet. Sie sind absolut gefragt, weil sie keine Elektronik haben. Es gibt eben noch Unternehmer, die Geräte von damals zu schätzen wissen“, freut sich Werner Grubert, da so das Wenigste auf dem Schrott landet.
Wehmut überkommt Werner Grubert und seine Ehefrau, wenn sie an die Kunden denken. „Da ist etwas zusammengewachsen. Da tut das Abschied-Nehmen schon weh.“ Über die Jahre im Geschäft seien Beziehungen geknüpft worden, auch Freundschaften wurden geschlossen. „Was sich nun wohl verlaufen wird“, befürchtet Werner Grubert. Und eines Tages, davon ist auszugehen, wird auch niemand mehr hupen, wenn er mit dem Brummi vorüberfährt ...