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Sachsen besser machen - so geht's

Konstruktiver Journalismus sucht nach Auswegen. Die SZ stellt Menschen vor, die Mut, Kraft und gute Ideen haben. Das prägt ihre 75-jährige Geschichte.

Von Oliver Reinhard
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Gemeinsam Sachsen besser zu machen, ist eines der Ziele des konstruktiven Ansatzes der SZ. Mit der Kampagne „Sachsenbessermachen.de“. Da werden Menschen vorgestellt, die Lösungen gefunden haben.
Gemeinsam Sachsen besser zu machen, ist eines der Ziele des konstruktiven Ansatzes der SZ. Mit der Kampagne „Sachsenbessermachen.de“. Da werden Menschen vorgestellt, die Lösungen gefunden haben. © SZ

Die Welt ist schlecht und wird immer schlechter. Wohin man blickt, überall Verbrechen und Kriege, Täter und Opfer, Korruption und Katastrophen, Extremisten, Skandale, Unfälle. Und jetzt auch noch Corona.

Stimmt das? Steht es wirklich so schlimm um die Welt? Trotz Corona: natürlich nicht. Global betrachtet nimmt die Armut ab, steigen Gesundheit und Bildungsstand, sterben immer weniger Menschen an Hunger, werden kaum noch Regierungen auf einem anderen Weg als durch demokratische Wahlen „gestürzt“. Auch der Zugang der Menschen zu Informationen ist unendlich leichter geworden, als er es vor 20 Jahren war.

Warum wird das so oft ausgeblendet? Warum haben wir so oft das Dunkle, Negative, Böse im Blick, das Positive aber nicht? Weshalb nehmen Leser zum Beispiel die negative Berichterstattung zum Überthema der Pandemie stärker wahr als die vielen Artikel über Menschen, die im Kampf gegen Corona ihr Letztes geben und sich für andere aufopfern? Oder die Berichte über Leute, die einfach nur versuchen, das Beste aus einem Leben mit großen Einschränkungen zu machen, mehr Zeit mit den Kindern zu genießen und öfter mit fernen Verwandten und Freunden zu reden?

Zu viel Negativität hält niemand aus

Es liegt zum erheblichen Teil an der Medienlandschaft. Nicht durch eigenes Erfahren, vielmehr vor allem durch Fernsehen, Zeitungen und Internetmedien wissen wir, was außerhalb unseres Lebensumfeldes, unserer Region, unseres Landes geschieht. Doch viele Medien, Redaktionen und Journalisten handeln – gerade im Internet – immer noch nach einem fatalen Leitspruch: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“

Diese Tendenz ist fast so alt wie die inzwischen 75-jährige Sächsische Zeitung und spätestens seit den 1960er-Jahren durch zahllose Studien belegt. Die Folge solch einseitiger Berichterstattung ist ein Bild der Realität, das mit der unmittelbaren Lebenswirklichkeit der meisten Menschen kaum noch etwas zu tun hat. Dabei ist es eine der obersten Aufgaben von Journalisten, die Wirklichkeit möglichst adäquat wiederzugeben. Das heißt: in all ihren Facetten, den positiven wie den negativen.

So seltsam es klingen mag: Die Pandemie hat positive Auswirkungen auf die Medienlandschaften. Denn nicht wie üblich nur Leser, Zuschauer und User; auch Journalisten sehnen sich nun verstärkt nach Lichtblicken im Dunkel. Das tun sie umso mehr, als die Menge der schlechten, aber nun mal sachlich relevanten Informationen, die sie vermitteln müssen, zugenommen hat. Nicht zuletzt darin sind Journalistinnen und Journalisten aber auch nur Menschen: Zu viel Negativität hält niemand aus. Dieses Zuviel fühlt sich nicht nur falsch an – es ist falsch. Das ist mit ein Grund dafür, dass eine relativ junge Ausrichtung des Journalismus immer stärker in Erscheinung tritt. Die Rede ist vom konstruktiven Journalismus.

Wegbereiter des konstruktiven Journalismus

Dieser begnügt sich nicht damit, auf Probleme hinzuweisen und auf Missstände aufmerksam zu machen. Er fügt den klassischen Kernfragen wie „Was geschieht wann, wo, warum, durch wen?“ eine weitere Frage hinzu: „Und was nun?“ Denn der konstruktive Journalismus arbeitet lösungsorientiert. Er sucht, wann immer möglich, nach Menschen oder Institutionen, die Ideen haben, wie die Lösung eines Problems aussehen könnte – oder bereits einen Ausweg gefunden haben.

Egal, ob es darum geht, Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen oder den Ärztemangel in ländlichen Regionen zu beheben. Oder über Menschen zu berichten, die sich für die Allgemeinheit engagieren und persönlich Großes leisten – zum Beispiel im Kampf gegen die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die Idee ist vergleichbar mit konstruktiver Kritik. Dabei wird dem Gegenüber nicht nur mitgeteilt, welche Fehler gemacht wurden. Sondern auch, was gut gelaufen ist und welche Verbesserungsmöglichkeiten es darüber hinaus geben könnte.

Neben einigen anderen Medien gehört die Sächsische Zeitung seit mehreren Jahren zu den Wegbereitern des konstruktiven Journalismus in Deutschland. Er ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil der redaktionellen Arbeit in der gedruckten Zeitung und auf der Internetseite Sächsische.de geworden. Regelmäßig geht es auf den Planungskonferenzen darum, ob man ein bestimmtes Thema nur klassisch-problemorientiert umsetzen muss oder es nicht auch konstruktiv angehen kann beziehungsweise sollte. Die Porträtreihe „Corona-Helden“ ist nur ein Beispiel dafür, neben der „Anpacker“-Serie oder „Genial Sächsisch“. Groß angelegte Aktionen wie der „Familienkompass“ ergründen, wie zufrieden die Menschen mit ihrer Lebenssituation und der Politik sind. Die Resultate ergeben wichtige Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten für die Entscheider in den Kommunen und im Land.

Recherche half dem Striezelmarkt

Darin zeigt sich auch: Konstruktiver Journalismus ist kein Schönfärbe-Journalismus. Manche ältergediente Kolleginnen und Kollegen der Sächsischen Zeitung waren zunächst skeptisch. Sie fürchteten einen Rückfall in die Zeiten des SED-Bezirksorgans, als die Leistungen der Partei gar nicht hoch genug gejubelt werden konnten. Aber: Konstruktiver Journalismus ist das Gegenteil von unkritischem Journalismus. Denn wer Lösungen sucht, muss zunächst die Probleme benennen und zugeben, dass es sie gibt.

Manchmal wirken sich konstruktive Aktionen sehr unmittelbar aus. Als vor ein paar Jahren beim Dresdner Striezelmarkt die Umsätze einbrachen und die Unzufriedenheit vieler Händler wuchs, hätte man es bei Berichten über dieses Problem belassen können. Stattdessen schwärmten mehrere Kollegen aus, fragten sämtliche Händler nach deren Umsätzen und stellten fest: Die unzufriedenen Händler lagen an bestimmten „toten Ecken“, wo nicht genug Besucherverkehr war. Die Folge: Die Stadt Dresden hat den Striezelmarkt auf Basis der SZ-Erkenntnisse komplett umgestaltet – mit durchschlagendem Erfolg.

Solche Erfahrungen haben nicht allein die journalistische Perspektive erweitert, denn der Einsatz für den konstruktiven Journalismus bleibt nicht unbemerkt. Regelmäßig wird die SZ von Journalistenschulen, Medienwissenschaftlern, Studierenden oder Kollegen aus ganz Deutschland um Erfahrungsberichte gebeten. Wie die Sächsische Zeitung und andere Medien – darunter MDR, WDR, NDR sowie diverse Zeitungen und Magazine – praktizieren ihn immer mehr Redaktionen, obendrein verankert er sich zunehmend in der journalistischen Ausbildung und den Medienwissenschaften.

Zu viel "bad news" haben Folgen

Erhebungen unter Lesern, Zuschauern und Usern bestätigen all diese Bemühungen. Auch die SZ-Abonnenten haben es in Umfragen deutlich gezeigt: Sie wollen mehr lösungsorientierten Journalismus – und sie nehmen wahr, dass sie ihn auch bekommen.

Das Ganze ist allerdings kein Selbstzweck: Die Konzentration auf „bad news“ und deren Übermaß in den Medien hat weitreichende Folgen für die Gesellschaft. Studien zeigen, dass die Konzentration auf schlechte Nachrichten und die Verzerrung der Wirklichkeit zu Frustration, Pessimismus und Zynismus führt. Bei Journalisten ebenso wie bei Lesern und Zuschauern.

Wer denkt, die Welt werde immer schlechter, glaubt als Konsequenz oft, dass Probleme und Konflikte nicht mehr gelöst werden können, dass die Politik, ihre Institutionen und sogar die Demokratie ausgedient haben. Auch wenn in vielen Fällen keine direkten Lösungen offen auf dem Tisch liegen, bieten neue Perspektiven auf alte Probleme häufig zumindest Ansätze dazu und Inspirationen für neue Debatten. Wenn Medien das vernachlässigen, wenn sie weiterhin zu sehr auf „bad news“ im Übermaß setzen und so den Fatalismus befördern, begehen sie einen schweren Fehler. Denn dann zeichnen sie ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Dann sind sie wirklich „Lügenpresse“.

  • Die Kampagne „Sachsenbessermachen.de“ der SZ