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"Heimat ist unverkäuflich": Was wurde eigentlich aus dem Wal-Wüsteberg-Verein?

Anfang der 2000er-Jahre sollte zwischen Kamenz und dem Haselbachtal Grauwacke abgebaut werden. Das rief riesigen Bürgerprotest hervor. Die Erinnerung daran wandert nun ins Archiv.

Von Ina Förster
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Reiner Hasselbach war bis zuletzt Vorsitzender des Wal-Wüsteberg-Vereines, der sich gut 20 Jahre lang gegen den geplanten Grauwacke-Abbau eingesetzt hat. Nun hat sich der Verein aufgelöst, die Chronik kommt ins Kamenzer Stadtarchiv.
Reiner Hasselbach war bis zuletzt Vorsitzender des Wal-Wüsteberg-Vereines, der sich gut 20 Jahre lang gegen den geplanten Grauwacke-Abbau eingesetzt hat. Nun hat sich der Verein aufgelöst, die Chronik kommt ins Kamenzer Stadtarchiv. © Matthias Schumann

Kamenz/Haselbachtal. "Ja, Protest konnten wir!" Reiner Hasselbach sitzt am Tisch vor einem Berg von Akten, Fotos, Zeitungsausschnitten, Eintragungen und Briefen. Eine Kiste davon wird er bald ins Kamenzer Stadtarchiv bringen. Es ist die Chronik eines Bürgerprotestes, der Anfang der 2000er-Jahre in Sachsen und darüber hinaus seinesgleichen suchte. Unzählige Menschen gingen jahrelang auf die Straße. Oder besser gesagt: Auf den Wal- und Wüsteberg hinauf.

Ein norddeutsches Bergbauunternehmen plante damals nämlich genau dort, im Sattel zwischen diesen beiden Bergen nahe Kamenz, einen Grauwacke-Tagebau neu zu erschließen. Dagegen erhob sich weithin Widerstand. "Zeitweise waren Tausende unterwegs zu den Sternenmärschen", erinnert sich Hasselbach stolz. Der Slogan des Wal-Wüsteberg-Vereins, welcher sich kurz darauf gründete, wurde weithin gehört: Heimat ist unverkäuflich!

Grauwacke schon in den 1970er-Jahren entdeckt

Zum Hintergrund: Bereits in den 1970er-Jahren hatte der Bergbauerkundungsdienst der DDR einen Stollen in die Bergkette getrieben und eine hochwertige Grauwacke-Lagerstätte analysiert. Im Kartenmaterial wurde das Gebiet danach als Bergbauvorbehaltsgebiet deklariert. 1990 ließ die Treuhand das Territorium mit dem Status "Bergeigentum" belegen und ins Berggrundbuch eintragen. Damit war nun der Bund, vertreten durch die Treuhand, Bergeigentümer. Mit dem Recht, selbst den Abbau in die Wege zu leiten oder das Bergeigentum an einen Privatinvestor zu verkaufen.

Schon seit 1994 bemühten sich die Parlamente der umliegenden Gemeinden und der Kreistag darum, den Passus "Bergbauvorbehaltsgebiet" für den Höhenzug Walberg/Wüsteberg/Hofeberg streichen zu lassen. Ohne Erfolg. Damit aber nicht genug: Die Treuhand verkaufte trotz bereits massiver Proteste 1998 das Bergeigentum für eine 164 Hektar große Fläche an die Firma Schaumburg Steinbrüche GmbH aus Rinteln im Weserbergland.

Sternwanderungen mit Tausenden Menschen

"Die drei betroffenen Kommunen Kamenz, Haselbachtal und Schönteichen waren aber willensstark und konsequent", sagt Reiner Hasselbach, der den Verein im Jahr 2000 mit aus der Taufe hob. Die Bündelung der Kräfte habe den Erfolg ausgemacht. "Über die Vielfältigkeit der Abwehrkräfte könnte man heute ein Buch schreiben", sagt der 75-Jährige.

Legendäre Sternenmärsche zu Ostern mit Kundgebungen, ein Konzert mit dem Bergsteigerchor Kurt Schlosser, Fotowettbewerbe, das Aufstellen eines Gedenksteines, der Bau einer Wanderschutzhütte, die Beschilderung von Wanderwegen - das alles formierte sich zu einem bunten, vielfältigen Bürgerprotest.

2007 gab der Verein diese Protestanstecker heraus.
2007 gab der Verein diese Protestanstecker heraus. © Archivfoto: Matthias Schumann

"Alle Mitmacher hielten zusammen, um ein bedeutendes Stück Heimat vor der nicht erforderlichen Zerstörung zu bewahren. Das war schon besonders", meint Reiner Hasselbach. Er selbst war in den Anfangszeiten Bürgermeister im Haselbachtal.

Auch Umweltschützer, Kirchenvertreter und viele Kommunalpolitiker schlossen sich dem Protest an: Bürgermeister, der damalige Landrat Michael Harig und auch Politprominenz aus Sachsens Landeshauptstadt wie Stanislaw Tillich, damals Umweltminister, oder Georg Milbradt, der zu diesem Zeitpunkt Finanzminister war. Letztere wurden später Ministerpräsidenten Sachsens. Alle standen sie zu Kundgebungen mit auf dem Berg.

Bei der Sternwanderung am 3. Mai 2009 sprechen Reiner Hasselbach (l.), Vorsitzender des Wal-und Wüstebergvereins, und der damalige Bautzener Landrat Michael Harig zu den Teilnehmern.
Bei der Sternwanderung am 3. Mai 2009 sprechen Reiner Hasselbach (l.), Vorsitzender des Wal-und Wüstebergvereins, und der damalige Bautzener Landrat Michael Harig zu den Teilnehmern. © Archivfoto: Matthias Schumann

Ganze 23 Jahre später packt Reiner Hasselbach nun die Aufzeichnungen in besagte Kiste. "Unser Verein beschloss am 21. Oktober 2021 seine Auflösung, Ende letzten Jahres erfolgte nun die Löschung im Vereinsregister", erklärt er.

Verein hat seine Aufgabe erfüllt

Es gebe schließlich nichts Schöneres, als einen Verein aufzulösen, weil er seinen Zweck erfüllt hat, meint Hasselbach. Er selbst führte in den letzten Jahren den Vorsitz, war neben Maik Weise Liquidator der letzten Stunde. "Immer wieder hatten uns Menschen gefragt, ob es uns eigentlich noch gibt", sagt der Pulsnitzer.

Nach den großen Protesten in der Mitte der 2000er-Jahre wurde es nämlich nach und nach ruhiger um das Thema. So groß die Sorge um den geplanten Grauwacke-Abbau auch weiterhin war, so sehr veränderte die Arbeit des Planungsverbandes Oberlausitz-Niederschlesien mit den Kommunen über 20 Jahre die Situation doch erheblich.

"Und auch die Veränderung der Eigentumsverhältnisse an Waldgrundstücken verschaffte sich Gewicht bei der Auseinandersetzung mit dem Investor", erklärt Reiner Hasselbach. Die Kommunen nahmen darüber hinaus Vorkaufsrechte wahr. Ein Widerspruch des Bergbauunternehmens am Verwaltungsgericht Dresden wurde vor ein paar Jahren abgewiesen, daraufhin zog es sich endgültig von den Plänen zurück. Steter Tropfen hatte den Stein gehöhlt.

Trinkwasserschutzgebiete wurden Tabuzonen

Der Wal-Wüsteberg-Verein konnte viele Erfolge einfahren. So wurden das Mitwirkungsrecht der Kommunen gestärkt und Trinkwasserschutzgebiete sowie Flächennaturdenkmale zu Tabuzonen.

"Wir können nur allen Mitstreitern über die vielen Jahre danken", resümiert Reiner Hasselbach. Zum Schluss waren es noch 55. Man habe die Geduld nie verloren, Baustein für Baustein gesammelt. "Irgendwie waren wir schon damals Naturschutz- und auch Klimaaktivisten", sagt er. "Ein Abbau am Bergsattel hätte die Verhältnisse vor Ort weitgreifend verändert", ist er sich sicher.

Ob dieser Schutz für ewig hält? Diese Frage trieb die Mitglieder bis zuletzt um. Das Bergamt habe dazu keine Aussagen treffen wollen. "Aber wir sollten Vertrauen in die Entwicklung haben", meint Hasselbach. "Natürlich gibt es für nichts eine Garantie. Sollte es irgendwann noch einmal prekär werden, dann muss die neue Generation ran. Unsere Arbeit als Verein ist getan!"