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Nach 20 Operationen: Bäckersfrau kämpft sich nach schwerem Unfall zurück ins Leben

Bianka Kahre, Chefin einer Bäckerei in Kamenz, wurde von ihrem eigenen Auto überrollt. Dank glücklicher Umstände kam schnell Hilfe. Doch der Weg zurück in den Alltag war hart.

Von Ina Förster
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Bianka Kahre hatte vor einem Jahr einen furchtbaren Unfall. 20 Operationen später und mit viel Kraft und Mut kämpft sie sich zurück ins Leben und in ihre Bäckerei in Kamenz.
Bianka Kahre hatte vor einem Jahr einen furchtbaren Unfall. 20 Operationen später und mit viel Kraft und Mut kämpft sie sich zurück ins Leben und in ihre Bäckerei in Kamenz. © Matthias Schumann

Kamenz. Den 9. Februar 2023 wird Familie Kahre mit Sicherheit nie mehr vergessen. Er war ein Schicksalstag, der absolute Tiefpunkt - und ist mittlerweile Sinnbild für den Neubeginn. "Wir haben vor ein paar Tagen meinen ersten Zweitgeburtstag gefeiert", sagt Bianka Kahre leise. Dankbar ist sie, dass sie noch am Leben ist. "Dass ich heute hier stehe, habe ich vielen glücklichen Umständen zu verdanken", sagt sie.

Vor einem Jahr hatte die 55-Jährige einen verhängnisvollen Unfall. Ihr passierte etwas, das im ersten Moment völlig absurd klingt, aber doch gar nicht so selten vorkommt: Sie wurde daheim im Hof bei Kamenz von ihrem eigenen Auto überrollt.

Ein Blick ins Internet offenbart: So etwas passiert wirklich öfter als gedacht. Beim Ausräumen des Kofferraums, beim Holzladen, wenn das Auto abschüssig parkt. Meistens im eigenen Grundstück. Und oft enden solche Unfälle tödlich.

Auto rollte aus der Garage in den Hof

Die Nachricht von Bianka Kahres Unfall verbreitete sich damals wie ein Lauffeuer in Kamenz. Denn sie ist nicht nur ein netter Mensch, den viele kennen, sondern auch die Chefin der gleichnamigen, beliebten Bäckerei an der Oststraße.

Bianka Kahre weiß mittlerweile, dass sie riesiges Glück hatte. Eine Verkettung von Zufällen, die dazu beitrugen, dass sie am Leben ist. Warum ihr Auto an besagtem Februarmorgen vor einem Jahr selbstständig aus der Garage im leicht abschüssigen Hof rollte, weiß man bis heute nicht genau. "Ich habe das Garagentor aufgemacht, und da kam es mir schon entgegen. Instinktiv versucht man dann, es aufzuhalten", sagt sie. Ein schwerer Fehler.

An vieles an diesem Morgen kann sie sich nicht mehr erinnern. Nur, dass sie umgeworfen wurde und das Auto mit aller Wucht an ein paar große Blumenkübel fuhr, die dann krachend auf einen Schleusendeckel fielen. Das war Glücksmoment Nummer eins. Denn durch den Krach wurden Nachbarn aufmerksam und auch der Schwiegervater, der mit im Haus wohnt.

Ehemann Lutz war da schon lange auf Arbeit in Kamenz und backte Brot und Brötchen. "Es war Februar, eiskalt, Minus acht Grad und früh 5.30 Uhr", sagt Bianka Kahre. "Mich hätte sonst erst nach Stunden jemand gefunden", vermutet sie. Dann wäre es sicherlich zu spät gewesen.

Mit dem Hubschrauber in die Unfallchirurgie nach Dresden

Noch immer braucht es viel Kraft, über den Unfall zu sprechen. Richtige Gänsehaut machen ihr die Erinnerungen. Aber gerade das Reden über den Unfall habe ihr auch immer irgendwie geholfen, das alles überhaupt zu verarbeiten, sagt sie.

An jenem Februarmorgen reden und handeln vor allem aber die anderen. Jene, die ihr zu Hilfe eilen, nachdem der Schwiegervater den Notruf abgesetzt hat. Die Ersthelfer, denen immer noch ein umarmendes Dankeschön gilt. Die Rettungssanitäter, die schnell reagieren und umsichtig genug sind, gleich einen Helikopter anzufordern. Die Feuerwehrleute aus dem Ort.

"Meine Arterie im rechten Bein hatte einen Riss von fünf Zentimetern. Außerdem gab es offene Brüche. Dass man mich sofort in die Unfallchirurgie des Friedrichstädter Krankenhauses flog, war Glücksumstand Nummer zwei", sagt Bianka Kahre.

Dankbar für große Anteilnahme in Kamenz

Was folgte, war trotzdem hart: eine sieben bis acht Stunden lange Operation, dann anderthalb Wochen Intensivstation, ein monatelanger Krankenhausaufenthalt. 13 große und sechs kleinere OPs folgen in den nächsten Monaten. Danach unzählige Therapien, Rehas, Hautverpflanzungen, neue Eingriffe.

"Am Abend nach dem Unfall, als ich aufwachte auf der ITS, da habe ich gedacht: Guck mal - du lebst ja noch. Und das Bein ist sogar noch dran", erzählt die Bäckersfrau. Da hatte sich die Nachricht vom Unglück schon in der ganzen Stadt herumgesprochen. Viel Anteilnahme habe die Familie in den kommenden Monaten erfahren. Nicht nur von Bekannten, auch von völlig Fremden, von Kunden, Nachbarn, Geschäftspartnern. "Das hat uns wirklich sehr berührt und viel bedeutet", sagt Bianka Kahre.

Bäckerei vor 14 Jahren an der Oststraße eröffnet

Seit Januar 2010 gibt es die Bäckerei Kahre in Kamenz. Bianka Kahre war immer die gute Seele hinterm Verkaufstresen und im Café. Sie fehlte dem Team wahnsinnig im letzten Jahr. "Ja - wir haben auch kurzzeitig darüber nachgedacht, die Bäckerei zu schließen. Da waren plötzlich so viele Probleme auf einem Haufen. Und keiner wusste, wie es mit mir weitergehen würde", sagt sie.

Doch die Mitarbeiterprobleme konnten gelöst werden. Mittlerweile habe man wieder drei Mitarbeiterinnen in der Bäckerei. Anke, Franziska und Svetlana hielten die Stellung zusammen mit Bäckermeister Kahre.

Auch das Café hat schon lange wieder geöffnet. Und Ehemann Lutz hat durchgehalten. "Ich habe mir gerade am Anfang oft Sorgen um ihn gemacht", sagt seine Frau. "Wie lange macht man so etwas mit? Die ganze Nacht in der Backstube stehen und nachmittags dann ins Krankenhaus fahren?"

Zwei Monate nach dem Unfall erstmals nach Hause

Denn genau das tat Lutz Kahre - jeden einzelnen Tag. Kein Mittagsschlaf während dieser Wochen. Seine Bianka ist ihm wichtig, für ihn stand die Frage nicht, wohin das führen soll. Da gab er gern 200 Prozent.

Zu Ostern 2023 - zwei Monate nach dem Unfall - durfte seine Frau ein erstes Mal nach Hause. Mit Fixateur am Bein. Im Juni dann auf Dauer. "Ich war einfach glücklich", sagt sie leise. Auch wenn es immer wieder Komplikationen gab, Rückschritte, Wundheilungsstörungen, ein Nierenversagen. Auch, wenn das Laufen lange schwerfiel. Noch immer sieht man ihr die Unfallfolgen an. Aber sie freut sich aufs Leben, auf ihre drei Enkel. "Unsere Familie hat das alles zusammengeschweißt. Meine drei Söhne und ihre Familien haben mich immer unterstützt!"

Seit 1. Februar 2024 versucht sie es wieder mit Arbeit. Wiedereingliederung. Ein paar Stunden jeden Tag - meistens gleich frühmorgens. "Es wird nicht mehr wie früher, aber ich lebe. Und ich stehe hier! In meinem Laden, in unserer Bäckerei. Auf meinen zwei Beinen", sagt Bianka Kahre dankbar.