SZ + Kamenz
Merken

Diese Kamenzer Tischlerei ist 200 Jahre alt - und hat eine Chefin

Susann Mütze führt in siebenter Generation einen Kamenzer Familienbetrieb - und bewältigt als zweifache Mutter den täglichen Spagat.

Von Ina Förster
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Susann Mütze übernahm die Kamenzer Tischlerei 2015 nach dem frühen Tod ihres Vaters Dittmar Mütze - und konnte nun 200. Firmenjubiläum feiern.
Susann Mütze übernahm die Kamenzer Tischlerei 2015 nach dem frühen Tod ihres Vaters Dittmar Mütze - und konnte nun 200. Firmenjubiläum feiern. © Foto: Anne Hasselbach

Kamenz. In der großen Werkhalle vorn ist es laut und die Späne wirbeln. Hinten wirbelt die kleine Sonja im Laufstall. Sie hat Hunger. Lautstark gibt sie ihren Unmut zu erkennen. Aber Mama Susann Mütze ist nicht weit. Nur noch schnell den letzten Auftrag durchgehen mit ihrem Meister. Die Schränke fürs Altenpflegeheim müssen fertig werden.

Dann wird gestillt im Büro. Sonja wird bald sechs Monate. Quirlig ist sie und überall mit dabei. Muss sie auch, denn Mama Susann ist Chefin eines mittelständischen Kamenzer Traditionsunternehmens - der Tischlerei Mütze.

Während Sonjas größere Schwester Eva mit ihren drei Jahren schon den Kindergarten besucht, ist das Baby immer mit dabei. "Wenn es richtig hektisch um sie herum ist, schläft sie am besten", erzählt Susann Mütze schmunzelnd.

Firmenjubiläum kürzlich groß gefeiert

Trubel und Aufregung gab es die letzten Wochen genug. Es galt, ein großes Jubiläum zu feiern: 200 Jahre Tischlerei Mütze! Mehrere hundert Gäste kamen zum Tag der offenen Tür Anfang September 2023. "Es war ein wunderbarer Tag mit vielen guten Gesprächen, herzlichen Begegnungen. Dass auch die Familien unserer Angestellten da waren, hat mich sehr gefreut", sagt die Chefin. In siebenter Generation hält sie die Fahnen hoch in der Männer-Domäne. "Meine Oma Eva-Ruth hätte das noch nicht gekonnt, die musste Opa Rudolf Mütze heiraten, damit es mit der Firma weitergeht", sagt sie lachend.

Urgroßvater Richard Arnold feiert hier auf dem Foto gerade 125.Firmenjubiläum der Tischlerei Mütze.
Urgroßvater Richard Arnold feiert hier auf dem Foto gerade 125.Firmenjubiläum der Tischlerei Mütze. © Privat / Susann Mütze

Es gebe sicherlich noch mehrere Tischlerinnen, aber für die Durchschnittsfrau sei der Beruf nichts, meint Susann Mütze. Jedenfalls nicht in ihrer Tischlerei. Und nicht auf Dauer. Auch wenn sie schon weibliche Azubis hatte, die sich super anstellten. Doch die Arbeit sei hart, die technischen Abläufe setzten einiges voraus. Man brauche körperliche Kraft.

Firma nach frühem Tod des Vaters übernommen

Auch für Susann Mütze war der Anfang alles andere als leicht. Als ihr Vater starb, war nicht viel Zeit zum Nachdenken. Viel zu früh verlor er den Kampf gegen eine schwere Krebserkrankung. Acht Jahre ist das her. Und Susann musste 2015 schnell übernehmen. Die Wunde zwickt noch manchmal. Doch in die Trauer der Tochter hat sich Stolz gemischt. Und Hoffnung.

Dabei war sie 2013 gerade erst in die alte Heimat zurückgekehrt. Nach einem Studium der Holztechnik, das sie im bayrischen Rosenheim abgeschlossen hatte. Der Vater hatte ihr nämlich geraten, es nicht nur bei einem Berufswunsch zu belassen.

Susann Mütze ist stolz auf ihr Team, das aus jungen, aber auch vielen erfahrenen Handwerkern besteht. Nachwuchsprobleme hat die 200 Jahre alte Traditionsfirma nicht. Drei Azubi verstärken das Team.
Susann Mütze ist stolz auf ihr Team, das aus jungen, aber auch vielen erfahrenen Handwerkern besteht. Nachwuchsprobleme hat die 200 Jahre alte Traditionsfirma nicht. Drei Azubi verstärken das Team. © Foto: Anne Hasselbach

Doch Susann Mütze musste in große Fußstapfen treten und ein mittlerweile 200 Jahre altes Unternehmen weiterführen. Denn die Tischlerei Mütze wurde bereits 1823 gegründet. Viele hätten es ihr zugetraut, andere vielleicht nicht. Aber: "Ich hatte immer liebe und fähige Menschen um mich, die Tischlermeister haben mich unterstützt, auch meine Betriebswirtin, dazu das Team meiner Gesellen und Azubi. Ich konnte mich nie beklagen", sagt Susann Mütze.

Die Kamenzer Tischlerei baut seit vielen Jahrzehnten die Forstfestadler für das Schießen der Lehrer und Gäste. Ob es sich bei dem abgebildeten Teil um ein solches Exemplar handelt, weiß Chefin Susann Mütze nicht genau. Zu sehen ist auf jeden Fall ihr Urgr
Die Kamenzer Tischlerei baut seit vielen Jahrzehnten die Forstfestadler für das Schießen der Lehrer und Gäste. Ob es sich bei dem abgebildeten Teil um ein solches Exemplar handelt, weiß Chefin Susann Mütze nicht genau. Zu sehen ist auf jeden Fall ihr Urgr © Privat / Susann Mütze

Gerade als die Töchter geboren wurden, war das mehr als Gold wert. "Sie haben mich auf dem Laufenden gehalten. Obwohl: Nach sechs Wochen Mutterschutz bin ich jedes Mal wieder eingestiegen", sagt Susann Mütze. Auch ihr Lebensgefährte und Vater der Kinder unterstütze sie.

Ihn lernte sie beim Studium in Rosenheim kennen und brachte ihn gleich mit in die sächsische Heimat. Das Paar ist ein eingespieltes Team. Auch wenn er aus einer anderen Branche kommt. "Es ist gut so, dass wir nicht jeden Tag 24 Stunden zusammenhängen. Nicht auszumalen", meint sie mit einem Augenzwinkern.

2018 Gründerinnenpreis gewonnen

Ihre Courage und ihr zupackendes Wesen wurden 2018 mit dem sächsischen Gründerinnenpreis belohnt. Dies ist eine Auszeichnung für erfolgreiche sächsische Unternehmerinnen, die ein junges kleines oder mittelständisches Unternehmen führen. Auch fünf Jahre später macht Susann Mütze dem Ganzen noch alle Ehre. Die Firma läuft, das 13-köpfige Team arbeitet erfolgreich in der Branche. Außerdem gehört ihr Betrieb zur sächsischen Umwelt- und Klimaallianz.

Ururgroßvater Max Arnold hatte seine Firma noch in der Kamenzer Altstadt und produzierte an der Kurzen Straße.
Ururgroßvater Max Arnold hatte seine Firma noch in der Kamenzer Altstadt und produzierte an der Kurzen Straße. © Privat / Susann Mütze

Ihr Vater Dittmar Mütze, der den Betrieb 1988 von seinem Vater übernommen hatte, wäre stolz. Seit 1993 wird im Gewerbegebiet "An der Windmühle" in Kamenz produziert, vorher in der Altstadt am Lessingplatz. Vorrangig immer noch Möbel - individuell, aber auch nach Vorgaben durch Architektur- und Planungsbüros. "Das können 100 Einbauschränke für ein Pflegeheim sein. Oder auch kleinere Chargen für Schulen, Gaststätten, Hotels, Arztpraxen, Krankenhäuser sowie Kindertagesstätten."

Aber auch immer mehr Privatleute kämen zur Tischlerei. Vor allem ältere Kundschaft. "Wir verkleinern ihre Möbel, machen sie passend fürs betreute Wohnen oder Altenheim. Die Leute werfen nicht mehr alles sofort weg und kaufen neu, sondern suchen nach Möglichkeiten, ihren alten Schrank mitnehmen zu können", weiß Susann Mütze.

Und weil ihr die Arbeit noch nicht zu viel ist, agiert die 42-Jährige auch im Berufsbildungsausschuss des Fachverbandes, sitzt im Prüfungsausschuss der Tischlerinnung und nimmt Gesellenprüfungen ab. Und wurde ganz frisch in den Vorstand der Tischlerinnung Bautzen gewählt.