Er rettet zwei Kamenzer Fachwerkhäuser - und erfüllt sich einen Kindheitstraum
Kamenz. Die beiden uralten Fachwerkhäuser Uferstraße Nummer 9 und 11 in Kamenz üben - ähnlich wie die Schneewittchensiedlung am Stadtrand - einen magischen Zauber auf den Betrachter aus. Immer wieder sind sie Anlass für Beiträge in den Sozialen Netzwerken, historische Fotos und Postkarten werden hochgeladen. Jeder in Kamenz kennt die Häuser, aber niemand weiß etwas Konkretes darüber.
Wohnt hier eigentlich noch jemand? Wie alt sind diese Mini-Häuschen überhaupt? Könnten die alten Lehmwände reden, welche Geschichten würden sie erzählen? Die Fachwerkhäuschen aber antworten nicht. Sie stehen seit Jahren leer.
Als im letzten Winter plötzlich in allen Fenstern eines der beiden Häuser kleine Weihnachtssterne leuchten, gehen die Spekulationen los: Hier ist doch jemand eingezogen! Geht jetzt bald der Umbau los? Wer bindet sich denn so etwas ans Bein? Die Rate-Runde ist entfacht.
Markus Borck verfolgt das alles über Facebook mit. Der neue Besitzer der denkmalgeschützten Häuschen kennt mittlerweile sämtliche alte Aufnahmen der Uferstraße, die im Netz die Runde machen. So weiß er, dass früher die Schwarze Elster vor ihrer Verlegung direkt vorm Stubenfenster entlang floss und Anfang Mai die Japanischen Nelkenkirschen vor der Tür so herrlich blühen. Der blass-rosa Blütenwahnsinn wird zum begehrten Fotomotiv, ständig stehen Menschen posierend vor seiner Haustür. Aktuell auch wieder.
"Die Fachwerkhäuser sahen so verwunschen aus"
Borck hat sich eingelebt, aber er kennt hier noch niemanden. Außer die unmittelbaren Nachbarn. Er fährt frühmorgens zur Arbeit, kommt meistens spät heim. An den Wochenenden wird gebaut. Bereits im November 2019 hat er die Schlüssel für die Immobilien in die Hand gedrückt bekommen. "Es war der Tag, als im Grünen Gewölbe in Dresden eingebrochen wurde", sagt er. Deshalb erinnere er sich so gut daran.
Vom ersten Auskundschaften bis zum Termin bei der Notarin seien nur ein paar Monate vergangen. Er habe gerade Geld eingezahlt am Sparkassen-Automaten, als ihm das Exposé der Kamenzer Häuser ins Auge stach. "Ich habe mein Leben lang davon geträumt, einmal in so einem alten Haus zu wohnen, in der Geschichte zu forschen, zu bauen und zu tüfteln - das hier ist mein Kindheitstraum", sagt der 41-Jährige. Als Kind sei er oft in den Ferien zu Besuch beim Großvater im Pfarrhaus gewesen. Das habe ihn geprägt.
Der Verkaufspreis für die beiden Kamenzer Fachwerkhäuser auf dem Exposé erschien dem Ullersdorfer zu gering. "Ich bin neugierig geworden, am nächsten Tag sind wir mit einem Freund nach Kamenz gefahren, um die Lage zu erkunden. Stand ja leider nicht dabei, wo sich die Häuser genau befinden", erzählt er.
Fast hätten sie die Suche schon aufgeben wollen, als sie im Dämmerlicht schließlich daran vorbeifuhren. Das war im August 2019. "Die sahen so verwunschen aus", sagt Markus Borck. Er habe dann den Makler kontaktiert, denn er wollte mehr wissen. Und vor allem hineinschauen.
Dächer der Häuser waren bereits erneuert worden
Freilich sei dann erst einmal Ernüchterung aufgekommen. Der Zustand der leer stehenden Häuser war schlecht. Dazu kam der Denkmalschutz. Das bedeutete Auflagen. Fachleute, die mitreden wollen. Außerdem waren die Häuser nur im Doppelpack zu haben. Und eine Grundschuld war ebenfalls eingetragen. Aber es habe ihm auch weiter in den Fingern gejuckt.
"In der Nummer 11 hatte schon seit 2016 keiner mehr gewohnt", sagt der neue Hausbesitzer. "In der 9 noch länger nicht." Doch die Kinder des letzten Vorbesitzers hatten wahrscheinlich vorgehabt, selber auszubauen. "Wenn die Dächer nicht schon 1999 und 2001 erneuert worden wären, hätte ich die Finger davon gelassen", sagt Markus Borck.
Nachdem sich der damals 37-Jährige entschieden hatte, zuzugreifen, ging alles sehr schnell. "Ich habe meine Wohnung gekündigt, alles durchgerechnet und bin im Februar 2020 nach Kamenz gezogen", erzählt er.
Zuerst habe er eines der Häuser entrümpelt, um sich häuslich einzurichten. Seitdem wohne er auf der Baustelle - und fühle sich trotzdem wohl. Mittlerweile gibt es ein neues Bad, eine erste Fußbodenheizung, neue Holzfenster mit zwei Flügeln und schicken Sprossen sind in Planung. Die Küche ist im Aufbau, das kleine Wohnzimmer bietet alles, was Markus Borck braucht. "Mit Familie ginge das nicht, aber ich bin allein und habe keine Ansprüche. Hier soll alles langsam und behutsam wachsen", sagt er.
Lehmwände sollen wieder atmen können
In den Häuschen kann man aufrecht stehen, doch man sollte nicht größer als 1,80 Meter sein. Alles ist eng, winzig, windschief, ein bisschen wie im Zwergenhaus. Dazu die steilen Treppen. Wahrscheinlich wohnten hier früher auch die ärmeren Schichten der Gesellschaft.
In den ersten Monaten habe er nur entkernt, Schutt rausgetragen, laienhaft verputzte Wände frei gehackt, erinnert sich Borck. Container kann er vor der Tür keinen aufstellen, alles wird im Eimer rausgetragen. "Zu DDR-Zeiten wurde leider oft alles nur überklebt und verschlimmbessert, da habe ich eine Weile zu tun", sagt er. Die denkmalgeschützten Häuser sollen so authentisch wie möglich aufgearbeitet werden, Lehmwände wieder atmen können. Zu vieles werde seiner Ansicht nach in Altstädten mittlerweile "zerbaut".
Natürlich seien mittlerweile Mitarbeiter vom Denkmalsschutzamt dagewesen. Sie hätten gesagt, dass die Bauweise der Häuser auf die Zeit von 1780 bis 1820 hindeute. Im Haus Nummer 9 gibt es eine alte Holzblockwand, wie sie in vielen Umgebindehäusern der Lausitz zu finden ist. Auch sie muss erhalten bleiben.
Allerdings hat in beiden Objekten der Holzwurm einigen Schaden angerichtet. Trotzdem sei die Bausubstanz im Großen und Ganzen solide. "Ich baue so, wie ich Zeit und Geld habe", sagt Markus Borck. In den nächsten Jahren ziehe wahrscheinlich ein Freund in die Nummer 9 ein. Damit wären wieder beide Häuser bewohnt, aber das ist noch Zukunftsmusik.
Hinterm Haus im urigen Garten, wo heute die Schwarze Elster fließt, beginnt gerade der alte Walnussbaum, auszuschlagen. Ein Hoffnungszeichen. Manchmal, sagt Markus Borck, denke er: Wow - wie bin ich nur hierhergekommen?