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Kamenzer Werkstatt-Chefin sagt Tschüss

Mehr als 30 Jahre leitete Barbara Wobser die Werkstatt für behinderte Menschen in Kamenz. Jetzt geht sie in Rente. Was sie stolz macht und worauf sie sich nun freut.

Von Reiner Hanke
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Barbara Wobser ist seit über 30 Jahren Chefin der Werkstatt für behinderte Menschen St. Nikolaus in Kamenz. Jetzt geht sie in den Ruhestand.
Barbara Wobser ist seit über 30 Jahren Chefin der Werkstatt für behinderte Menschen St. Nikolaus in Kamenz. Jetzt geht sie in den Ruhestand. © Matthias Schumann

Kamenz. Barbara Wobser ist schon ein bisschen aufgeregt - und das nach 41 Berufsjahren in der Werkstatt für behinderte Menschen St. Nikolaus in Kamenz, gut 30 Jahre davon als Leiterin.

Doch die Aufregung hat einen Grund. Es sind die letzten Tage in ihrem Berufsleben. Und die Belegschaft hat auch noch ein Programm zum Abschied vorbereitet. Immer wieder stecken Wegbegleiter den Kopf zur Bürotür herein, wollen Wünsche und Blumen loswerden. Im Schneegestöber erklingen dann draußen Lieder. So einen Rummel um die eigene Person - nein, den mag Barbara Wobser eigentlich nicht.

Die Menschen in der Werkstatt seien ihr wichtig. Von ihnen verabschiedet sie sich jetzt. Dass die letzten beiden Berufsjahre mit der Corona-Pandemie noch einmal eine so große Herausforderung werden würden, das habe sie natürlich nicht angenommen. Sie denke aber, dass gerade auch ihre große Erfahrung sehr geholfen habe, die Werkstatt gut durch diese schwierige Zeit zu steuern.

Täglich 150 Corona-Tests nötig

Durch Corona sei die Verunsicherung, seien Ängste gerade auch für psychisch kranke Menschen besonders groß. Sie brauchen Halt, Hilfe, die Gemeinschaft. Und es sei ja Auftrag der Werkstatt, Menschen mit Handicap eine Heimat zu geben, sie nicht fallen zu lassen und die Arbeitsplätze zu erhalten. „Wir haben nicht geschlossen, sondern alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um weiterzumachen.“ Es sei die richtige Entscheidung gewesen, findet Barbara Wobser.

Der Aufwand für den Corona-Schutz mit all den Hygiene-Maßnahmen sei allerdings riesig. Aber die Werkstatt sei bisher sehr gut durch die Pandemie gekommen, mit wenigen positiven Fällen und keinen schweren Verläufen.

Allein rund 150 Corona-Tests gebe es täglich. 85 Prozent der Belegschaft seien inzwischen geimpft, dazu kämen noch ein paar Genesene.

Von der Wäscherei bis zur Landschaftspflege

St. Nikolaus hieß die Werkstatt freilich nicht immer. Nach der politischen Wende 1989/90, als sich der Staat zurückzog, musste sich die Mannschaft neu orientieren, auch einen neuen Träger finden. Das ist seitdem das Christliche Sozialwerk (CSW), eine gemeinnützige Gesellschaft. Damit kam der Name.

Auch der Standort der Werkstatt änderte sich in den vergangenen 40 Jahren mehrfach bis hin zum Neubau in der Nähe des Kamenzer Flugplatzes. Der erhielt vor fünf Jahren noch einen Anbau, weil neue Geschäftsfelder mehr Platz brauchten. Nach 1990 waren die erst einmal komplett weggebrochen.

Die Werkstatt musste damals neue Kontakte knüpfen. So recyceln die Frauen und Männer Elektronikschrott und arbeiten in der Landschaftspflege. Es gibt eine Näherei und eine Wäscherei.

Das alles managte Barbara Wobser, inklusive der Außenstellen wie dem Lorenzhof. Dabei betont sie immer wieder: Ohne das tolle Team, die Unterstützung wäre der Erfolg unmöglich gewesen.

Hier arbeiten mehr als 230 behinderte Menschen

Über 230 behinderte Menschen zählt die Werkstatt heute, vor reichlich 30 Jahren waren es nur gut 40. Damit haben heute viel mehr Menschen mit Handicap eine Chance zu lernen, Erfüllung in einem Job finden, unter Leuten zu sein, kulturelle Ereignisse und Gemeinschaft zu erleben. Denn St. Nikolaus, sagt die scheidende Chefin, sei mehr als nur eine Werkstatt.

„Wir sind alle traurig“, sagt Nicole, die gerade Verbandstaschen zusammenstellt, ein weiteres Standbein von St. Nikolaus. Natürlich, meint Barbara Wobser, werden ihr die Schützlinge fehlen. Einige von ihnen habe sie über viele Jahre begleitet, sie sei schon ein bisschen stolz und glücklich über die Entwicklung, zum Beispiel von Katrin, die ihre Zurückhaltung abgelegt, lesen und schreiben gelernt habe, was sie nun in ihrem Job anwenden könne.

Oder Matthias, den mehrere Einrichtungen abgewiesen hätten. Jetzt stelle er Verpackungen für ein großes Werk zusammen und habe sich spitzenmäßig entwickelt. „Die Chefin geht nun leider, aber sie wird in unseren Herzen bleiben“, sagt er. Sie werde die Werkstatt vermissen, sagt Wobser. Mit 63, nach 45 Arbeitsjahren, seien nun aber die jungen Leute dran, Verantwortung zu übernehmen.

Die Nachfolge ist noch ungeklärt

Die Nachfolge war eigentlich schon geregelt, hat sich dann aber doch wieder zerschlagen. CSW-Geschäftsführer Peter Leuwer sagt, es sei in der heutigen Zeit schwierig, Personal für solche Leitungsaufgaben zu finden. Die Stelle werde jetzt noch einmal ausgeschrieben.

Für die Übergangszeit sei die Werkstatt gut aufgestellt, findet Barbara Wobser. Sie hinterlasse funktionierende Strukturen und ein eingespieltes Team. Aufträge seien da. So könne sie sich zurückziehen. Dabei spielen auch gesundheitliche Gründe eine Rolle. Bis sie den Ruhestand so richtig genießen kann, geht es erst einmal ins Krankenhaus zur Knie-OP. Aber dann sei Zeit für die Enkel und, um Sprachkenntnisse für Reisen aufzubessern.

„Aber Sie kommen uns auch mal besuchen?“, fragt Nicole. „Versprochen“, sagt Barbara Wobser.