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Viel mehr als nur "Ummtata": Das Blasorchester Kamenz feiert seinen 60.

Zu DDR-Zeiten von Militärs gegründet, im vereinten Deutschland ein Verein - das Blasorchester ist auch ein kleines Stück Kamenzer Stadtgeschichte.

Von Torsten Hilscher
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Das Kamenzer Blasorchester im Herzen: Vorsitzender Jens Planert, Sebastian Wels, der sich um Organisation und Öffentlichkeitsarbeit kümmert, sowie der langjährige musikalische Leiter Christian Wagner (v.l.).
Das Kamenzer Blasorchester im Herzen: Vorsitzender Jens Planert, Sebastian Wels, der sich um Organisation und Öffentlichkeitsarbeit kümmert, sowie der langjährige musikalische Leiter Christian Wagner (v.l.). © Foto: Anne Hasselbach

Kamenz. Christian Wagner ist stolz. "Nicht wahr, meine 81 Jahre sieht man mir nicht an?! Das macht die Musik." Der mehr als rüstige Rentner fungierte lange Jahre als musikalischer Leiter des Blasorchesters Kamenz, das in diesen Tagen seinen Geburtstag feiert.

46 Mitglieder zählt der Klangkörper, heute ein Mix aus Männlein und Weiblein. "Die Gründungsstärke lag bei 35 Mann", sagt Jens Planert. Der 78-Jährige ist der aktuelle 1. Vorstand. Die Betonung liegt auf "Mann", denn das Orchester wurde von Militärs gegründet: "Es wurde auf Befehl der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) aus der Taufe gehoben", erklärt Planert.

Die GST war nicht irgendein Sportverein. Hinter den drei Buchstaben verbarg sich - betrachtet man die neuere Geschichtsschreibung - eine paramilitärische DDR-Vereinigung, der im Ernstfall, ähnlich den Betriebskampfgruppen, spezielle Aufgaben zugewiesen worden wären. Gerade bei jungen Leuten hatte die GST dennoch einen guten Ruf. Hier konnte man unkompliziert Sportschütze werden oder, viel wichtiger, ohne lange Wartezeiten seinen Führerschein machen.

Am Anfang: Notenkunde und Marschieren üben

"Binnen eines Jahres stand das Orchester!", erzählt Planert. Schon damals habe das Repertoire nicht nur aus Märschen, sondern auch aus Polka, Walzer und diversen Medleys bestanden. Die Laienmusiker wurden von den Profis einer strengen Ausbildung unterzogen. Nicht nur musikalisch. Denn weil es sich erklärtermaßen um ein militärisch geprägtes Orchester handelte, wurden auch Marschieren, Stillstehen sowie Schwenks in Formation geübt.

Der gute Geist und Kopf seit Gründung war Georg Haake vom NVA-Musikkorps. Haake starb 1976. Bis dahin aber hatten sich die Kamenzer Blechbläser zu einer überregional gefragten Kapelle entwickelt: Gastspiele und GST-Meisterschaften führten sie bis (Ost-)Berlin, Cottbus und Wittstock.

Doch zurück in die 1970er. Vor allem unter den anderen GST-Orchestern hatten sich die Kamenzer inzwischen einen Namen gemacht. So war es 1974 Zeit für eine besondere Ehre: Der ideologisch feste und handwerklich saubere Klangköper erhielt den Namen "Fritz Weineck". Mehr ging nicht, verbirgt sich doch hinter dem Namen jener berühmte "Kleine Trompeter", den bereits die Kinder in DDR-Schulen besangen; das "lustige Rotgardistenblut", das einer faschistischen Kugel zum Opfer fiel.

Zwar ist das Lied um einiges älter und das junge kommunistische Opfer (es fiel 1925 einer Polizeikugel zum Opfer) nicht das Original, dem sich das Lied widmete. Doch der Ehrenname für die Kamenzer Blechbläser war Auszeichnung und Verpflichtung zugleich. Mit diesem Namen ging es in den 1980ern auch auf internationales Parkett. Die Stationen hießen nun Moskau, Leningrad oder Minsk.

Heute wird auch Jazz und Filmmusik gespielt

1990 dann der große Wechsel. Heraus aus der Uniform, hinein in eher volkstümliche Tracht. Ganz ohne Zapfenstreich. Doch aber endlich mit der Möglichkeit, auch den Westen und dortige Orchester wie auch regionale Feste kennenzulernen. "Gleichzeitig wurde hier unser Verein gegründet. Wie das eben so üblich war", berichtet Sebastian Wels. Spielt er in der Freizeit nicht Flügelhorn im Orchester, widmet er sich der Organisation und der Öffentlichkeitsarbeit für den Verein.

Mit seinen 47 Jahren gehört er eher zur jüngeren Fraktion - ein Umstand, der dem Blasorchester am meisten zu schaffen macht. Besonders Christian Wagner bedauert das. Der Diplom-Musikpädagoge hatte im Jahr 2000 die musikalische Leitung übernommen. In seine Leitungszeit fallen Gastspiele in Spanien und "Ausgründungen" wie die einer 10-köpfigen Minikapelle oder der "Red Tower Bigband".

Tatsächlich hat sich das "Blasorchester der Lessingstadt Kamenz e.V.", so der vollständige Name, inhaltlich weiterentwickelt. Jazz und andere moderne Musik ist hinzugekommen. Stimmungslieder und Filmmusiken gehören fest zum Programm. Auch manch bekannte Musicalmelodie wird zu Gehör gebracht. Man findet die Hobby- und Profimusiker weiter beim Kamenzer Forstfest, Ehrensache. Man findet sie zudem auch bei Umzügen in Freiberg, Löbau, zum Stadtfest in Elstra, zum Schlossparkfest in Pulsnitz. Oder zuletzt am Sonnabend bei der eigenen Feier zum 60. im Kamenzer "Flair"-Hotel.

Tusch! Die große Feier zum 60. fand am Sonnabend im Kamenzer "Flair"-Hotel statt.
Tusch! Die große Feier zum 60. fand am Sonnabend im Kamenzer "Flair"-Hotel statt. © Foto: Anne Hasselbach

Wenn da nicht ... Ja, wenn da nicht die Sache mit dem Nachwuchs wäre. "Die Sache ist akut", beklagen Planert, Wagner und Wels unisono. "Gerade Corona hat das Üben mit dem Nachwuchs fast völlig zum Erliegen gebracht", sagt Wagner. Allein er spielt mehrere Instrumente und hätte einiges weiterzugeben. Bei der letzten Schnupperstunde schaute nur ein (!) kleines Mädchen vorbei, das sich für Trompete interessierte.

Musikalischer Nachwuchs dringend gesucht

Dabei wird kein Mitgliedsbeitrag erhoben. Obwohl die Satzung das durchaus zuließe. Zwar gibt es Spender, und auch der Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz (parteilos) lasse sich nicht lumpen, wenn die Blaskapelle Unterstützung braucht, lobt Planert. Doch habe einmal jemand tieferes Interesse, wäre da eben die unschlagbare "Konkurrenz" aus Oberlichtenau. Der dortige Spielmannszug ziehe dank seines inzwischen weltweit bekannten Namens und der staatlichen Unterstützung einfach alles ab.

Daher bitten die Kamenzer mit Blick auf die nächsten 60 Jahre: "Es werden eindringlich interessierte Musikanten in allen Instrumentengruppen zum Mitmachen gesucht."