SZ + Feuilleton
Merken

Debatte über "The Zone of Interest": Was dürfen Holocaust-Filme zeigen?

Der Holocaust-Film mit zwei Hauptdarstellern aus Sachsen ist Oscar-Gewinner. Doch es gibt auch Kritik – wie so oft bei Filmen zu diesem Thema.

 3 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Die Leipzigerin Sandra Hüller (li.) und der Dresdner Christian Friedel (Mitte) spielen das Ehepaar Höß im Holocaust Film „The Zone of Interest“.
Die Leipzigerin Sandra Hüller (li.) und der Dresdner Christian Friedel (Mitte) spielen das Ehepaar Höß im Holocaust Film „The Zone of Interest“. © dpa/Leonine

Von Gregor Tholl

Bester internationaler Film bei den Oscars, Hunderttausende Kinobesucher in Deutschland: „The Zone of Interest“ sorgt derzeit für Furore. Der Film mit dem Dresdner Christian Friedel und der Leipzigerin Sandra Hüller in den Hauptrollen wird hochgelobt. Der Chef des Springer-Verlags, Mathias Döpfner, schrieb in der Zeitung Die Welt, es sei „der vielleicht beste Holocaust-Film, der je gedreht wurde“. Doch es gibt auch Kritik: Manche werfen dem Film Verharmlosung von Antisemitismus vor.

So schrieb die Schriftstellerin Mirna Funk unter der Überschrift „Einen Oscar für die Hetze gegen Israel“ in der Neuen Zürcher Zeitung, der Film zeige „keine Shoah-Opfer“, weil es darin „um den Holocaust geht, ohne von ihm zu erzählen“. Dem britischen Regisseur Jonathan Glazer warf sie vor, ihm sei „der Holocaust in seiner Singularität vollkommen egal“.

Entzündet hatte sich diese Kritik an Glazers Dankesrede bei der Oscar-Verleihung. Darin hatte er das Massaker der Hamas ebenso wie die israelischen Angriffe auf Gaza kritisiert und „The Zone of Interest“ in den Kontext der aktuellen Debatten gestellt: „Unser Film zeigt, wohin die Entmenschlichung im schlimmsten Fall führt.“

Am Rande des Vernichtungslagers

Tatsächlich blendet sein Film die Bilder aus dem Vernichtungslager Auschwitz bewusst aus. Der Film spielt am Rande des Lagers. Gezeigt wird in tagebuchartigen Szenerien der Alltag der Familie von Kommandant Rudolf Höß. Haushalt, Garten, Badeausflüge, Fußballbericht im Radio, Gutenachtgeschichten für die Kinder, aber auch judenfeindlicher Small Talk. Nur eine Mauer trennt das Anwesen vom Massenmord.

Ungewöhnliche Soundeffekte (Schreie, Hundegebell) erzeugen eine düstere Atmosphäre. Die Botschaft: Nazis waren keine Monster, sondern Leute wie du und ich, Abgestumpfte, die auch nur ihren Alltag bewältigen wollten. Hilft das, um den staatlich organisierten Völkermord an den Juden zu begreifen?

Idyllisches Familienleben direkt neben dem Vernichtungslager: eine typische Szene aus dem Film "The Zone of Interest".
Idyllisches Familienleben direkt neben dem Vernichtungslager: eine typische Szene aus dem Film "The Zone of Interest". © dpa/Leonine

Dass ein Film über die Nazi-Zeit polarisiert, ist keine Premiere. 2002 fanden Kritiker Roman Polanskis Filmdrama „Der Pianist“ über den Warschauer-Ghetto-Überlebenden Wladyslaw Szpilman zu ästhetisierend. Vor 25 Jahren gewann die italienische KZ-Farce „Das Leben ist schön“ bei den Oscars, als beste nicht-englischsprachige Produktion und für die Musik.

Zum ersten Mal in der Oscar-Geschichte wurde mit Roberto Benigni ein Schauspieler aus einem fremdsprachigen Film zum besten Darsteller gekürt. Benigni spielt unter eigener Regie den italienischen Juden Guido, der im KZ seinen kleinen Sohn Giosué mit immer neuen komödiantischen Einfällen vor dem Grauen zu schützen versucht. Vor den Oscars hatte es auch Kritik gegeben. Darf man das: Komik und KZ verbinden?

"Beleidigung für die, die umkamen"

Der mit sieben Oscars ausgezeichnete Spielfilm „Schindlers Liste“ (1993) von Steven Spielberg wurde als Prototyp sogenannter Holocaust-Pornografie bezeichnet – also als Film mit expliziten, aber eben gestellten Bildern des Leids. Spielberg wurde vorgeworfen, eine Story mit Happy End aus der Nazi-Zeit zu inszenieren. Der französische Regisseur und Dokumentarfilmer Claude Lanzmann warf Spielberg vor, die Gräuel der Nazis mit seiner Re-Inszenierung fürs Blockbuster-Kino zu verharmlosen.

Auch die berühmte US-Serie „Holocaust“ (1979) stieß seinerzeit auf Kritik. Der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel bezeichnete den TV-Mehrteiler als Seifenoper und „Beleidigung für die, die umkamen, und für die, die überlebten“. (dpa mit SZ/mk)