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Diese Dresdner Musikerin komponiert mit künstlicher Intelligenz

Die promovierte Komponistin Artemi-Maria Gioti bringt Studenten in Dresden bei, wie sie Computerprogramme zu künstlerischen Partnern machen.

Von Andy Dallmann
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Artemi-Maria Gioti, Dozentin an der Dresdner Musikhochschule, arbeitet als Komponistin und Forscherin bereits seit Längerem mit Künstlicher Intelligenz
Artemi-Maria Gioti, Dozentin an der Dresdner Musikhochschule, arbeitet als Komponistin und Forscherin bereits seit Längerem mit Künstlicher Intelligenz © Lucija Novak

Natürlich sitzt Artemi-Maria Gioti nicht mit einem Stift vor lauter Notenblättern und kritzelt mit der Hand eine Partitur darauf. Als Komponistin arbeitet sie wie die meisten Kolleginnen und Kollegen weltweit mit einer Tastatur, setzt auf spezielle Programme und ordentliche Rechenleistung. „Anfangs war der Computer für mich nur ein gutes Werkzeug“, sagt sie. „Doch später habe ich ihn auch als eine Art Co-Autor und künstlerischen Partner entdeckt.“

1990 in der Nähe von Thessaloniki geboren, studierte sie an der dortigen Universität Komposition. Ihr frühes Interesse für Klänge und Technik wollte sie jedoch in der Ausbildung bündeln. So ging sie erst nach Wien, anschließend an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz, wo sie sich ganz auf Computermusik konzentrierte. „Ich beschloss dann, auch meinen Doktor zu machen“, erklärt sie mit einem fast verschämten Lächeln. „Das ging am besten in Graz, wo ich mich ja schon speziell mit der künstlerischen Interaktion von Mensch und Maschine beschäftigt hatte und die Bedingungen optimal waren.“ Sie zog das Projekt erfolgreich durch, bekam ihren akademischen Titel und ist nun promovierte Komponistin. Abheben ließ sie das jedoch nicht. Artemi-Maria Gioti erklärt so unaufgeregt wie geduldig, was genau sie macht, und bleibt sogar gelassen, wenn ihr jemand nicht so ganz folgen kann. Lachend erklärt sie: „Meine Eltern haben die Verteidigung meiner Doktorarbeit via Live-Stream verfolgt. Sie haben überhaupt nichts verstanden, waren danach aber unheimlich stolz auf mich.“

„Man kann hier super arbeiten“

Für ihren derzeitigen Job ist es wiederum wichtig, dass zumindest ihre Studenten sie verstehen. Seit März 2022 arbeitet sie am Hybrid Music Lab der Dresdner Musikhochschule. Dieses ging aus dem 1984 von Friedbert Wissmann gegründeten Studio für Elektronische Musik hervor, das seit 2020 von Professor Stefan Prins unter dem neuen Namen geleitet wird. „Künstlerische Arbeiten entstehen heute unter Verwendung verschiedenster Medien, Quellen und Perspektiven, verschiedener Interaktionen zwischen physischen und virtuellen Identitäten, und werden auf verschiedenen Plattformen präsentiert“, heißt es in der Selbstbeschreibung. Das Lab mache es möglich, „Grenzen zwischen Disziplinen und Präsentationsformen zu überschreiten, neue musikalische Unternehmungen zu verwirklichen“. Artemi-Maria Gioti ist hierbei die Expertin im Umgang mit künstlicher Intelligenz. Exakt das sei auch der Schwerpunkt in der Ausschreibung ihrer Stelle gewesen. „Deshalb habe ich mich ja beworben, obwohl ich fast nichts über Dresden wusste. Und es war eine sehr gute Entscheidung, weil man hier super arbeiten kann.“

In nahezu akzentfreiem Deutsch erklärt sie, wie groß das Interesse der Studenten an den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem Computer-Partner sei. „Mir ging es einst ähnlich.“ Sie sei als „normale“ Komponistin zuerst in Wien mit Live-Elektronik konfrontiert worden und habe sofort das Potenzial entdeckt. Seither verfasste sie nahezu ausschließlich Werke für akustische Instrumente und interaktive Elektronik. Das Besondere dabei ist, dass ein Musiker, etwa ein Schlagzeuger wie in „Imitation Game“, live mit einem „robotischen Perkussionisten“ spielt. „Das Stück bekommt dadurch quasi drei Autoren“, sagt Artemi-Maria Gioti. „Die Komponistin, den Performer und die künstliche Intelligenz; folglich wird es auch bei jeder Aufführung anders klingen.“

So begeistert sie zunächst davon war, mit künstlicher Intelligenz zu arbeiten, so kritisch sieht sie heute jedoch die Entwicklung und hinterfragt vieles. „Die Computerwissenschaft tut so, als wären die Daten, mit denen diese Programme hantieren, neutral, einfach so vorhanden. Doch man findet Daten nun mal nicht wie Holz oder Steine in der Natur, sie sind immer das Ergebnis von menschlicher Kreativität.“

Diese rechtlich-ethische Ebene interessiere sie besonders. Weil es nicht nur viele offene Fragen im Hinblick auf Urheberrechte gebe, sondern zugleich gefährliche rassistische Aspekte. „Ich habe die KI ein Stück ,im Stile von Artemi-Maria Gioti‘ komponieren lassen. Das Ergebnis machte mich fassungslos.“ Heraus kam „Aegean Dreams“, eine Nummer voller putziger griechischer Folklore-Elemente. „Und das nur, weil die KI im Netz gefunden hat, dass ich Griechin bin und mich angeblich mit der typischen Musik meiner Heimat beschäftige. Was eindeutig falsch ist.“

Angst vor Missbrauch

Schadet der Einsatz von KI der menschlichen Kreativität? „Das wissen wir noch nicht“, erklärt die Expertin. „Sicherlich müssen wir aber Kreativität neu definieren.“ Wichtig sei, dass mittlerweile alle über dieses Thema diskutieren würden. „Man kann die künstliche Intelligenz doch nicht mehr ignorieren, wir müssen vielmehr den Umgang mit ihr besser verstehen und regeln.“ Immerhin ist ein förmlich erwartbares Problem für sie keins. „In meiner Branche wird kaum jemand mithilfe von KI die Musik eines anderen abkupfern. Im Pop, wo es um Massenumsätze und damit um richtig viel Geld geht, könnte das schon weitaus eher für einige Probleme sorgen.“

Erneut verweist sie auf die ungeklärte Urheberschaft all der im Netz frei verfügbaren Daten. „Das wird uns ganz sicher in den nächsten Jahren massiv beschäftigen.“ Aus Angst vor Missbrauch gar nichts mehr online zu teilen, ist aus ihrer Sicht jedoch auch keine Lösung. „Die KI kann ohne diese Daten überhaupt nichts. Erst der Zugriff auf so viele Informationen wie möglich lässt sie etwas Passables zustande bringen. Und deshalb braucht es klare Regeln für den Umgang mit den Daten.“

Sie selbst forscht nicht nur auf diesem Gebiet, arbeitet an eigener Musik und unterrichtet in Dresden. Sie hat zudem einen Nebenjob als wissenschaftliche Mitarbeiterin am University College London und ist in ein bis 2026 laufendes Projekt des Europäische Forschungsrates zur Bedeutung künstlicher Intelligenz eingebunden. So schwärmt sie zwar vom reichhaltigen kulturellen Angebot Dresdens, das sie schon genieße. „Doch für irgendwelche Hobbys habe ich keine Zeit.“ Sie lächelt wieder sacht und schiebt flugs nach: „Meine Arbeit ist aber auch zugleich mein Hobby.“