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Fürs Moritzburg Sommer-Festival wird Musik aus dem Winterschlaf geholt

Geiger Kai Vogler ist seit Beginn des Kammermusik-Festivals dabei und stets begeistert. Längst musiziert die Tochter mit, und auch die Enkelin ist anwesend.

Von Bernd Klempnow
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Immer wieder ein atemberaubender Anblick: das Schloss Moritzburg. Vor dieser Kulisse wird in den nächsten Tagen musiziert. Das 31. Moritzburg Festivals startet an diesem Freitag.
Immer wieder ein atemberaubender Anblick: das Schloss Moritzburg. Vor dieser Kulisse wird in den nächsten Tagen musiziert. Das 31. Moritzburg Festivals startet an diesem Freitag. © Arvid Müller

Perlen für die Ohren – wenn an diesem Freitag das diesjährige Moritzburg Festival startet, dann erklingen wieder zwei Wochen lang Kostbarkeiten der Kammermusikliteratur und auch Raritäten. Mitunter macht auch die Besetzung den feinen Unterschied: So gibt es am Freitag Heitor Villa-Lobos’ populäre „Bachianas Brasileiras“ – freilich in der Besetzung für acht Violoncelli. Zudem erklingt Brahms’ Streichsextett Nr. 1 B-Dur – hier sind unter anderem der Geiger Kai Vogler und dessen Cello spielende Tochter Margarethe zu erleben.

„Margarethe kennt das Festival von Beginn an“, sagt Kai Vogler, zunächst war sie eines der Festival-Kinder der musizierenden Eltern. Später trat sie als Gast in Moritzburg auf – so wie jetzt. Da sind dann quasi alle Dresdner Voglers vereint: unter anderem mit Intendant Jan Vogler und dessen Gattin Mira Wang. Sogar die kleine Enkelin von Kai wird in Moritzburg dabei sein und sicher von dieser unvergleichlichen Atmosphäre des Festivals für Kammermusik mitgeprägt werden.

Für Kai Vogler ist dieses Fest im und am augusteischen Schloss der jährliche August-Alltag, seitdem er es mit Bruder Jan und Kollege Peter Bruns 1993 ins Leben gerufen hatte. Vorbild war das berühmte „Marlboro Festival“ in den USA. Die drei formten Moritzburg zu einem experimentellen Labor und Exzellenzstätte zugleich. Später übernahm Jan die Leitung allein und öffnete das Festival noch weiter. „Tatsächlich gibt es keinen meiner vielen Jahrgänge, den ich missen möchte. Jedes Mal ist das Festival mit seinen Eindrücken, Anregungen und schönen Aufgaben eine Bereicherung“, sagt Kai.

Kai Vogler, heute 60 Jahre alt, gehört zu den Gründern des Moritzburg Festivals.
Kai Vogler, heute 60 Jahre alt, gehört zu den Gründern des Moritzburg Festivals. © PR-Foto

Blickt der heute 60-Jährige zurück, dann gibt es deutliche Veränderungen. Sie hätten 1993 mit sieben Konzerten angefangen, heute sind es 18. Damals reisten die Künstler an, probten eine Woche, und erst dann starteten die Veranstaltungen. Heute ist da Programm so dicht, dass die meisten Proben während des Festivals laufen müssten. Kai Vogler ist an acht Abenden dabei. Zu deren Proben kommen jene mit dem Festival-Akademisten, die teils mit den „Senioren“ musizieren oder als Jung-Formationen wie im Kulturpalast auftreten. „Egal, welche Konzertform wir pflegen und welche Neuigkeit wir eingeführt haben, an erster Stelle stand und steht immer die Qualität. Bei uns sind die gemeinsamen Proben die Grundlage für den Erfolg, durchreisende Künstler, wie bei anderen Festivals üblich, gibt es bei uns eigentlich nicht.“

Insofern ist Moritzburg im besten Sinne elitär, weil die Voglers besondere Angebote, aber eben für ein breites Publikum machen, niemanden ausschließen. „Der Zuspruch rechtfertigt jede Neuerung“, so Kai, wenn sie neue Spielstätten ausprobieren oder Events anbieten wie Spitzenkoch-Galas. Kein Jahrgang ist wie der andere.

Die meisten Konzerte sollen wieder auf der Nordterrasse von Schloss Moritzburg stattfinden. Da passen mehr Zuhörer hin, als in den Sälen vom Schloss. Manch Vogel stimmt in die Konzerte ein.
Die meisten Konzerte sollen wieder auf der Nordterrasse von Schloss Moritzburg stattfinden. Da passen mehr Zuhörer hin, als in den Sälen vom Schloss. Manch Vogel stimmt in die Konzerte ein. © Oliver Killig

Aber zum Glück gibt es ab und an Wiederholungen. Zum Jubiläum spielen drei Experten zusammen, die es schon oft hier getan haben: Kai und Jan musizieren mit dem Bratscher Ulrich Eichenauer. Sie interpretieren Schönbergs hoch kompliziertes, selten gespieltes Streichtrio op. 45. „Wenn Schönbergs spätes Streichtrio dann auf Wagners romantisches ‚Siegfried Idyll‘ trifft, ist der Charakter des Festivals mit dieser Begegnung gut beschrieben. Neues trifft Altes, und alles misst sich mit der Kraft der Natur, die um das märchenhafte Schloss herum Musiker und Gäste gleichermaßen in ihren Bann zieht“, sagt Jan. Sein Bruder stimmt zu: „Die Kombinationen der Künstler und der Werke machen den Reiz von Moritzburg für mich aus.“

Besonders freut sich der Geiger auf das Konzert am 13. August. Da liegt mit Beethovens „Erzherzogs“-Klaviertrio ein Werk auf den Pulten, das die sinfonische Form mit seiner Ideenvielfalt fast sprenge. Kombiniert wird es mit Tanejews Streichquintett Nr. 2. Dieses offenbart die viel beschworene Zerrissenheit der „russischen Seele“. Den Moritzburg-Künstlern um Kai ist seine Wiederentdeckung zu danken. „Es lag vergessen in der Staatsbibliothek Berlin. Dort haben wir die unzähligen Notenblätter kopiert, geschnitten und geheftet. Wir haben es quasi aus dem Winterschlaf geholt.“

Das Moritzburg Festival: Seit 30 Jahren Garant für erlesene Kammermusik und Raritäten

  • Das Moritzburg Festival verbindet seit 30 Jahren Nationen und Musikergenerationen. In diesem Jahr sind vom 4. bis 20. August 18 Veranstaltungen mit 30 Solisten unterschiedlichen Alters geplant.
  • Ein Höhepunkt ist die Aufführung der Liebeslieder-Walzer von Brahms mit Starsopranistin Christiane Karg und Kollegen am 12. August. Gipfelwerke der Kammermusik erklingen am 13. August mit Beethovens Klaviertrio Nr. 7 B-Dur, das dem selten zu hörenden Streichquintett Nr. 2 C-Dur von Sergej Tanejew an die Seite gestellt ist. Kartentel. 0351 16092615.
  • Starke Impulse soll wieder die seit 2006 unter der Direktion der Geigerin Mira Wang stehende Moritzburg Festival Akademie geben. Aus etwa 400 Bewerbungen wurden 42 Studenten aus 16 Nationen ausgewählt, die Kammermusik- und Orchesterliteratur erarbeiten und interpretieren. So ist das Orchester am 19. August im Kulturpalast zu Gast. Es wird mit Tiffany Poon und Louis Lortie als Solisten Max Bruchs selten gespieltes Konzert für zwei Klaviere & Orchester as-Moll geben.
  • Das Eröffnungskonzert am 4. August wird live im ARD-Radiofestival übertragen. Wie schon in den vergangenen Jahren erklingt der überwiegende Teil der Konzerte auf der Nordterrasse von Schloss Moritzburg unter freiem Himmel (Schlechtwettervariante in der Kirche), nur am 9. August und für das Abschlusskonzert kehrt das Festival in die Evangelische Kirche Moritzburg zurück.
  • Vorfreude auf die Konzerte weckt die aktuelle Moritzburg-Festival-CD mit den Cellokonzerten von Édouard Lalo und Enrique Casals, die Intendant Jan Vogler im Herbst 2022 mit dem Festival Orchester für Sony Classical eingespielt hat.