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Konservativ ist nicht gleich "Nazi"

Die sächsische Bestsellerautorin Daniela Krien spricht über Debattenkultur, Geschlechterkrieg und die Kindheit im Osten.

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Daniela Krien wurde 1975 in Neu Kaliß geboren und wuchs im Vogtland auf. Sie arbeitete als Zahnarzthelferin und studierte Kultur- und Kommunikationswissenschaften.
Daniela Krien wurde 1975 in Neu Kaliß geboren und wuchs im Vogtland auf. Sie arbeitete als Zahnarzthelferin und studierte Kultur- und Kommunikationswissenschaften. © Foto: Maurice Haas / Diogenes

An diesem Donnerstag wird Daniela Krien in Leipzig mit dem Sächsischen Literaturpreis ausgezeichnet. Er ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Autorin porträtiert selbstbewusste Frauen in den Romanen „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“, „Die Liebe im Ernstfall“ und im Erzählband „Muldental“. Gegenwärtige politische Konflikte sind stets spürbar. Im Juli erscheint bei Diogenes der neue Roman „Der Brand“ von Daniela Krien.

Man zahlt immer einen Preis. Könnte dieser Satz aus dem Band „Muldental“ nicht eigentlich über all Ihren Büchern stehen?

Das könnte er sicher, er entspricht meiner Erfahrung und vermutlich der Erfahrung der meisten Menschen. Jede Medaille hat zwei Seiten. Kein Mensch kommt im Leben ungeschoren davon, nicht einmal jene, die dem Risiko aus dem Weg gehen. Auch ich bemühe mich um das richtige Maß, und dennoch gerate ich immer wieder in extrem schwierige, aber unvermeidbare Situationen. Darum glaube ich an Schicksal.

Die jüngere Ihrer beiden Töchter ist schwerstbehindert. Ist das Schicksal?

Ja, denn es passiert höchst selten, dass ein Kleinstkind nach einer Impfung so schwere bleibende Schäden erleidet. Damit rechnet man nicht. Aber auch diese Medaille hat zwei Seiten. Ohne diesen Schicksalsschlag wäre ich nie wieder ernsthaft zum Schreiben zurückgekehrt. Das habe ich nur getan, weil ich mit meiner Unflexibilität aus dem Berufsleben herausfalle. In meinem Fach, in der Kultur- und Kommunikationswissenschaft, gab es keine Arbeit für mich. Wenn meine 15-jährige Tochter jetzt vom Fahrdienst aus der Schule gebracht wird, muss ich da sein, jeden Tag, jedes Wochenende.

Haben Sie sich gegen Corona impfen lassen?

Ja, trotz aller Skepsis. Aber ich darf ja als Pflegerin meiner Tochter nicht ausfallen.

Ist es schwerer, zu funktionieren, oder zu wissen, dass man immer funktionieren muss?

Am schwersten ist der Gedanke: Was wird mit meiner Tochter, wenn ich mich einmal nicht mehr um sie kümmern kann? Wird sie an gute Menschen geraten? Ich kann es nur hoffen.

Wie haben Sie es geschafft, nicht mit dem Schicksal zu hadern?

Es hat Jahre gedauert, bis ich gelernt habe, mit meinem Kind ein gemeinsames Glück zu finden. Dabei hat mir ein Buch des jüdischen Psychologen Viktor E. Frankl geholfen, „… trotzdem Ja zum Leben sagen“. Er hat es nach seinen Leidensjahren in Konzentrationslagern geschrieben. Die Kernaussage ist: Es gibt etwas, das dem Menschen nicht genommen werden kann: Die Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Man kann sich als Opfer sehen – oder nicht. Geholfen hat mir auch mein christlicher Glaube. Ich habe ihn als Kind so stark verinnerlicht, dass ich später darauf zurückgreifen konnte. Als Erwachsene hätte ich vermutlich nicht damit begonnen, im Gebet Trost zu suchen. Manche halten dieses Zurückgreifen auf Gott in Notsituationen für naiv. Aber Fakt ist: Es hilft. Und alles ist willkommen, was das Leben leichter macht und mir hilft, meinen Töchtern eine gute Mutter zu sein.

Im 21. Jahrhundert trägt der Mensch seine Schuld allein, heißt es in „Muldental“. Kein Gott, kein Kollektiv ,keine übergeordnete Macht nimmt sie ihm ab.

So ist das in einer weitgehend säkularisierten und hoch individualisierten Gesellschaft. Es gibt kaum noch Halt in etwas, das größer ist als der einzelne Mensch, nicht einmal große Familienverbände. Vor allem in den Städten leben wir sehr vereinzelt. Jeder ist für sein Wohlergehen allein zuständig. Wer es nicht schafft, erfolgreich, wohlhabend und glücklich zu werden, hat sich nur nicht genug angestrengt. Das ist brutal. Denn mit dieser Haltung ist es schwer, mit Schicksalsschlägen umzugehen.

Im Roman „Die Liebe im Ernstfall“ stirbt ein kleines Mädchen. Von der Mutter Paula heißt es: An ihrem Schmerz muss sich jeder messen lassen. Kaum jemand besteht diese Prüfung. Macht das nicht einsam?

Paulas Schmerz ist einfach größer als der Schmerz, den ihre Freundinnen haben. Sie kann deren Probleme nicht mehr ernst nehmen, weil sie ihr läppisch vorkommen. Ich kenne dieses Gefühl durch meine Tochter: Man vereinsamt, wenn man nicht aufpasst. Wenn eine Freundin darüber klagt, nicht so oft ausschlafen zu können, wie sie es möchte, würde ich am liebsten wütend entgegnen: Und sonst hast du keine Probleme? Aber dann stimme ich mich milde und versuche zu akzeptieren, dass die Leidensfähigkeit von Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist. Nicht jeder ist mit Robustheit ausgestattet.

Die Frauen in Ihren Büchern sind krisenerprobt und selbstbewusst, manchmal aber auch sehr anlehnungsbedürftig, fast devot. Kriegen wir die alte Eva nie los?

Zu hundert Prozent sicher nicht. Frauen können heute selbstbestimmt leben, ihr eigenes Geld verdienen und trotzdem den Wunsch nach einem Partner verspüren, der Schutz vermittelt. Diese Ambivalenz wird bleiben. Sie betrifft beide Geschlechter. Auch männliche Rollenmuster sind im Wandel begriffen. Männer sollen liebevolle, zärtliche Partner und Väter sein, aber im entscheidenden Moment starke Beschützer. Aber bitte nicht zu stark, das könnte übergriffig wirken. In den Debatten der letzten Jahre wurde manches übertrieben. Wir müssen aufpassen, keinen Geschlechterkrieg anzuzetteln und den Reiz der Verschiedenheit zu bewahren.

Frauen und Männer in Ihren Büchern sind gleichermaßen von biografischen Brüchen geprägt, die aus dem Mauerfall resultieren. Wann vernarben sie?

Die Brüche prägen den gesamten Osten noch mindestens eine Generation lang. Fast alle, die in der DDR sozialisiert wurden, mussten sich neu orientieren. Es gab ja kein Aufeinanderzugehen von Ost und West nach dem Mauerfall, kein Treffen in der Mitte. Der Osten wurde einverleibt.

Sie waren 14, als die Mauer fiel. Empfinden Sie sich als ostdeutsch?

Unbedingt. Das hat nicht nur mit der Herkunft zu tun, sondern auch mit gesunder Skepsis gegenüber dem Staat und einer kritischen Sicht auf Kapitalismus und Konsum. Konsum zum Beispiel spielte in meiner Kindheit überhaupt keine Rolle, ich kannte auch niemanden, der viel mehr hatte als meine Familie oder auf den ich neidisch gewesen wäre. In dieser Hinsicht sind wir völlig unbelastet aufgewachsen. Ich will Gleichheit und Nivellierung aber nicht verklären. Der Preis, den die Menschen in der DDR dafür zahlten, war die Unfreiheit. Aber was danach kam – die materielle Übersättigung –, erwies sich als geistig hohl. Ich bin froh, dass ich beide Welten kenne. Diese Erfahrung hilft, eine kritische Distanz zu halten.

Haben Sie den Eindruck, dass Sie in die jetzige Gesellschaft passen?

Im Moment fühle ich mich als außenstehende Beobachterin. In den Neunzigern und in den frühen Nullerjahren hatte ich noch das Gefühl, wirklich in einer freien und gestaltbaren Gesellschaft zu leben. Man konnte offen diskutieren. Die Meinungspluralität war für mein Empfinden groß. Da wurde nicht gleich moralisiert. Mittlerweile empfinde ich die Gesellschaft als immer kleinlicher und empfindlicher. Die Diskursräume werden enger. Ich ertrage es schwer, dass jeder, der eine konservative Meinung vertritt, gleichgesetzt wird mit einem Nazi. Wie ungenau hier die Begriffe verwendet werden. Wenn Äußerungen jenseits der offiziellen Linie sofort einen Shitstorm nach sich ziehen, engt das die Auseinandersetzung ein. Distanzierungszwänge und das Bekenntnis zur „richtigen“ Gesinnung treffen mittlerweile fast jede Person, die in den öffentlichen Diskurs eintritt. Das erinnert mich manchmal an die DDR: „Sag mir, wo du stehst“ hieß ein bekanntes Agitproplied.

Das heißt, Sie überlegen sich jede Äußerung gut?

Ich würde nicht so weit gehen, dass ich mich selbst zensiere. Aber was ich zu wem sage und wie ich es sage, das überlege ich mir schon gut. Manche Themen sind so heikel geworden, dass man sich öffentlich kaum noch dazu äußern kann, ohne sofort politisch eindeutig verortet und in eine Schublade gesteckt zu werden. Nach meinem Eindruck sind es eher die Älteren, die die Vielfalt in der Debattenkultur aufrechterhalten. Die Jüngeren scheinen sehr auf die „richtige“ Haltung zu achten.

Welche Themen meinen Sie?

Zum Beispiel die Flüchtlings- und die Genderpolitik. Wie soll man da vernünftige Kritik üben, ohne sich verdächtig zu machen? Oder, wie es heißt: umstritten. Umstritten wird ja jetzt oft als Synonym für verschwörungstheoretisch oder rechts oder beides verwendet. Das ist ein Stigma, das man kaum mehr loswird. Ich bewege mich in einem konservativ liberalen Freundeskreis, wo wirklich frei diskutiert wird. Aber nur im Privaten. In der Öffentlichkeit würde das kaum noch einer tun. Diese Menschen verlieren wir gerade als gesellschaftliche Gestalter. Sie wenden sich ab. In meinem neuen Roman greife ich dieses Thema auf.

Das Gespräch führte Karin Großmann.