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Lehrpfad für zugeschüttete Geschichte

Eine Wanderung durch 8.000 Jahre Heimatkunde: In der Archäologiefundgrube Dresden-Prohlis lauert Geschichte an jeder Ecke.

Von Marvin Graewert
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Der neue Lehrpfad ist mitten im Corona-Lockdown fertig geworden. Initiator Steffen Bösnecker meint, den Besucherzahlen hat gerade das gutgetan.
Der neue Lehrpfad ist mitten im Corona-Lockdown fertig geworden. Initiator Steffen Bösnecker meint, den Besucherzahlen hat gerade das gutgetan. © J. Loesel, loesel-photographie.d

Mit jedem weiteren Schritt kann sich Steffen Bösnecker schlechter auf das Gespräch konzentrieren. Seine ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf ein verwildertes Wasserrückhaltebecken. Daneben rauschen Autos den Autobahnzubringer zur A17 entlang, am Himmel knistern Hochspannungsleitungen. "Jetzt kommt das absolute Highlight des Archaeo-Pfad", erklärt Bösnecker euphorisch.

Dabei hatte der Archeologie-Pfad gerade erst den Eindruck gemacht, landschaftlich doch noch richtig schön zu werden. Nach dem Startpunkt am Georg-Palitzsch-Museum in Dresden-Prohlis führt der Pfad zwar kurz ins Gewerbegebiet Nickern. Doch der Abstecher vorbei an Hornbach und Selgros hat seinen Grund: Unter den Konsumtempeln befanden sich erst fünf neolithische Siedlungen, später fünf bronzezeitliche Siedlungen, dann vier schlawische und schließlich eine Siedlung aus der Kaiserzeit. "Das alles hat man gefunden, obwohl nur knapp 20 Hektar des 90 Hektar großen Gewerbegebiet untersucht werden konnten", bedauert Bösnecker. "Wer weiß, was sonst noch alles zum Vorschein gekommen wäre."

Da es sich um einen Rundwanderweg handelt, kann eigentlich überall eingestiegen werden. Mit dem Startpunkt am Palitzschhof, macht die Strecke allerdings am meisten Spaß.
Da es sich um einen Rundwanderweg handelt, kann eigentlich überall eingestiegen werden. Mit dem Startpunkt am Palitzschhof, macht die Strecke allerdings am meisten Spaß. © J. Loesel, loesel-photographie.d

Der 64-Jährige ist eigentlich Fliesenleger, doch die weit zurückreichende Siedlungsgeschichte im Elbtal hat ihn so fasziniert, dass er sich jahrelang dafür eingesetzt hat, die fast vergessene Heimatgeschichte einem breiten Publikum schmackhaft zu machen: So schlängelt sich nun ein Lehrpfad so gut es geht am Gebersbach vorbei, ohne das geschichtsträchtigen Gewerbegebiet auszulassen. Auf elf Info-Stelen wird dabei auf die wichtigsten der unzähligen archeologischen Funde in Prohlis eingegangen.

Zum Beispiel auf den sensationellen Mammutzahn-Fund aus dem Sommer 1928 in der Lehmgrube der Ziegelei Kunath. Wie es damals aussah, lässt sich noch gut erahnen, sobald der Weg an der Tornaer Lehmgrube vorbei führt. Für einen kurzen Moment wird der Wanderpfad sogar richtig idyllisch: Vorbei an weiten Feldern führt er durch das kleine Prohliser-Wäldchen. Ohne den Menschen, hätten sich aufgrund des fruchtbaren Lössbodens Eschen und Erlen überall rund um den Gebersbach ausgebreitet. Für Bösnecker unterstreicht das die optimalen Bedingungen der Region: "Seit Menschengedenken siedeln sich Menschen hier an, weil es nichts Besseres als das Elbtal gibt."

Seit 1996 ist die Tornaer Lehmgrube ein Landschaftsschutzgebiet. Es hat nicht lange gedauert, bis sich die Natur das alte Industriegebiet zurückgeholt hat.
Seit 1996 ist die Tornaer Lehmgrube ein Landschaftsschutzgebiet. Es hat nicht lange gedauert, bis sich die Natur das alte Industriegebiet zurückgeholt hat. © J. Loesel, loesel-photographie.d

Prestigebauten, älter als Stonehenge

Alles nichts im Vergleich zum Highlight des elf Kilometer langen Rundwanderweg. Um Bösneckers Begeisterung nachzuempfinden, ist jede Menge Fantasie nötig. Der hier kein verwildertes Wasserbecken, sondern ein kreisförmiges Holzmonument sieht. So mächtig, dass es vor 7.000 Jahren sogar noch von Pirna und der Sächsischen Schweiz aus zu erkennen gewesen sein soll. Die sogenannten Kreisgrabenanlagen waren riesige Graben- und Wallkonstruktionen - mitten in größeren Siedlungsverbünden errichtet.

Heute ist das nur noch schwer vorstellbar. Von der Kreisgrabenanlage, mit einem Durchmesser von 57 Metern, ist nichts mehr übrig. Die Anlagen aus der Jungsteinzeit - wie sie in überall Europa zu finden waren - ließen sich nur anhand von Luftbildern rekonstruieren. Verwaschene dunkle Verfärbungen im Acker, mit denen sich die Position der Tausenden Eichenstämme rekonstruieren ließ. In diesem Fall war es sogar eine Anlage mit dreifacher Palisadeneinlassung: "Für mich macht es sie zur bedeutendsten Kreisgrabenanlage, weil ihre Geschichte besonders geheimnisvoll ist", schwärmt Bösnecker.

So verläuft der Rundwanderweg, von Prohlis bis Kauscha und zurück. An elf Info-Stelen erfahren die Wanderer viel Wissenswertes zur Geschichte.
So verläuft der Rundwanderweg, von Prohlis bis Kauscha und zurück. An elf Info-Stelen erfahren die Wanderer viel Wissenswertes zur Geschichte. ©  SZ-Grafik

Im Dresdner Elbtal wurden gleich vier Anlagen gefunden - eine absolute Ausnahme. Das weiß jeder, bei dem Bösnecker einmal Fliesen gelegt hat. Beim Rest der Sachsen ist das noch nicht so wirklich angekommen. Während Sachsen-Anhalt die Kreisgrabenanlage von Goseck wiederaufgebaut hat und als weltweit ältesten archäologische Beleg für systematische Himmelsbeobachtungen verkauft, reicht es in Sachsen noch nicht zur großen Sensation. Das archäologische Landesamt kann die Kreisgrabenanlagen bei Dresden-Nickern weniger mit konkreten Himmelsbeobachtungen in Verbindung bringen.

Da es keine oberirdischen Befunde gibt, gestaltet sich die Suche nach der wahren Bedeutung dieser mysteriösen Bauten besonders schwierig. "Am ehesten wird es sich um zentrale Versammlungsplätze mit Kult- und Marktfunktionen gehandelt haben“, schreibt das Landesamt für Archäologie auf ihrer Webseite. Für Bösnecker ist das falsche Bescheidenheit: "Sachsen hat von allem viel zu viel. Deshalb haben wir es nicht nötig, diese Einmaligkeit für den Tourismus zu nutzen." Jetzt gibt es zumindest einen Archäologie-Pfad.

Mehr als 5.600 solcher Eichenstämme wurden in den Kreisgrubenanlagen verbaut. Steffen Bösnecker hat zwei Exemplare nachbilden lassen.
Mehr als 5.600 solcher Eichenstämme wurden in den Kreisgrubenanlagen verbaut. Steffen Bösnecker hat zwei Exemplare nachbilden lassen. © J. Loesel, loesel-photographie.d

Die Serie Pfad-Finder

Sachsen ist ein Wanderland. Unzählige Pfade wie der Pumphut-Steig, der Karl-May-Pfad und der Erlebnispfad Guttauer Teiche laden zu Erkundungen bei jedem Wetter ein. Redakteure von Sächsische.de stellen einige vor.