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SKD-Chefin in Expertenrat zu Documenta berufen

Die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ist in den Expertenrat der Documenta berufen worden. Welche Wissenschaftler die Ausstellung künftig begleiten werden.

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Marion Ackermann ist in den Expertenrat der Documenta berufen worden.
Marion Ackermann ist in den Expertenrat der Documenta berufen worden. © René Meinig

Kassel. Um den Antisemitismus-Eklat bei der Kunstausstellung Documenta aufzuarbeiten, soll die Schau in den kommenden Monaten von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fachwissenschaftlich begleitet werden. Darunter ist auch Marion Ackermann, die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD). „Die wissenschaftliche Analyse der Kunstwerke, mit Hinweisen auf mögliche antisemitische (Bild-)Sprache, soll noch während der laufenden Ausstellung geschehen“, kündigten die Gesellschafter an. Die Hauptarbeit der Experten werde über den Ausstellungszeitraum hinausreichen, da auch vertiefende wissenschaftliche Studien initiiert werden könnten.

Bereits seit Monaten kursieren Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta. Im Januar waren erste Stimmen laut geworden, die dem indonesischen Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung Mitte Juni war ein Banner mit judenfeindlichen Motiven entdeckt und abgebaut worden. Vergangene Woche tauchten neue Werke auf, die für scharfe Kritik sorgten.
Angesichts der Vorfälle hatte der Aufsichtsrat um den Vorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und seine Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), Mitte Juli verschiedene Maßnahmen zur Aufarbeitung beschlossen, darunter die Einsetzung einer fachwissenschaftlichen Begleitung.

Zu dem Gremium gehören laut Mitteilung nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „mit herausragender wissenschaftlicher Expertise in den Bereichen Antisemitismus, Perspektiven aus globalen Kontexten und Postkolonialismus, Kunst sowie Verfassungsrecht“.
Sie sind demnach zuständig für die erste Bestandsaufnahme der Abläufe, Strukturen und Rezeptionen rund um die documenta und sollen Empfehlungen für die Aufarbeitung geben und erörtern, welche Aspekte einer vertieften wissenschaftlichen Analyse bedürfen. „Außerdem werden sie bei der Analyse möglicher weiterer antisemitischer Bildsprache und Sprache sowie bereits als antisemitisch identifizierten Werken beraten“, hieß es in der Mitteilung.

Die Beratungsergebnisse und Positionen sollen dem Aufsichtsrat und den Gesellschaftern vorgelegt werden. Diese würden sie der documenta gGmbH und den Kuratorinnen und Kuratoren zur Verfügung stellen und dazu in einen Dialog eintreten. „Die künstlerische Freiheit ist gewahrt, die kuratorische Verantwortung ist und bleibt explizite Aufgabe der künstlerischen Leitung Ruangrupa“, erklärten die Gesellschafter.

„Wir erwarten, dass unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Kunstfreiheit Hinweisen auf mögliche antisemitische Bildsprache und Beförderung von israel-bezogenem Antisemitismus nachgegangen wird“, unterstrich Geselle. Die Rekonstruktion und Aufarbeitung der antisemitischen Vorfälle mit Unterstützung eines fachwissenschaftlichen Gremiums seien „essentiell“ und sollten auch das in den vergangenen Wochen verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen, sagte Dorn, die die Besetzung des Expertenrates gemeinsam mit der Kulturdezernentin der Stadt Kassel, Susanne Völker, vorgeschlagen hat.

Vorsitz des Gremiums übernimmt Nicole Deitelhoff

Den Vorsitz des Gremiums übernimmt Nicole Deitelhoff, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und geschäftsführende Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

Neben den ausgewählten Wissenschaftlern können den Gesellschaftern zufolge zudem weitere Sachverständige hinzugezogen werden, darunter Meron Mendel. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank hatte sich zunächst nach dem ersten Fund antisemitischer Bildsprache als externer Berater der documenta engagiert, sich wegen der schleppenden Aufarbeitung des Eklats später aber zurückgezogen.

Das Gremium selbst teilte am Montag mit, die öffentliche Präsentation antisemitischer Werke und der Umgang damit würden von der jüdischen Gemeinschaft zurecht als empörend und in ihren potenziellen Konsequenzen als bedrohlich empfunden. Umso bedauerlicher sei es, dass die Wirkung der Debatte auf die jüdische Gemeinschaft in den öffentlichen Stellungnahmen der documenta bislang kaum berücksichtigt worden sei. „Wir werden uns als Gremium dafür einsetzen, dass jüdische Perspektiven bei der Aufarbeitung der Vorgänge bedacht und eingebunden werden“, betonten die Wissenschaftler.

Man begrüße die öffentlich kommunizierte Offenheit der documenta-Geschäftsführung gegenüber einer fachlichen Beratung durch das Gremium. Über das Verhalten der künstlerischen Leitung zeigten sich die Experten jedoch irritiert. „Die von ihr vertretene Position, dass weder weitere Kunstwerke aufgrund antisemitischer Inhalte entfernt werden müssten noch eine systematische Prüfung der Werke notwendig sei, widersprechen einem fachlichen und ergebnisoffenen Dialog.“ Das Gremium behalte sich das Recht vor, zu diesen Fragen eine eigenständige Einschätzung zu formulieren, hieß es in der Mitteilung.

Folgende Experten gehören dem Gremium an:

  • Nicole Deitelhoff (Vorsitz), Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und geschäftsführende Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)
  • Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
  • Julia Bernstein, Professorin für Diskriminierung und Inklusion in der Einwanderungsgesellschaft an der Frankfurt University of Applied Sciences
  • Marina Chernivsky, Gründerin und Geschäftsführerin der Berliner Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt OFEK
  • Peter Jelavich, Professor für Geschichte an der Johns Hopkins University Maryland (USA)
  • Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin
  • Facil Tesfaye, Juniorprofessor an der School of Modern Languages and Cultures, Universität Hong Kong (dpa)