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Musiker Gil Ofarim schweigt bei Prozessauftakt in Leipzig

Wurde er diskriminiert oder hat er gelogen? Sänger Gil Ofarim steht nun in Leipzig wegen Verleumdung vor Gericht. Ob der Prozess die Wahrheit aufklären kann, ist fraglich.

Von Sven Heitkamp
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Gil Ofarim erschien zwar vor dem Leipziger Landgericht. Doch er schwieg zu den Vorwürfen gegen ihn.
Gil Ofarim erschien zwar vor dem Leipziger Landgericht. Doch er schwieg zu den Vorwürfen gegen ihn. © EHL Media/Erik-Holm Langhof

Leipzig. Bis zuletzt hatten viele Zweifel, ob er überhaupt wirklich kommen würde. Doch pünktlich um zwei Minuten nach 9 Uhr erscheint Gil Ofarim an diesem Dienstag im Saal 115 des Leipziger Landgerichts, schaut sich gelassen in dem historischen, holzvertäfelten Raum um. Dann nimmt der deutsch-jüdische Musiker Platz in der hinteren Reihe der Anklagebank, vier Anwälte sitzen vor und neben ihm. Kamerateams und Fotografen nehmen sie minutenlang ins Visier, ehe der Vorsitzende Richter Andreas Stadler die Sitzung eröffnet. Ofarim trägt eine schwarze Lederjacke, Ketten und Armbänder, und auch seine silberne Kette mit Davidstern – um die es in diesem Gerichtsstreit vor allem geht.

Als gegen 8 Uhr die Eingangstüren geöffnet worden waren, hatte sich schon eine lange Schlange an Besuchern gebildet. 85 Plätze stehen zur Verfügung, und sie alle sind nun besetzt. Vor dem Eingang und in den Gängen stehen Polizisten und Justizwachtmeister. Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, besonders angesichts des Kriegs im Nahen Osten. Es dreht sich auch hier sehr vieles um Antisemitismus.

Anfang Oktober vor gut zwei Jahren hatte sich der Popsänger in einem millionenfach geklickten Video auf Instagram als Opfer antisemitischer Ausgrenzung beschrieben. Sehr emotional hatte er erzählt, dass er im Leipziger Hotel Westin wegen einer Halskette mit Davidstern beleidigt und abgewiesen worden sei. Man habe ihm erst ein Hotelzimmer geben wollen, wenn er „seinen Stern wegpacke“. Die Erzählung sorgte international für großes Aufsehen und heftige Kritik. Vor dem Hotel gab es abends eine Spontandemo.

Gil Ofarim kommt zum Landgericht in Leipzig.
Gil Ofarim kommt zum Landgericht in Leipzig. © dpa

Nun aber steht der 41-jährige Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim selbst als Angeklagter vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Verleumdung, falsche Verdächtigung, falsche eidesstattliche Versicherung und Betrug vor.

Gil Ofarim selbst schweigt an diesem Tag konsequent zu alledem. Relativ gelassen sitzt er auf seinem Platz, verfolgt konzentriert die Verhandlung, faltet ab und zu die Hände und tauscht sich mit seinen Anwälten aus.

Richter Stadler macht dazu sehr früh drei Anmerkungen, die aufhorchen lassen: Es sei eine allgemein bekannte Tatsache, dass Antisemitismus in allen Regionen, Strömungen und Schichten der Gesellschaft anzutreffen sei, betont er, um deutlich zu machen, dass die Kammer diese Perspektive nicht außer Acht lässt. Das Gericht gehe von nur einer einzigen falschen Aussage aus – nicht mehreren. Und ob der Betrugsvorwurf der Ermittler aufrechtzuerhalten sei, sei fraglich.

Die Staatsanwaltschaft wirft Ofarim vor, mit falschen Aussagen Anwalts- und Prozesskosten auf andere abwälzen zu wollen und sich damit einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der Popstar hat auch die Leipziger Volkszeitung auf Unterlassung verklagt wegen eines Berichts, der sich mit dem möglichen Prozess befasste.

Staatsanwalt Andreas Ricken schildert dann noch einmal, wie der fragliche Abend abgelaufen sein soll: Ofarim sei am 4. Oktober 2021 zu einer Fernsehaufzeichnung des MDR in Leipzig gewesen, danach ins Hotel Westin gefahren und dort gegen 19:10 Uhr eingetroffen. Er habe etwa 20 Minuten in einer Schlange warten müssen, weil das Computersystem streikte. Zwei Stammgäste seien derweil vorgezogen worden, weil ihre Daten schon im Computer hinterlegt und Türkarten vorbereitet waren. Als Ofarim an der Reihe war, habe er sich beim Hotelmanager beschwert. Es könne nicht sein, so zitiert ihn Ermittler Ricken, dass andere Gäste in dem „Scheißladen“ bevorzugt würden. Er werde ein Video dazu hochladen, das viral gehen werde.

Dann habe Ofarim seine Geschichte mit dem Davidstern vor der Hoteltür mit der Handykamera aufgenommen und sei in ein anderes Hotel gefahren. Am nächsten Morgen habe er das Video online gestellt, obwohl er gewusst habe, dass seine Schilderung nicht der Wahrheit entspreche, betont Ricken. Ofarim habe den leitenden Hotelmitarbeiter als Antisemiten dargestellt und riskiert, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird. Der besagte Davidstern sei jedoch unter dem Hemd des Musikers gar nicht zu erkennen gewesen.

In den Tagen nach dem Vorfall zeigten sich Ofarim und der Hotelmanager gegenseitig wegen Verleumdung an. Die Staatsanwaltschaft vernahm daraufhin zahlreiche Zeugen, ein digitalforensischer Sachverständiger sichtete die Videos der Hotelkameras. Die Situation in der Hotellobby wurde sogar mit Statisten nachgestellt. Der Befund der Ermittler: Bei Ofarim sei keine Kette mit Davidstern zu sehen gewesen. Also könne die Geschichte nicht stimmen.

Gil Ofarim trägt vor Gericht seine Kette mit dem Davidstern um den Hals.
Gil Ofarim trägt vor Gericht seine Kette mit dem Davidstern um den Hals. © dpa

Nach Verlesung der Anklage ergreift der Münchner Staranwalt Alexander Stevens das Wort. In einem halbstündigen Statement erklärt er: Das Verfahren sei ein klassischer Fall von Aussage gegen Aussage. „Wann, was, wie gesagt wurde – wer weiß das schon?“ Klar sei: Nachdem Gil Ofarim 20 Minuten gewartet habe, habe es einen nur 28 Sekunden dauernden Schlagabtausch zwischen ihm und dem Hotelmanager gegeben. Dann habe der Mann an der Rezeption Ofarim den Hotel-Meldezettel weggezogen und ihn so am Einchecken gehindert. Was zwischen den beiden geredet wurde, sei völlig unklar – es gibt keine Tonaufnahmen. Vielleicht gehe es auch nur um ein Missverständnis, schlechten Humor oder eine kleine Anspielung. Doch sei auch nur ein diskriminierendes Wort gefallen, so befand Stevens, sei sein Mandant freizusprechen.

In diesem Verfahren gehe es eben nicht darum, ob Ofarim den Davidstern getragen habe oder ob der Stern zu sehen war, sondern um seine Erfahrung der Diskriminierung. Und ein gebuchtes und schon bezahltes Hotelzimmer zu verweigern, weil ein Gast eine schlechte Bewertung im Internet androhe, sei ebenfalls strafbar. Gleichzeitig wirft der Anwalt dem Hotelmanagement vor, mit einem in Windeseile selbst beauftragten Gutachten die öffentliche Meinung massiv beeinflusst und „große Lügen“ in die Welt gesetzt zu haben. Doch ob das Gericht nun die Wahrheit aufkläre, sei fraglich. Stevens: „Gil Ofarim hofft es, die Anwälte bezweifeln es.“

Am Nachmittag tritt dann die zweite Hauptperson des Konflikts auf: Hotelmanager Markus W. Der 35-Jährige geht im grauen Anzug und weißem Hemd schnurstracks in den Zeugenstand. Ohne Ofarim anzublicken, belastet er ihn abermals schwer. Als Gast an der Rezeption habe der Künstler „dringend etwas klären wollen“. Er sei „sichtbar sauer“ gewesen und habe gedroht, gleich aufs Zimmer zu gehen und „der Welt zu erklären, was das hier für ein Scheißhotel ist“. Er werde in dem Haus nie wieder schlafen.

Daraufhin, so erzählt Markus W., habe er dem VIP-Gast den Meldeschein entzogen und gesagt: „Dann werden Sie auch heute nicht unser Gast sein.“ Ofarim sei sehr offensiv und in Rage gewesen. „Das fühlte sich bedrohlich an.“ Er habe den Hausfrieden wahren wollen und deshalb vom Hausrecht Gebrauch gemacht. „Das war eine starke Bedrohung gegen das Hotel“, erzählt Markus W., der an jenem Abend der ranghöchste Hotel-Mitarbeiter war. „Ich habe es als meine Aufgabe gesehen, dies zu unterbinden.“ Hätte sich Ofarim entschuldigt oder seinen bedrohlichen Auftritt beendet, hätte er bleiben können. Eine Kette mit Davidstern erwähnt W. mit keinem Wort.

Am nächsten Morgen aber habe er das Video auf Instagram gesehen – und sei entsetzt gewesen: „Als ob einem jemand den Boden unter den Füßen wegzieht“, sagt der Hotelmanager. Es seien immer mehr Nachrichten eingetroffen, sein Instagram-Account sei bekanntgeworden, weil sein Name im Internet gefunden werden konnte, das Telefon habe ununterbrochen geklingelt. „Das war dramatisch, das war schlimm“, sagt W.

Er habe Morddrohungen erhalten und sei damit zur Polizei gegangen. Am Abend habe ihn Hoteldirektor Andreas Hachmeister mit einem schwarzen Van zu Hause abholen und zur Sicherheit in eine anonyme Wohnung bringen lassen. „Das war wie im Kino.“ Für zehn Tage sei er untergetaucht und dann noch vier Tage in den Urlaub gefahren, ehe er wieder gearbeitet habe. Bis heute sei er in psychologischer Betreuung und leide an Schlafproblemen. „Das ist nicht weg.“

Doch auch Ofarim hat bis heute mit Folgen der Geschichte zu kämpfen. In den vergangenen Tagen berichteten der Sänger und seine Anwälte in Interviews, der jüdische Sänger sei in jüngster Zeit immer wieder Opfer von Angriffen, Anfeindungen und Beleidigungen geworden.

Anfang Juli sei er in einem Automatenraum einer Münchner Bankfiliale zweimal mit der Faust ins Gesicht geschlagen und zu Boden gerungen worden, schilderte Anwalt Stevens dem Nachrichtendienst T-Online. Die Staatsanwaltschaft München bestätigte den Vorfall. Es werde wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung ermittelt. Zuvor hatte schon die Leipziger Volkszeitung über wiederholte Anfeindungen berichtet. Es gebe 36 Strafverfahren, in denen Ofarim Geschädigter ist. Seine Anwälte hatten sich daher um seine Sicherheit gesorgt und einen höheren Schutz für ihren Mandanten im Gericht gefordert.

Am Mittwoch sollen nun weitere Zeugen aus dem Hotel gehört werden. Geplant sind insgesamt zehn Verhandlungstage. Ein Urteil könnte am 7. Dezember fallen. Ob es Bestand haben wird, ist unklar, denn Ofarims Anwalt Alexander Betz hat die Besetzung des Gerichts gerügt. Zunächst hatte die Kammer ein anderer Vorsitzender geführt, der im Laufe des Jahres wechselte. Richter dürften vom Staat aber nicht nach Belieben ausgetauscht werden, argumentiert Betz. Nun muss das Oberlandesgericht Dresden klären, ob die Strafkammer nach Recht und Gesetz zusammengesetzt ist.