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Prozess gegen Gil Ofarim: Ein Ankläger vor Gericht

Ab Dienstag steht der Sänger Gil Ofarim in Leipzig vor Gericht. Es geht um angebliche Ausgrenzung, antisemitische Beleidigungen – und nun auch um den Nahost-Krieg.

Von Sven Heitkamp
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Der Sänger Gil Ofarim muss sich ab Dienstag in Leipzig vor Gericht verantworten - unter anderem  wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung.
Der Sänger Gil Ofarim muss sich ab Dienstag in Leipzig vor Gericht verantworten - unter anderem wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung. ©  dpa/Tobias Hase

Er beschrieb sich als Opfer antisemitischer Ausgrenzung, sein Fall erregte Aufsehen in der halben Welt. Zwei Jahre später aber steht der Musiker Gil Ofarim selbst als Angeklagter vor Gericht. Am Dienstag soll vor dem Leipziger Landgericht sein Prozess wegen Verleumdung, falscher eidesstattlicher Versicherungen und Betrug beginnen – unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen.

Der 41-jährige Popsänger hatte im Oktober 2021 in einem millionenfach geklickten Video, das er bei Instagram hochgeladen hatte, sehr emotional erzählt, dass er im Leipziger Hotel Westin wegen einer Halskette mit Davidstern beleidigt und abgewiesen worden sei.

Man habe ihm erst ein Hotelzimmer geben wollen, wenn er "seinen Stern wegpacke". Über den angeblichen Vorfall wird in großen Medien der Welt berichtet: CNN, BBC, Guardian, New York Times, israelische und chinesische Zeitungen sind dabei. Zahlreiche Politiker aus der Bundes- und Landespolitik äußern sich schockiert. Abends gibt es eine Spontandemo gegen Antisemitismus vor dem Hotel.

Doch der erfahrene Rezeptionist erstattet Anzeige gegen seinen Gast – wegen Verleumdung. Nach monatelangen Ermittlungen stellt die Staatsanwaltschaft tatsächlich fest: Das Geschehen, wie es der Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim in seinem Videostatement dargestellt hatte, habe sich "so nicht ereignet". Es seien zahlreiche Zeugen vernommen worden, aber keiner habe die Schilderung des Musikers bestätigt.

Videoaufnahmen ohne Davidstern-Kette

Ein digitalforensischer Sachverständiger habe die Videos der Hotelkameras gesichtet, aber bei Ofarim keine Kette mit Davidstern entdeckt. Der angebliche Vorfall wurde sogar stundenlang mit Statisten in der Hotellobby nachgestellt, um herauszufinden, ob es sich so zugetragen haben könnte. Fehlanzeige.

Nach mehreren Monaten teilt die Staatsanwaltschaft mit: Man habe "keine Feststellungen treffen können", die Ofarims Schilderungen bestätigen. Das Ermittlungsverfahren gegen den beschuldigten Hotelmitarbeiter sei eingestellt worden.

Stattdessen wurde Ofarim selbst angeklagt: wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung, außerdem wegen falscher eidesstattlicher Versicherungen und Betrugs durch unwahre Behauptungen bei der Polizei. Der Künstler blieb dennoch bei seinen Aussagen. Schon am ersten Prozesstag sind der Hotelmitarbeiter und der Gutachter nun als Zeugen geladen. Man darf gespannt sein, was die Gegenüberstellung erbringt.

Der Prozess gegen den deutsch-jüdischen Musiker platzt allerdings in die Zeit der Terrorakte der Hamas in Israel und die Angriffe der israelischen Armee im Gaza-streifen. Sachsen hat seither den Schutz jüdischer Einrichtungen im Freistaat erhöht – und auch der Prozess gegen Ofarim findet unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen statt.

In Absprache mit der Polizei würden verschiedene Vorkehrungen getroffen, sagt der Vizepräsident des Gerichts, Johann Jagenlauf. "Die Sicherheitslage wird weiterhin aktuell eingeschätzt, wozu die Auseinandersetzung in Nahost als zusätzlicher Gesichtspunkt für die Verhandlungstage eine Rolle spielt."

In den Gerichtssaal werden nun nicht mehr 100, sondern nur noch 85 Zuschauer gelassen, um mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Weitere Einzelheiten würden nicht mitgeteilt. Zuletzt hatten auch die Anwälte mehr Schutz für ihren Mandanten gefordert, unter ihnen die prominenten Juristen Alexander Stevens und Alexander Betz aus München.

Ofarim als Opfer eines Schauprozesses?

Die Anwälte kritisieren zugleich massiv, dass das Verfahren vor dem Landgericht statt vor dem Amtsgericht stattfinde. Ein solches "Ehrdelikt" sei eigentlich nur ein Fall für einen Einzelrichter am Amtsgericht, kritisiert Anwalt Stevens. Eine Große Strafkammer des Landgerichts mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen sei auch bei Mord- und Totschlagsverfahren üblich – und grundsätzlich nur bei einer Straferwartung von vier bis 15 Jahren Freiheitsstrafe zuständig.

"Abgesehen von dieser völligen Unverhältnismäßigkeit und der Sorge, dass unser Mandant hier zum bloßen Objekt eines Schauprozesses gemacht wird, hat dies auch erhebliche rechtliche Konsequenzen", sagte Stevens der Leipziger Volkszeitung. Zudem werde Ofarim eine Instanz genommen: Nach einem Urteil am Landgericht gebe es nur noch die Revision am Bundesgerichtshof.

Im Oktober 2022 spielte Ofarim im Dresdner Beatpol.
Im Oktober 2022 spielte Ofarim im Dresdner Beatpol. © kairospress

Gerichtssprecher Jagenlauf betont dagegen, das Verfahren sei nur wegen seiner besonderen medialen und öffentlichen Bedeutung beim Landgericht angeklagt. Eine Kammer beim Landgericht sei grundsätzlich mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt – dies sei keine besondere Maßnahme. Damit sei nicht gleich eine Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren zu erwarten.

Die eigentliche Geschichte hatte sich am Abend des 4. Oktober 2021 zugetragen. Ofarim war für eine Fernsehsendung beim MDR in Leipzig und wollte im Hotel Westin einchecken. Doch die Computer streikten, die Gäste an der Rezeption mussten warten und wurden vertröstet. Ein älteres Ehepaar, offenbar Stammgäste, wurde vorgezogen.

Erster Prozesstermin platzte

Ofarim, so wird berichtet, sei daraufhin ins nahe Hotel Steigenberger gefahren, später zurückgekehrt und habe sein Video vor der Hoteltür aufgenommen. Darin ringt der prominente Musiker mehrfach um Worte und kämpft mit den Tränen. Er erzählt, dass jemand aus einer Ecke des Foyers gerufen habe: "Pack deinen Stern ein!" Der Hotelmitarbeiter habe dann hinzugefügt: "Packen Sie Ihren Stern ein!" Ofarim: "Er sagt, wenn ich ihn jetzt einpacke, darf ich einchecken. Wirklich?"

Vor einem Jahr sollte der Prozess schon einmal starten, platzte aber angesichts eines Streits zwischen Anwälten und Gericht. Inzwischen ist mit Andreas Stadler ein neuer Richter für das Verfahren zuständig. Geplant hat der Vorsitzende neun Verhandlungstage. Ein Urteil könnte dann am 7. Dezember verkündet werden. Ob Ofarim aber wirklich ab Dienstag vor Gericht erscheint oder kurzfristig etwas dazwischenkommt – das wird mit Spannung erwartet.