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Knöllchen-Klatsche für die Stadt Löbau am Amtsgericht Zittau

Mit Bußgeldbescheiden geht die Stadt gegen vorgebliche Verkehrsverstöße von "Elterntaxis" vor dem Gymnasium vor - und scheitert damit grandios.

Von Markus van Appeldorn
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Vor dem Löbauer Geschwister-Scholl-Gymnasium hat die Stadt unrechtmäßig "Elterntaxis" abgezockt.
Vor dem Löbauer Geschwister-Scholl-Gymnasium hat die Stadt unrechtmäßig "Elterntaxis" abgezockt. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Sie sind ein bundesweit leidiges Thema: "Elterntaxis". Eltern, die ihre Kinder morgens mit dem Auto zur Schule bringen, mit diesen Autos die Straße vor der Schule verstopfen und damit sogar für gefährliche Situationen sorgen. Dieses Problem will die Stadt Löbau nun ganz offensichtlich auch vor dem Geschwister-Scholl-Gymnasium an der Pestalozzi-Straße ausgemacht haben. Im letzten Jahr hagelte es Bußgeldbescheide gegen Eltern, die ihre Kinder dort mit dem Auto abgesetzt hatten. Weil einige Eltern gegen diese Bescheide Widerspruch erhoben hatten, landeten gleich sechs dieser Fälle am Montagvormittag vor dem Amtsgericht Zittau. Und der Richter sah im Gebaren der Stadt einfach nur eines: unrechtmäßige Abzocke. Er erteilte der Stadt in allen Fällen eine Knöllchen-Klatsche - und datenschutzrechtliche Bedenken äußerte er auch noch.

Die sechs Fälle aus dem August und September 2023 waren im Grunde alle identisch. Ein Mitarbeiter des Löbauer Ordnungsamtes fertigte von vor dem Gymnasium haltenden "Elterntaxis" mehrere Fotos. Kurz später bekamen die Halter einen Bußgeldbescheid mit dem immergleichen Inhalt: Sie hätten exakt zwei Minuten lang unrechtmäßig in zweiter Reihe gehalten - zum Teil wird die Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer behauptet. Jeweils 83,50 Euro sollte das kosten.

Keinerlei Halteverbot vor dem Gymnasium

Im Bereich vor dem Gymnasium gibt es keine Beschilderung, die das Halten oder Parken verbietet. Und es ist - sofern man nicht die Straße blockiert oder andere behindert - durchaus erlaubt, in zweiter Reihe zu halten, um etwa Personen ein- oder aussteigen zu lassen. Allerdings darf man sich als Fahrer dabei nicht von seinem Auto entfernen. Genau so trug es auch einer der Betroffenen, Vater eines Fünftklässlers vor, der seinen Sohn in den ersten zwei Gymnasium-Wochen zur Schule brachte. "Ich habe nie länger als zwei Minuten gehalten und bin nie ausgestiegen. Ich habe nie jemanden behindert und ich darf auch in zweiter Reihe halten", sagte der Mann.

Bei einem Gespräch mit dem Ordnungsamt habe man ihm erzählt, die Schule hätte diese Kontrollen initiiert. Außerdem könne er ja auch auf dem nahen Lidl-Parkplatz parken und sein Kind von dort aus zur Schule bringen. Darin sah der Mann gar eine Aufforderung des Amts zu rechtswidrigem Handeln. "Da darf ich ja nur als Kunde parken", sagte er. Zudem: Wenn die Stadt die Situation vor dem Gymnasium als gefährlich betrachte, könne sie ohne weiteres Maßnahmen treffen - etwa durch Halteverbote. Das aber hat die Stadt nicht getan.

"Tatvorwurf ist arg konstruiert"

Der Richter brauchte für sein Urteil keine drei Sekunden: Freispruch. "Die von der Stadt behaupteten zwei Minuten sind fernab jeglicher Realität. So ein Vorgang dauert vielleicht zwanzig Sekunden", sagte er. Die Fotos trügen zudem keinerlei Zeitstempel, weshalb die Haltezeit von der Stadt nicht belegt würde. Und Ja, der Mann dürfe in zweiter Reihe halten, um seinen Sohn herauszulassen. Dann die klaren Worte zum Verhalten der Stadt: "Der Tatvorwurf ist arg konstruiert - und das ist noch freundlich ausgedrückt", so der Richter.

Alle weiteren Fälle endeten auch mit einem Freispruch. Was behauptete Behinderungen betreffe, stellte der Richter klar, dass die Stadt in keinem der Fälle dargelegt habe, worin die Behinderung überhaupt bestanden haben solle. In einem Fall war der Bußgeldbescheid nur wegen Behinderung ergangen - trotz gleichzeitigen Haltens in zweiter Reihe. "Das Ordnungsamt Löbau scheint selbst nicht so genau zu wissen, was es überhaupt verfolgen will", so der Richter. Die betroffenen Mütter und Väter jedenfalls hätten schlicht nichts falsch gemacht. Die Stadt Löbau hatte nach Auskunft des Richters trotz Kenntnis der Verfahrenstermine keinen Vertreter geschickt, um sich zu den Bußgelbescheiden zu äußern.

Beschwerde beim Datenschutzbeauftragten

Und dann ist da noch die Sache mit dem Datenschutz. "Ich habe vehemente Bedenken, ob die von der Stadt gefertigten Lichtbilder in der Akte rechtens sind. Es sind Kennzeichen unbeteiligter Fahrzeuge erkennbar. Das ist datenschutzrechtlich bedenklich", erklärte der Richter. Und tatsächlich: Eine Beschwerde liegt bereits beim Rechtsamt des Landkreises und bei der Sächsischen Datenschutzbeauftragten vor. Dabei geht es insgesamt um die Frage, ob überhaupt Fotos gemacht werden durften und ob überhaupt die Voraussetzungen für die Einleitung eines Bußgeldverfahrens vorlagen.

Dieses Verfahren hat Ringo Hensel angestoßen - selbst Richter, einst OB-Kandidat in Löbau und Vater eines Kindes, das das Löbauer Gymnasium besucht. Auch ihn hatte es erwischt. Sein Verfahren wurde allerdings auf seinen Widerspruch hin vom Gericht bereits im Januar ohne mündliche Verhandlung eingestellt. Grund für die Beschwerde bei der Datenschutzbeauftragten war im wesentlichen, dass ein Ausladevorgang von 10 Sekunden Dauer ohne Behinderung anderer fotografisch festgehalten und daraus ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet wurde.

Um ein Bußgeldverfahren einzuleiten, bedarf es eines sogenannten "Anfangsverdachts". Der Anfangsverdacht für einen verkehrsrechtlichen Verstoß hat aber bei der Ankunft sämtlicher Betroffener vor dem Gymnasium gar nicht vorgelegen - der Mitarbeiter des Ordnungsamts konnte schließlich gar nicht wissen, ob einem Halt ein beabsichtigter Verkehrsverstoß folgen sollte. Salopp gesagt: Ebenso könnte ein zufällig dort lang fahrender Autofahrer kurz anhalten, um sich die Nase zu putzen und dann weiterfahren. Daher ist es widerrechtlich, durch Anfertigen eines solchen Fotos ohne Anfangsverdacht ein Bußgeldverfahren in Gang zu setzen. Tatsächlich ist es rechtlich auch etwa bei Blitzern so: Erst wird die Geschwindigkeit gemessen. Ist sie zu hoch, stellt das einen Anfangsverdacht dar. Erst nach dieser Messung kommt der eigentliche Fotoblitz. Mess- und Fotopunkt mögen vielleicht nur wenige Meter auseinander liegen - aber juristisch ist diese Reihenfolge bedeutsam.