Wer in den letzten Tagen am Görlitzer Bahnhof ankam oder abfuhr, fühlte sich wie Jahrzehnte in der Zeit zurückversetzt. 60 Jahre alte Diesellokomotiven standen da wie fabrikneu vor historischen Zügen. An einem Bahnsteig werben Plakate für Zigaretten oder Parfüm, das es schon ewig nicht mehr gibt. Gepäckträger huschen über den Bahnsteig, Fahrgäste sind unterwegs mit Pappkoffern. Keidung und Frisuren - alles original 60er-Jahre. Und aus einem Buffetwagen verkauft jemand "Erfrischungen" an Reisende am offenen Zugfenster. Die Szenen spielen an einem deutschen Schicksalstag, dem 13. August 1961 - und der Bahnhof Görlitz wird für ein "Rail-Movie" zu einem anonymen Hauptdarsteller.
Mittendrin im Gewusel: ein bekanntes Löbauer Gesicht. Man kennt Erdmann Wehder als umtriebigen Chef des Skatclubs "Die Gusseisernen". Der Rentner hat außer Karten noch ein weiteres Hobby: Als Komparse in Filmrollen schlüpfen - und dafür gibt's in "Görliwood" immer wieder Gelegenheiten. Beim vierfach Oscar-prämierten Film "Grand Budapest Hotel" war er schon dabei und vielen anderen Produktionen. Und jetzt bei "3 1/2 Stunden" des deutschen Regisseurs Ed Herzog, bekannt durch die Verfilmung der bayerischen "Eberhofer-Krimis".
"Ich spiele den ,Reisenden Nummer 12'", sagt Erdmann Wehder. Immer wieder muss er wie andere Komparsen mit einem alten Koffer in der Hand in einen Zug ein- und wieder aussteigen. "Ein- und dieselbe Szene wird oft neun- bis zehnmal gedreht", erzählt er und fühlt sich dabei richtig wohl. "In diesem taubenblauen Anzug und mit der Hornbrille sehe ich fast aus wie ,Genosse Honecker'", scherzt er.
Görlitz wird zu mehreren Bahnhöfen
So schön und imposant die historische Görlitzer Bahnsteighalle ist - sich selbst spielen darf sie im Film nicht. Eine der Szenen etwa spielt am Münchner Hauptbahnhof. Über die modernen elektronischen Zuganzeiger haben die Kulissenbauer historische Abfahr-Tafeln befestigt. Abfahrbereit steht da der "Interzonenzug D 151" nach Berlin, auf dem Nachbargleis ein Regionalzug nach Garmisch-Partenkirchen. Über den Treppenabgängen hängen historische Schilder, die in "München" den Weg zur "Tram" weisen. Eine Szenerie, die mitunter für etwas Verwirrung zu sorgen scheint, wie Erdmann Wehder schildert. "Eine Darstellerin soll jemanden fragen: ,Wie komme ich zum Viktualienmarkt?' und fragt stattdessen immer nach dem Weg zur Landeskrone", erzählt er.
Außerdem wird der Bahnhof Görlitz noch zum Bahnhof Bamberg und zum Hauptbahnhof Nürnberg. Als Kulisse für Bamberg etwa dient der zwischen den Gleisen liegende und seit etlichen Jahren ungenutzte Gepäckbahnsteig. Historische Sitzbänke sind dort aufgebaut und Fahrpläne ausgehängt, wie sie noch vor 60 Jahren gestaltet waren. Die Illusion wird immer nur dann für ein paar Sekunden gestört, wenn ein moderner Trilex durchs Bild rauscht - einer davon immerhin als "Görliwood-Express".
Der letzte Zug vorm Mauerbau
Die Handlung des Films "3 1/2 Stunden": Am 13. August 1961 steht der "Interzonenzug D-Zug 151" bereit zur Abfahrt von München nach Ost-Berlin. Kurz vor der Abfahrt machen Gerüchte die Runde, dass die DDR eine Mauer baut und damit die Grenze dicht machen wird. Dreieinhalb Stunden - so lange dauert die Fahrt bis zum letzten Halt auf westdeutschem Gebiet - haben die ostdeutschen Passagiere Zeit, die Entscheidung ihres Lebens zu fällen: Bleiben sie im Zug und fahren zurück, oder steigen sie vor der Grenze aus, lassen alles hinter sich und bleiben im Westen?