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"Reichsbürger" verzeichnen im Landkreis Görlitz massiven Zulauf

Während der Corona-Jahre haben "Reichsbürger" auch im Landkreis Görlitz viele Anhänger gewonnen - und sind oft mit rechtsextremen Organisationen verzahnt.

Von Markus van Appeldorn
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Reichsflaggen gehörten bei den Sonntags-Demos entlang der B96 zum Straßenbild - wie hier in Ebersbach. Sie werden auch von "Reichsbürgern" genutzt.
Reichsflaggen gehörten bei den Sonntags-Demos entlang der B96 zum Straßenbild - wie hier in Ebersbach. Sie werden auch von "Reichsbürgern" genutzt. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Sie tauchen immer wieder bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen auf - und bei den Sonntagsdemos gehörten sie zum Straßenbild entlang der B96 zwischen Oppach und Zittau: Reichsflaggen wie sie auch von sogenannten "Reichsbürgern" verwendet werden. In Boxberg scheint sich das selbsternannte "Königreich Sachsen" zu etablieren und auch in Reichenbach gab es offenbar den Versuch der Szene, eine Immobilie zu erwerben. SZ wollte wissen, wie diese Szene im Landkreis strukturiert ist. Eine Nachfrage beim Landkreis, dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) und Kommunen ergab: Die Jahre der Corona-Krise haben der "Reichsbürger"-Bewegung offenbar einen erheblichen Zulauf beschert.

Wie viele Personen zählen im Landkreis Görlitz zur sogenannten "Reichsbürger"-Szene?

Laut Landratsamt werden im Kreis Görlitz momentan etwa 140 Personen zur "Reichsbürger"-Szene gezählt. Das LfV spricht gar von 195 Personen. Und: Nach Erkenntnissen des LfV gab es Ende 2021 sachsenweit etwa 1.900 Personen, die der Szene zuzuordnen waren. Für 2022 schätzt das Innenministerium die Mitgliederzahl auf bereits 2.500 Personen.

Welch "Reichsbürger"-Einrichtungen gibt es im Landkreis Görlitz? 2

Beispielhaft nennt das Landratsamt:

Wie und wo betätigen sich "Reichsbürger" konkret?

"Zum einen sorgt die rechtsextreme Szene immer wieder mit ihren Konzerten/Festivals im Landkreis für Furore – etwa das jüngst das durch die Polizei aufgelöste Konzert in Arnsdorf/Vierkirchen", heißt es dazu vom Landratsamt.

Regelmäßig würde die Auseinandersetzung mit der Verwaltung gesucht. "Dabei werden umfangreiche Schreiben an Behörden versandt beziehungsweise diese „überflutet“." Die darin vorgetragenen Argumentationen könnten durchaus logisch wirken, ließen sich jedoch nach inhaltlicher Auseinandersetzung leicht widerlegen. Zudem werden mitunter Forderungen gegenüber Behördenmitarbeitern geltend gemacht. Bei der sogenannten Malta-Masche würde versucht, vermeintliche Zahlungsansprüche über ein vereinfachtes Verfahren geltend zu machen und diese dann in Deutschland durchzusetzen. Dabei treten die Anwender fiktive Forderungen an ein maltesisches Inkasso-Unternehmen ab, das seinerseits versucht, vor einem maltesischen Gericht einen dann EU-weit vollstreckbaren Titel zu erlangen.

Wie viele dieser Personen haben (legalen) Waffenbesitz oder die Erlaubnis zum Waffenbesitz? Welche Art von Waffen?

"Im LfV Sachsen sind sechs Personen aus der Szene der "Reichsbürger" erfasst, die zum Stichtag 31.12.2022 noch Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis waren", teilt das Landesamt dazu mit. Zur Art der Waffen könne man keine Aussage treffen.2

Wie viele waffenrechtliche Verfahren wurden gegen "Reichsbürger" eingeleitet und mit welchem Ergebnis?

"Im Landkreis Görlitz wurde im Jahr 2022 einer Person aus der "Reichsbürger"-Szene die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen", teilt das Landratsamt dazu mit. Sachsenweit seien insgesamt 77 Personen, zu denen Hinweise auf extremistische Bezüge vorlagen, auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit überprüft und in 36 Fällen eine bereits erteilte Erlaubnisse entzogen worden."

Wie viele Angehörige der "Reichsbürger"-Szene haben ihre regulären Ausweispapiere abgegeben oder zerstört?

"Es gibt einige wenige bekannte Fälle innerhalb der Landkreisbehörden, aber die Personen, die dieser Szene zugehörig sind, wenden sich oft nur an ihre Gemeinde, um dort ihre Ausweisdokumente abzugeben", so das Landratsamt. Teilweise würden auch nach Ablauf der Gültigkeit keine neuen Identitätsdokumente beantragt. So hat nach Auskunft der Stadt Herrnhut eine Person ihre Ausweispapiere zurückgegeben.

Wie schätzt das Landratsamt die Gefährlichkeit der Szene ein?

"Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wächst in Sachsen und auch im Landkreis Görlitz weiter an", so das Landratsamt. Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes müsse davon ausgegangen werden, dass sich der Aktionismus und die Aggression in der "Reichsbürger"-Szene weiter verstärken wird. "Aufgrund ihrer Waffenaffinität können Personen, die der "Reichsbürger"-Szenezuzurechnen sind, grundsätzlich als gefährlich angesehen werden", so das LfV. Von der Gemeinde Oppach heißt es dazu etwa: "In der Gemeinde leben Bürger, welche sich der Reichsbürgerschaft zugehörig fühlen, was sie vor allem mit entsprechender Beflaggung auf ihren Privatgrundstücken öffentlich kundtun. Jedoch haben wir in unserer Gemeinde keinen Fall mehr, der seine Ausweispapiere abgegeben hat bzw. anderweitig unsachlich auftritt bzw. von denen offensichtlich eine Gefahr ausgeht."

Was unternehmen die Behörden konkret?

"Wichtig ist, die von den "Reichsbürgern" ausgehende Gefahr einzudämmen. Dazu gehört eine regelmäßige Aufklärung der Bevölkerung, zivilgesellschaftliche Intervention und das konsequente Durchsetzen der Gesetze", so das Landratsamt. Seit einigen Jahren finde ein regelmäßiger Austausch mit der Landesdirektion Sachsen, dem Innenministerium und dem Kreis Bautzen zur praktischen Umsetzung von Maßnahmen im Versammlungsrecht, Polizeirecht und Ordnungsrecht statt.

Gab es Übergriffe/Beleidigungen oder Ähnliches gegenüber Mitarbeitern von Behörden, wenn ja welche und mit welcher Konsequenz?

"Die Diskussionskultur hat sich in den vergangenen Jahren stark verschlechtert. Nicht selten sind die Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung Beleidigungen oder Bedrohungen ausgesetzt", schreibt das Landratsamt. In diesen Fällen würden Strafanzeigen gestellt oder/und Hausverbote ausgesprochen. "Zudem werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landkreises auf den Umgang mit extremistischen Personen sensibilisiert", heißt es weiter. Herrnhuts Bürgermeister Willem Riecke teilt dazu mit: "Es gibt regelmäßig Schreiben derjenigen, in denen Mitarbeiterinnen teilweise beschimpft und bedroht werden. Meist wenn irgendein Verwaltungshandeln auf diejenigen abzielt, Zahlungen zu leisten sind oder Ähnliches." Die Verwaltung handele mit den notwendigen Maßnahmen wie Säumniszuschlägen, oder Verwarngeldern.

Korrekturhinweis 24. April, 17.43 Uhr: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, dass die Gruppe "Königreich Deutschland" um Peter Fitzek das Schloss Bärwalde erworben habe. Dies ist nach Hinweis der Stadtverwaltung Boxberg nicht der Fall.