SZ + Löbau
Merken

Der Kultur-Macher im Landkreis sagt Tschüss

Peter Hesse hat über 30 Jahre Kultur und Bildung im heutigen Kreis Görlitz geprägt - von Musik- und Volkshochschule über Bibliotheken bis zu Festivals. Selten stand er im Vordergrund.

Von Anja Beutler
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Peter Hesse im Kuweit-Gebäude in Löbau. Mit ihm geht ein Experte für Bibliotheken, Volkshochschul- und Musikschulbildung und Festival-Organisation.
Peter Hesse im Kuweit-Gebäude in Löbau. Mit ihm geht ein Experte für Bibliotheken, Volkshochschul- und Musikschulbildung und Festival-Organisation. © Matthias Weber/photoweber.de

Ohne Peter Hesse wäre im Landkreis Görlitz vieles anders - und manches schlicht nicht mehr vorhanden. Obwohl er nie so bekannt war wie ein Landrat oder Bürgermeister, ist Hesse, der zum 31. Dezember in den Ruhestand geht, immer ein wichtiger Kopf und Strippenzieher im Hintergrund gewesen. Und er ist einer der letzten, die seit der Wende von Anfang an die Geschicke der Region mitbestimmt haben: vom Kreis Löbau über den Kreis Löbau-Zittau bis zum Kreis Görlitz.

An dem großen, schlanken Mann aus Cunewalde führte über Jahrzehnte kein Weg vorbei - vor allem in der Kultur, aber auch bei Bildungs- und Finanzfragen. "Ich habe mich nie ganz nach vorn gedrängt", sagt Hesse. Mit Ideen, viel Raffinesse, einer gewissen Schlitzohrigkeit, enormem Hintergrundwissen und einem großen Netzwerk war er über verschiedene politische Konstellationen hinweg ein wichtiger Partner.

Ihm persönlich war in all der Zeit vor allem eines wichtig: Sich nicht vereinnahmen und einengen zu lassen. Diese Erfahrungen hatte er in seiner Jugend mit der DDR und ihrem Apparat zur Genüge gemacht. Da sein Vater wegen seiner TBC-Erkrankung in seiner Kindheit wenig für ihn da sein konnte, ist er als Einzelkind vor allem bei seiner Mutter groß geworden. Beide Eltern waren als Kriegsflüchtlinge nach Cunewalde gekommen. "Das Außenseitergefühl kenne ich also gut", sagt er. Mit 18 wollte er raus, Geld verdienen. Er verpflichtete sich auf drei Jahre bei der NVA, wurde Offizier auf Zeit.

"Ich habe gedacht, ich verblöde"

Bei der Armee trat er in die SED ein - weil er damals der DDR-Propaganda zur Situation in Moçambique und Angola glaubte, sagt er. Als ihn dann die Stasi anwerben wollte, ging er schnell auf Abstand. "Ich habe damals meinen Kameraden ganz offen erzählt, dass ich gerade angeworben werden sollte", erinnert er sich. Danach hatte er Ruhe. Nach der Armee studierte Peter Hesse an der Humboldt-Uni in Berlin Kulturwissenschaften, hatte sogar ein Forschungsstipendium. "Dafür sollte ich bei der SED an der Uni eine Funktion übernehmen", erzählt er. Das wollte er nicht und "floh" 1985 in einen Job in die Provinz: Nach Löbau, wo er erst stellvertretender Abteilungsleiter für Kultur und dann 1988 bis 1989 für Kultur beim Rat des Kreises Löbau zuständig war. "Das erste halbe Jahr habe ich gedacht, ich verblöde, ich gehe ein", erinnert er sich lachend. Aber die Herausforderungen sollten rasch kommen.

Denn zur Wendezeit zunächst entlassen, holte man ihn bald zurück als Kulturamtsleiter im Kreis Löbau und in der Übergangszeit vor der Kreisfusion von 1993 bis 1994 parallel auch in Zittau. Als ab Mitte der 90er Jahre die Gelder ausblieben, der Sparstrumpf ausgepackt und die Nachwende-Euphorie weg war, stand auch Hesse vor der Entscheidung: "Entweder erdulden oder versuchen zu gestalten", sagt er. Er wollte gestalten - und zwar "nach dem Prinzip Wurstsuppe, denn Fettaugen schwimmen oben. Wir müssen also größer werden als die anderen", erklärt er lächelnd.

Kreativer Kopf für neue Strukturen

Zugleich war er einer der wenigen Köpfe, die wegweisende Strukturen in Sachsen erdachten, um die knapperen Gelder effektiv zu verteilen: Er war bei der Erfindung der Kulturräume dabei, schrieb für seinen Kreis den ersten Schulnetzplan im Freistaat, konzipierte und leitete das erste Amt für Kreisentwicklung in Sachsen überhaupt - damals im Landkreis Löbau. Hesse war auch daran beteiligt, organisatorische Pflöcke für den 2008 gegründeten Landkreis Görlitz einzuschlagen, Einrichtungen zu vereinen. Nach vielen Amtsleiter-Stationen - unter anderem auch in der landesweit wohl einmaligen Kombination "Finanzen und Kultur" im Landkreis Löbau-Zittau, schwenkte er 2004 um: Seither lenkte und leitete er die Kultur- und Weiterbildungsgesellschaft mbH - liebevoll Kuweit genannt - zu der neben der Volkshochschule Dreiländereck unter anderem die Kreismusikschule, aber auch die Christian-Weise-Bibliothek und die Lehrlingswohnheime des Kreises gehören.

Peter Hesse und sein Nachfolger Stefan Möbus (links) bei der Kultur- und Weiterbildungsgesellschaft mbH.
Peter Hesse und sein Nachfolger Stefan Möbus (links) bei der Kultur- und Weiterbildungsgesellschaft mbH. © Martin Schneider
Peter Hesse vor der Löbauer Musikschule 2014. 2018 und 2019 hielten ihn Tarifstreitigkeiten mit den Musikschullehrern in Atem.
Peter Hesse vor der Löbauer Musikschule 2014. 2018 und 2019 hielten ihn Tarifstreitigkeiten mit den Musikschullehrern in Atem. © SAE Sächsische Zeitung
Als 2011 das 500-jährige Jubiläum des Salzhauses in Zittau gefeiert wurde, war Peter Hesse stilecht gekleidet dabei. Hier mit Juliane Helm (links) und Simone Hennig von der Kuweit.
Als 2011 das 500-jährige Jubiläum des Salzhauses in Zittau gefeiert wurde, war Peter Hesse stilecht gekleidet dabei. Hier mit Juliane Helm (links) und Simone Hennig von der Kuweit. © Steffen Scholz

Anders als andere Gesellschaften des Kreises Löbau-Zittau arbeitet und funktioniert die Kuweit bis heute - mit 130 Mitarbeitern. "Ich habe immer vom großen Vertrauen meiner Mitarbeiter gelebt", bilanziert Hesse dankbar. Dass die Kuweit von Anfang an auch ausgebildet hat, darauf ist er am Ende seines Arbeitslebens besonders stolz: "Das sind heute die verlässlichsten und solidesten Stützen der Kuweit", betont er. Auch sein Nachfolger Stefan Möbus ist ein Kuweit-Eigengewächs.

Nicht alles, was Hesse anpackte, gelang: "Als das Dreiklangfestival 2005 finanziell aus Dresden kalt abgesägt wurde, war das ein Schlag in die Magengrube", nennt er ein Beispiel. Manche perspektivisch ausgerichteten Strukturen überdauerten auch politische Wechsel nicht. "Ich habe nie in Wahlperioden gedacht", betont der 64-Jährige, der nach seinen einschneidenden Erlebnissen mit der SED nie wieder in eine Partei eingetreten ist und mit Grausen über die Jahre beobachtete, "wie Macht Menschen verändert".

Problemlösungen ohne lautes Tamtam

Die Flinte ins Korn zu werfen, war aber nicht sein Ding: "Wenn du in der Kultur nicht vorn dran bist, dich nicht veränderst, hungrig und neugierig bleibst, kannst du nur untergehen", umschreibt er. Untergehen wollte er nie - also hat Hesse neue Ideen aufgetischt, Probleme gelöst. "Ich habe dabei eher den stillen Weg bevorzugt", meint der Familienvater, der seit 41 Jahren mit seiner Frau verheiratet ist, zwei Söhne und fünf Enkelkinder hat.

Dabei gab es durchaus harte Zeiten, wo Hesse kaum wusste, wie er Gehälter bezahlen solle. Und die Wasserschaden-Katastrophe im Zittauer Salzhaus im Oktober 2013, die ihn genau in dem Moment am Telefon verkündet wurde, als er in Weißwasser auf der Baustelle eines Lehrlingswohnheims im Wasser watete, wird er wohl nie vergessen.

Was ihn ab Januar umtreiben wird, sind seine Enkel, sein Garten am sanierten 300 Jahre alten Umgebindehaus und gute Bücher. "Wie herrlich ist es, nichts zu tun und dann vom Nichtstun auszuruhen", zitiert er zum Abschied Zille. Ob er das mit dem Nichtstun kann? Hesse lacht. "Na ja, im Stiftungsvorstand Haus Schminke bleibe ich ja noch." Und Anrufe mit dem Satz "Du hast doch jetzt Zeit ..." bekommt er derzeit auch viele.