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Maulwürfe im Grünen Gewölbe

Die wahre Wahrheit über den Juwelenraub von Dresden. Eine Satire.

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Wie sich der Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden genau abgespielt hat, ist immer noch nicht ganz klar. Waren es vielleicht doch Maulwürfe?
Wie sich der Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden genau abgespielt hat, ist immer noch nicht ganz klar. Waren es vielleicht doch Maulwürfe? © David Brandt/Staatliche Kunstsammlungen Dresden/AP

Von Bettina Ruczynski

Nie im Leben habe ich mir so etwas vorstellen können. Dass bei der Schicksalswahl der Vorsitzenden der ältesten Partei Deutschlands nicht mal die Hälfte der SPD-Mitglieder ihre Stimme abgibt. Und somit die neuen Chefs nur von einem Viertel der Basis ins Amt gehievt worden sind. Noch schlimmer ist allerdings der Raub im Grünen Gewölbe. Und die ungeheuerliche Art des Vorgehens: plump, primitiv und roh. Allerdings effektiv; zugegeben.

Aber wenn schon das Entsetzliche nicht verhindert werden konnte, dann sollte es sich doch lieber so abspielen: Die sieben besten Juwelendiebe der Welt, die Creme de là Creme der Branche, tun sich zusammen. Einer von ihnen macht sich in mühevoller Kleinarbeit daran, per Hologramm ein Abbild des Gewölbes zu erstellen. Diese echt wirkenden Bilder werden zu gegebener Zeit auf die Überwachungskameras übertragen, um die Sicherheitsbeamten in Sicherheit zu wiegen. Bei drei weiteren der Weltspitzenjuwelendiebe handelt es sich um Inselbegabungen. Es sind Maulwürfe; immerhin das Tier des Jahres 2020. Diese niedlichen, fast blinden Gesellen graben sich nimmermüde und zielstrebig durch sächsische Erde und Beton; hin zu Brustschleife und Epaulette. Die äußerst friedliebenden Tiere zerstören nichts – kein Fenster, kein Sicherheitsglas. Sie graben nur still und emsig vor sich hin.

Derweil trainiert die Fünfte im Bunde, eine äußerst gelenkige junge Frau, komplizierte Übungen in der Disziplin Rhythmische Sportgymnastik. Ihre Körperbeherrschung samt atemberaubender Schnelligkeit helfen ihr, das ausgeklügelte System an Lichtschranken, das die Juwelen schützt und sofort Alarm auslöst, erfolgreich zu umtanzen. (Auf die Tatsache, dass im Grünen Gewölbe keine Lichtschranken sind, die rhythmisch umtanzt werden können, kann aus dramaturgischen Gründen leider keine Rücksicht genommen werden.) Jetzt kommt die Nichte der rhythmischen Gymnastin ins Spiel. Bei jener handelt es sich um eine Dame, die früher in saisonaler Teilzeit mit ihren drei Haselnüssen als Aschenbrödel tätig war – sie war jung und brauchte das Geld – und zu Weihnachten im Fernsehen noch immer ist. (Dieses Jahr hat sie dort 13 Auftritte, und da sind die bei den Privaten noch gar nicht dabei.) Mit den Zaubernüssen sorgt sie dafür, dass in der zu leerenden Vitrine eine Art Unterdruck entsteht. So kann das Glas abgenommen werden, ohne dass es dabei Schaden nimmt. Während dieses Vorgangs zeigen die Sicherheitskameras den Sicherheitsbeamten das Hologramm, sprich heile Welt.

Die Angelschnüre, mit denen die Juwelen befestigt sind, werden von Castor fiber, dem europäischen Biber und der Nummer sechs der Bande, flugs durchgenagt. Mit den denkwürdigen Worten: „Ich hab da mal was vorbereitet!“ öffnet die Chefin, bei der es sich um das Körperdouble von Catherine Zeta-Jones im Film „Verlockende Falle“ handelt, ein Paket, in dem sich in China gefertigte und somit täuschend echte Kopien der zu stehlenden Stücke befinden. Der Austausch ist eine Sache von Sekunden. Die Bande verschwindet durch den Tunnel, den das Tier des Jahres sauber verschließt. Niemand hat den Raub bemerkt. Keiner wird beim Anblick von Epaulette und Collier skeptisch „made in China“ murmeln. Gemeinsam reiten die Diebe in den Sonnenaufgang. So geht eleganter Juwelenraub. Bald werden die glorreichen Sieben den Schatz zurückbringen – genau so still und effizient, wie sie ihn gestohlen haben. Inzwischen überlegen sie aber, wie sie an die 500.000 ausgelobten Euro kommen. An Ideen dafür mangelt es ihnen nicht. Man darf gespannt sein. Genau wie bei der SPD.