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Kreis Meißen: "Die Stasi war eine Geheimpolizei ohne Kontrolle"

Für die Meißner MfS-Kreisdienststelle arbeiteten rund 290 IMs. Der Zeithistoriker Johannes Zeller sieht einen misslungenen Eliteaustausch, der bis heute nachwirkt.

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Sehr unscheinbar und ohne Glanz: Die Kreisdienststelle des MfS in Meißen in der Dresdner Straße 42/44.
Sehr unscheinbar und ohne Glanz: Die Kreisdienststelle des MfS in Meißen in der Dresdner Straße 42/44. © BStU

Herr Dr. Zeller, Sie haben jetzt das Buch "Meißen intern - die Geheimpolizei der SED" veröffentlicht. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Das Buch ist Teil einer Trilogie, die mit meiner Dissertation begann und sich mit den Methoden der Gleichschaltung in totalitären Systemen beschäftigt. Besonders machen diese Studien zur Zeitgeschichte, allesamt veröffentlicht im Wissenschaftsverlag Dr. Kovač, Hamburg, die Bedingungen in der sowjetischen Besatzungszone, geschaffen von den russischen Kirsatschi (Militärstiefel), zur Etablierung der SED-Herrschaft deutlich.

Wie schätzen Sie die Strukturen des MfS im Kreis Meißen ein? Wie effektiv haben sie gearbeitet? Es gab wohl etwa 40 hauptamtliche MfS-Mitarbeiter in der Kreisdienststelle Meißen, wie viel inoffizielle Mitarbeiter?

Inoffizielle Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches (IMS) waren in sicherheitsrelevanten Bereichen, in Betrieben, gesellschaftlichen Einrichtungen, Forschungs- und Bildungsstätten sowie staatlichen Institutionen, beschäftigte Personen, die ohne besonderen Anlass über das Verhalten von anderen Personen berichteten. Sie sollten Verdachtsmomente frühzeitig erkennen, vorbeugend und Schadens-verhütend wirken. Somit sollten sie wesentliche Beiträge zur Gewährleistung der inneren Sicherheit in ihrem Verantwortungsbereich leisten. Bis 1968 wurden sie überwiegend unter der Bezeichnung Geheimer Informator (GI) geführt. Mit ihren zuletzt 93.600 Angehörigen bildeten die IMS die größte Kategorie inoffizieller Informanten. Andere Quellen gehen für die 1980er Jahre von einem IMS-Anteil von bis zu 85 Prozent aus.

Die Zahlen für die Kreisdienststelle Meißen liegen vor. In den letzten Jahren der DDR von 1987 bis 1989 bewegte sich die Anzahl bei knapp 290. Eine wichtige Kategorie waren die „Überzeugten“ bzw. „200-prozentigen“. Das waren die Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS). Die GMS waren in leitenden Positionen in der Wirtschaft und Verwaltung tätig und sollten offen „parteilich“ und „staatsbewusst“ auftreten. Sie wurden in der Informationsbeschaffung eingesetzt und sollten die anderen inoffiziellen Mitarbeiter entlasten. In der Regel wurden sie nicht zur direkten „Bearbeitung“ von „feindlich-negativen Personen“ eingesetzt. Gegen Ende des MfS gab es etwa 33.300 GMS. Wenngleich sie zum Teil wie IM arbeiteten, wurden GMS vom MfS nicht als IM eingestuft. Die Klarnamen der beispielhaft genannten anonymisierten Inoffiziellen Mitarbeiter sind mir bekannt.

Der Meißner Zeithistoriker Johannes Zeller. Er studierte Zeitgeschichte an der Universität Rostock, Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und an der Fachschule für Staatswissenschaft Weimar. Sein Thema ist die Stasi und die SED.
Der Meißner Zeithistoriker Johannes Zeller. Er studierte Zeitgeschichte an der Universität Rostock, Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und an der Fachschule für Staatswissenschaft Weimar. Sein Thema ist die Stasi und die SED. © privat/Johannes Zeller

Wie gefährlich war die Stasi?

Es war eine Geheimpolizei ohne rechtsstaatliche und mediale Kontrolle. Auftraggeber war allein die Führung der SED auf allen Ebenen. Zugleich fungierte die Stasi als Hilfsorgan des sowjetischen Geheimdienstes, mit dessen Hilfe und nach dessen Vorbild sie entstand. Das MfS war so stark und wirksam wie ihre Inoffiziellen Mitarbeiter, die hauptamtlich geführt wurden. Zur Verantwortung gezogen wurde die mehrfach umbenannte SED für ihre Diktatur nie. Dabei war sie ohne jeden Zweifel der Auftraggeber des MfS und hätte 1990 verboten und aufgelöst werden müssen, das Vermögen eingezogen.

Das MfS verstand sich als Schild und Schwert der Partei. Musste es sich auch auf Kreisebene der SED-Führung unterordnen?

Ja, der Leiter der Kreisdienststelle des MfS war Mitglied der Kreiseinsatzleitung, auch Mitglied der Kreisleitung. Vorsitzender der Kreiseinsatzleitung war der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung. Weitere Mitglieder waren der jeweilige Chef des VPKA, und der jeweilige Sekretär für Sicherheitsfragen in der SED-Kreisleitung.

Die Villa an der Dresdner Straße gibt es heute noch: So sieht das ehemalige Quartier der Stasi in Meißen jetzt aus.
Die Villa an der Dresdner Straße gibt es heute noch: So sieht das ehemalige Quartier der Stasi in Meißen jetzt aus. © Claudia Hübschmann

In dem Buch werden viele Namen von hauptamtlichen MA genannt. Haben Sie bereits Reaktionen darauf?

Ja, es melden sich Bürger, die Schulfreunde, Verwandte, Bekannte wiederfinden, deren wirkliche Arbeitsstelle sie nicht kannten.

Relativ umfangreichen Raum widmen Sie der Rolle von Frank Richter bei der Gründung der Gruppe der 20 im Oktober 1989 in Dresden. Warum?

Ich habe abschließend und wissenschaftlich fundiert die wahre Geschichte der Gründung der Gruppe der 20 am 8. Oktober 1989 in Dresden geschrieben. Meine Quellen sind gerichtsfest und belastbarer als die Äußerungen von Akteuren des Dresdner „Revolutionsadels“.

Warum konnte die personell so stark aufgestellte Stasi die friedliche Revolution in der DDR nicht verhindern?

Ich möchte mit der von mir verehrten Hannah Ahrendt antworten: „Wir widerstehen dem Bösen nur dann, wenn wir nachdenklich bleiben. Das heißt, indem wir eine andere Dimension erreichen, als die des täglichen Lebens. Je oberflächlicher jemand ist, desto eher wird er sich dem Bösen ergeben. Das ist die Banalität des Bösen. Ein Anzeichen für eine solche Oberflächlichkeit ist der Gebrauch von Klischees.“

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass es sich um keine Revolution, sondern um einen politischen Transformationsprozess handelt, der am 1. Juli 1990 als Transitionspunkt begann und immer noch anhält. Daraus ergibt sich, quasi als Phantomschmerz des Transformationsprozesses, eine sehr hohe Sensibilität des Erkennens der Unterschiede zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung von uns Ostdeutschen. Dazu kommt die immer noch nachwirkende Tatsache des misslungenen Eliteaustausches, der zu einem Elitetransfer von West nach Ost wurde, verbunden mit der Tatsache, dass durch überbordende Vorruhestandsregelungen die 55-Jährigen und später die 58-Jährigen in einen Lebensabschnitt gedrängt wurden, den sie nicht wollten. Naturgemäß gab es dadurch Einschnitte tief in die Familien hinein, die bis in die heutige Generation der Kinder und Enkel wirken.

Die Fragen stellte Ulf Mallek.