Meißen. Anna Schwarzbach sitzt zwischen Geschäftsführerin Gabriele Philipp und Ausbilder Lutz Haufe im Musterzimmer der Meissener Bleikristall GmbH Marlies Sändig. Vitrinen voller bunt schillernder Kelche, Vasen und Trinkgläser säumen die Wände. Sie sind das Produkt unzähliger Stunden feinster Schliff- und Gravurarbeit, ihr Wert ist, konservativ geschätzt, unschätzbar.
Vor Anna steht eine bernsteinfarbene Vase, in die ein von Blumen umgebener Drache eingraviert ist. Inspiriert wurde sie in der Motivwahl von dem oscarprämierten Zeichentrickfilm "Chihiros Reise ins Zauberland", der Anna in ihrer Kindheit viel bedeutet hat. Die Vase ist ihr Prüfungsstück. Im Juli 2023 hat sie die Ausbildung zur Glasveredlerin mit 93 von 100 möglichen Punkten abgeschlossen - und zählt somit zu Deutschlands besten Auszubildenden des Jahres 2023.
Drei Ausgezeichnete aus dem Landkreis Meißen
Jedes Jahr zeichnet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die besten Absolventinnen und Absolventen von DIHK-Ausbildungen aus. Drei davon kamen aus dem Landkreis Meißen: der Industrie-Isolierer Pierre Göhler und der Isolierfacharbeiter Franz Günzel arbeiten für den Klipphausener Konzern TL Concept. Und natürlich Anna Schwarzbach, die Glasveredlerin.
Die junge Frau stammt ursprünglich aus Coswig. Zu Meissener Bleikristall kam sie eher zufällig: Während eines Berufsvorbereitendes Bildungsjahres nach dem Hauptschulabschluss wurde ihr der Betrieb als Praktikumsstelle empfohlen. Dort wurde man schnell auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aufmerksam. Sie verfügte von Anfang an über handwerkliches Geschick, erklärt Geschäftsführerin Gabriele Philipp. Nach Abschluss des Praktikums begann sie ihre Ausbildung in dem äußerlich unscheinbaren Haus am Kalkberg. Sie sei die erste Auszubildende mit einem dermaßen guten Prüfungsergebnis, erzählt Gabriele Philipp.
Den schulischen Teil ihrer Ausbildung hat Anna Schwarzbach am Berufsschulzentrum im thüringischen Ilmenau absolviert. In mehrwöchigen Blöcken mit Unterbringung lernte sie dort. In Meißen konnte sie sich auf den praktischen Aspekt der dualen Ausbildung konzentrieren und in den Betriebsräumen von Meissener Bleikristall das Handwerk erlernen.
90 Prozent Umsatz aus dem Export
Was sollte man sonst an Voraussetzungen für den Beruf mitbringen? Künstlerisches Talent, Ausdauer und räumliches Vorstellungsvermögen, zählt Ausbilder Lutz Haufe auf. Und Gabriele Philipp, die seit einigen Jahren alleinige Geschäftsführerin ist, ergänzt: einen eisernen Willen. Denn die wirtschaftlichen Umstände für das Geschäft mit den luxuriösen Glaswaren sind nicht mehr dieselben wie noch in zurückliegenden Jahren.
Gehörten Bleikristall-Kelche einst zum guten Sonntagsgeschirr, hätte sich die Tischkultur inzwischen geändert. Ein großer Teil, etwa 90 Prozent, des Umsatzes entstünde aber schon seit Jahrzehnten durch den Export, erklärt Gabriele Philipp. Besonders Kunden in Japan und Taiwan seien begeistert von Bleikristallartikeln aus Meißen.
Das 1947 gegründete Unternehmen beschäftige gegenwärtig 16 Mitarbeiter, erzählt sie. Firmengründer Horst Sändig verstarb im Jahr 1994, seine Ehefrau Marlies Sändig ist bis heute Eigentümerin des Betriebs und eng mit diesem verbunden. Einst betrieb sie ein Fachgeschäft für Glaswaren auf der Elbstraße, in dem auch Meissener Bleikristall verkauft wurde. Im Jahr 2020 sah man sich gezwungen, das Geschäft im Zuge der Corona-Pandemie zu schließen. Eine erneute Öffnung blieb schließlich wegen Kostengründen aus. Heute beherbergen die Räumlichkeiten die Bäckerei Brot & Aehre.
Es besteht jedoch die Möglichkeit, in der Schauwerkstatt der Firma Einblicke in das Handwerk zu erlangen. Im Einkaufsshop der Firma können in der Zeit von Montag bis Freitag zwischen 8 und 15 Uhr fertige Artikel käuflich erworben werden.
Gabriele Philipp ist trotz aller wirtschaftlicher Schwankungen nicht pessimistisch. Die Menschen würden die Wertschätzung für hochwertige Handwerkswaren langsam wiederentdecken, meint sie. Und das vorangegangene Jahr sei für die Firma durchaus positiv verlaufen. Anna Schwarzbach kann sich jedenfalls vorstellen, ihren Beruf, für dessen Lehrabschluss sie nun prämiert wurde, noch lange auszuüben. An ihrem Arbeitsplatz in der Werkstatt stehen etwa 60 rote Gläser, die darauf warten, von ihr graviert zu werden. Allein das dürfte sie eine Weile beschäftigen.
Das Jahr des Drachen
Nahe dem Boden von Anna Schwarzbachs Prüfungsstück, unter der Schwanzquaste des Drachens, hat sie ihre Initialen - AS - in das Glas eingraviert. Noch tiefer, am Fuß des Gefäßes, prangt ein geschwungenes M, für die Firma selbst. Alle Objekte aus dem Haus tragen solche Signaturen - das Firmenlogo und das Signum des jeweiligen Künstlers. Sie stehen für die Herkunft der Produkte: hochwertige Meißner Handwerkswaren, entstanden in Hunderten, wenn nicht Tausenden Minuten konzentrierter Arbeit.
Die Produktion hochwertiger Bleikristallwaren wird nicht einfacher werden, weiß Gabriele Philipp. Man begegne immer wieder neuen Herausforderungen, deren Lösung man jedoch zuversichtlich entgegenblicke. 2024 beginnt im chinesischen Tierkreis-Kalender das Jahr des Drachens, welches auch in Abnehmer-Ländern wie Japan gefeiert wird. Die Artikel, die zu diesem Anlass gefertigt wurden, sind bereits ausgeliefert. Doch Anna Schwarzbach wird mit Sicherheit genügend Gelegenheiten bekommen, um ihr Können und ihre Kreativität in den kommenden Jahren unter Beweis zu stellen.