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Wie groß ist die Krise in der Baubranche wirklich?

Der Wohnungsneubau ist eingebrochen und bei öffentlichen Aufträgen stehen die Firmen Schlange. Als wäre das nicht genug, beginnen nun die Tarifgespräche.

Von Ines Mallek-Klein
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Es stockt am privaten Wohnungsbau. Es gibt kaum noch neue Aufträge und auf einigen Baustellen ruhen die Arbeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Es stockt am privaten Wohnungsbau. Es gibt kaum noch neue Aufträge und auf einigen Baustellen ruhen die Arbeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig. © Claudia Hübschmann

Meißen. Thomas Möbius leitet die TSM Bau GmbH aus Riesa. Ein 1998 gegründetes Familienunternehmen. Der Obermeister ist Chef von knapp zwei Dutzend Mitarbeitern. Krisen in der Baubranche, die gibt es immer mal wieder. Doch diesmal sei die Lage besonders ernst, sagt der Unternehmer, der zugleich stellvertretender Kreishandwerksmeister ist.

Die Mitgliedsunternehmen betrachten die Lage durchweg als äußert kritisch, sagt Möbius. Viele Firmen hätten bereits jetzt keine Aufträge mehr abzuarbeiten und mussten einen Großteil ihrer Beschäftigten in die Kurzarbeit schicken. In anderen Firmen habe man noch zu tun, allerdings sei jetzt schon abzusehen, dass es spätestens ab Jahresmitte zu einem drastischen Auftragsmangel kommen werde.

Schaut man genauer hin, so ist es vor allem der private Wohnungsbau, der nahezu komplett eingebrochen sei. Eine Tendenz, die auch Architekten bestätigen. Da, wo jetzt noch geputzt, gemalert, gefliest oder geklebt werde, handle es sich um Fertigstellungen von Bauprojekten. Thomas Möbius erhält von den Mitgliedsunternehmen aber auch immer öfter Berichte, wonach Baustellen im Rohbau stillgelegt werden - auf unbestimmte Zeit.

Eine Trendwende sei nicht zu erwarten, das zeige ein Blick in die Bauämter. Die Zahl der Baugenehmigungen für den Wohnungsneubau seien erdrutschartig eingebrochen. Der Vizechef der Kreishandwerkerschaft macht dafür die im Zuge der Inflation deutlich gestiegenen Baupreise verantwortlich. Nahezu zeitgleich sind die Kredite durch Zinserhöhungen teurer geworden, und als wäre das nicht schon genug, kommen politischen Rahmenbedingungen hinzu, von denen sich Bauherren deutlich mehr Verlässlichkeit wünschen würden.

Berufsbilder stärker bewerben

Die öffentliche Hand ist natürlich auch Auftraggeber, aber, so Möbius, sie wird die Flaute am privaten Wohnungsmarkt nicht annähernd abfedern können. Schon heute sei bei Ausschreibungen z u beobachten, dass sich die Zahl der Bieter verzehnfacht habe. Und auch das Versprechen der Politik, dass die energetische Wohngebäudesanierung Auftragslücken schließt, verfängt offenbar nicht. Die energetische Gebäudesanierung ist aufgrund gesetzlicher Vorschriften zur Wärmeschutzverordnung sehr teuer. Gerade bei Mietobjekten lassen sich die Sanierungskosten mit den zu erzielenden Mieten nicht vereinbaren, erklärt der Riesaer Unternehmer.

Und die Folgen, die dürften dramatisch sein, vor allem für alle Firmen des Bauhauptgewerbes. Einige hätten sich in den letzten Jahren komplett den Wohnungsbau und allen Folgegewerken verschrieben, sie treffe es jetzt besonders hart. "Sie stehen schon jetzt mit dem Rücken zur Wand", so Thomas Möbius. Geschäftsaufgaben seien daher nur eine logische Konsequenz und sollte der Auftragsmangel weiter anhalten, werde auch die Zahl der Insolvenzen in der zweiten Jahreshälfte deutlich steigen.

Da gerät die Diskussion um den Fachkräftemangel schnell in den Hintergrund. Aber den gibt es immer noch. Zwar steigen die Ausbildungszahlen, allerdings würde längst nicht jeder Lehrling auch bis zum Ende durchhalten. Zugewanderte Arbeitskräfte könnten helfen, die Personallücke zu schließen, allerdings bedürfe es dafür einen Abbau bürokratischer Hürden, so müssten im Ausland erworbene Berufsabschlüsse schneller anerkannt werden, sagt Thomas Möbius. Das Bauhandwerk bietet 36 verschiedene Berufsbilder an, sie stärker zu bewerben, sei auch Aufgabe der Kammer, so der Vizepräsident selbstkritisch.

"Das Leben spielt sich auf einem anderen Preisniveau ab"

Die Gewerkschaft, so scheint es, hat schon einen Weg gefunden, den Job attraktiver zu machen. Sie fordert in den laufenden Tarifverhandlungen 500 Euro für die 3.620 Beschäftigten in der Baubranche im Landkreis Meißen. "Wichtig ist, dass alle Lohntüten demnächst um den gleichen Eurobetrag dicker werden, egal ob Kranführer, Straßenbauer oder Büroangestellte", so der Bezirksvorsitzende der Industriegewerkschaft Bau, Jörg Borowski.

Die Verhandlungen werden am kommenden Donnerstag beginnen und die Gewerkschaft will sie nutzen, um die Löcher in den Lohntüten zu stopfen, die die Inflation gerissen hat. "Der Preisdruck ist nach wie vor hoch, Miete, Heizen, Einkaufen, Autoreparatur - das Leben spielt sich auf einem anderen Preisniveau ab", so der Gewerkschafter. Dem müsse die Branche Rechnung tragen.

"Wanderarbeiter ziehen weiter nach Westen und Norden"

Und der gehe es längst nicht so schlecht, wie die Unternehmen vielfach behaupten, sagt Holger Bartels. Der Regionalleiter der IG Bau räumt zwar ein, dass die Aufträge für den Wohnungsbau tatsächlich merklich zurückgegangen seien. Allerdings jammerten die Baubetriebe auf hohem Niveau. "Sie waren es in den letzten Jahren gewöhnt, zwölf bis 18 Monate Auftragsvorlauf zu haben. Das hat sich jetzt eben etwas geändert", so Bartels. Viele Firmen könnten nur noch ein Quartal vorausblicken. Aber Tief- und Straßenbau, der von der öffentlichen Hand bezahlt wird, laufe unverändert weiter und sorge bei den darauf spezialisierten Firmen für volle Auftragsbücher.

Die angepeilte Tariferhöhung um 500 Euro für jeden Beschäftigten hält Bartels für mehr als gerechtfertigt. Denn sie werde ja quasi rückwirkend durchgesetzt, also für die vergangenen beiden Jahre, in denen die Baubetriebe noch gut verdient hätten - auch weil sie die Steigerung der Baupreise vielfach an die Investoren weitergegeben hätten.

Bei der Bezahlung, so Bartels, müsse sich etwas tun, auch um Nachwuchskräfte zu gewinnen, deren Ausbildung die Unternehmen in den vergangenen Jahren massiv vernachlässigt hätten. Das derzeitige Lohnniveau sei nicht mehr hinnehmbar und im Übrigen auch deutlich schlechter als in unseren Nachbarländern. "Für Wanderarbeiter sind wir schon lange nicht mehr attraktiv, die ziehen weiter nach Westen oder Norden", so der Gewerkschafter.