Meißen. Er ist nicht zu übersehen in dieser Stadt. Auf dem Markt, an der Elbe oder in den Weinbergen ist Ulrich Jungermann anzutreffen – an seiner Staffelei sitzend. Das hat dem Künstler den Namen Stadtmaler eingebracht. Sein Fahrrad nutzt er zum Transportieren der Malutensilien, so dass er jederzeit und nahezu an jedem Ort mit dem Malen beginnen kann.
Die in seinen Bildern festgehaltenen Blicke auf die Albrechtsburg gehören zu Meißen wie das Porzellan. Dabei gleicht kein Bild dem anderen. Es sind Momentaufnahmen, scheinbar alltägliche Szenen. Ob Szenen aus Hochwasser-Zeiten, tratschende Frauen oder ins Handy vertiefte Teenies – Jungermanns Bilder erzählen immer etwas. Von seinen Eindrücken, die „raus müssen“, wie er es beschreibt. Und mit einer typischen Handbewegung von der Brust weg verdeutlicht. Dieses „raus müssen“ charakterisiert auch seine Produktivität. Zwei Bilder am Tag müssen es sein – dieses Limit hat er sich selbst gesetzt.
Mit seinen Augen fängt Ulrich Jungermann die Geschichten ein, die seine Bilder erzählen. Die Burg ist eines seiner Lieblingsmotive, aber auch das Leben in den Straßen und Gassen Meißens. Da zeigt sich sein Gespür, auch für Alltägliches. Szenen aus der S-Bahn, aus der Kneipe oder aus Zeiten der Maskenpflicht. Davon künden seine Zeichnungen, die zurzeit im Landratsamt in der Meißner Brauhausstraße zu sehen sind.
„Ich suche nicht das Problem, sondern die Lösung“, beschreibt er sein künstlerisches Credo. Seine Bilder strahlen Ruhe, Entspanntheit, ja Friedlichkeit aus. Das gilt auch für seine Porträts, wie das seiner Mutter oder seiner Frau Katja.
Jeden Tag aufs Neue
„Wenn ich etwas gesehen habe, dann male ich das“, sagt er. Da braucht es manchmal nur Minuten, bis das Bild auf die Leinwand gebracht ist. Die in seiner Malerei verarbeiteten Beobachtungen bringen ihn auf sehr gute Gedanken, erklärt er, was ihn antreibt – und jeden Tag aufs Neue losziehen lassen, um bei Tageslicht neue Bilder einzufangen.
Seine Kunst habe ihm geholfen, im Leben klarzukommen, sagt er. In seiner Kindheit, die Ulrich Jungermann „schwierig“ nennt, entdeckte er sein Talent, Beobachtetes wiederzugeben. Mit Häusern und Alleen in der Gegend um seine Geburtsstadt Stralsund, die er bis heute aufbewahrt hat, machte er auf sich und seine Begabung aufmerksam. Er bewarb sich um eine Ausbildung zum Porzellanmaler in Meißen. Ein Film über die Porzellanmanufaktur, den er gemeinsam mit seinem Vater gesehen hatte, gab den letzten Ausschlag dafür.
Sein künstlerisches Handwerk hat Ulrich Jungermann in Dresden vervollkommnet. An der Hochschule der Bildenden Künste. Hier studierte er von 1976 bis 1981. Mit dem Diplom als Maler und Grafiker sowie Erfahrungen mit den Ränkespielen im Kunstbetrieb der DDR kehrte er nach Meißen zurück, wo er seitdem freiberuflich arbeitet.
Eitelkeiten und Neid um ihn herum ließen Freundschaften zerbrechen, bestärkten ihn aber auch darin, dass er als Künstler allein klarkommen muss. Er blieb sich treu – was auch zu Zerwürfnissen und Brüchen, Abstürzen und Krisen führte. Als er sich an den Chef der Dresdner SED-Bezirksparteileitung Hans Modrow mit der Bitte um ein Gespräch wandte und in Dresden dann von dessen leitenden Kulturfunktionären empfangen wurde, gab er sein Parteibuch zurück – im Jahr 1987. Dem Parteiaustritt folgte der Rausschmiss aus dem Verband Bildender Künstler der DDR. Auch darüber wird in seinen Memoiren zu lesen sein, an denen er bereits arbeitet, wie Ulrich Jungermann verrät.
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Spitzweg und Busch als Vorbilder
In seiner künstlerischen Erzählweise lehnt sich Ulrich Jungermann an den Impressionismus an. Diese Kunstrichtung ist für ihn besonders geeignet, um das Wesentliche auszudrücken. So wie es Carl Spitzweg und Wilhelm Busch mit besonderer Meisterschaft gelungen ist. An beiden orientiert er sich noch heute. Ulrich Jungermanns Realismus kommt ohne Attribute aus. „Man soll mich als Erzähler von Meißen sehen“, bekennt er.
Sein Arbeiten in der Meißner Öffentlichkeit bewirkt meist freundliche Neugier und Anerkennung. 2014 wurde er mit dem Kunst- und Kulturpreis der Stadt Meißen geehrt. „Es sind die leisen Momente, die flüchtigen Begegnungen und Stimmungen, die Alltagsszenen, die Jungermann fesseln und die er auf diese Weise einzufangen versucht“, hieß es in der Begründung.
Tausende Bilder im Atelier
Ulrich Jungermanns Atelier an der Großenhainer Straße ist eher ein Lager: Hier finden sich gut geordnet und sortiert seine Gemälde, Zeichnungen und Drucke. Bei mindestens zwei Bildern am Tage sind Tausende zusammengekommen im Verlaufe seines Lebens. Seine Bekanntheit nicht nur in Meißen half ihm, dass seine Bilder, Lithografien und Kunstdrucke in Galerien auch außerhalb der Stadt zu sehen sind und zum Kauf angeboten werden. Freunde öffneten Türen. „Ich kann von meiner Kunst leben“, sagt er. Zuweilen wird er auch gefragt, ob er ein Bild von diesem oder jenem Ort vorrätig hat.
Ulrich Jungermann ist vielseitig. Stolz zeigt er eine Presse samt Buchstaben-Sätzen, die in vor-digitaler Zeit im Akzidenz- und Buchdruck verwendet wurde und die er aus dem Rest der einstigen Druckerei an der Meißner Lorenzgasse rettete. Diese Presse leistet Ulrich Jungermann gute Dienste – beim Vervielfältigen von Holzschnitten ebenso wie beim Drucken von Karten oder Plakaten, die seine Ausstellungen ankündigen. Die 250 Exemplare eines Kalenders mit seinen Kunstdrucken, sind begehrt – seit Jahren schon.
Zuweilen wird er auch nach einem Gastgeschenk für einen Besuch im baden-württembergischen Partnerkreis gefragt, berichtet er von einem Besuch des Landrats in seinem Atelier. Und auch ein Muster für ein Porzellan-Service hat Ulrich Jungermann entworfen.
An diesem Donnerstag wird er 70 Jahre alt. Für ihn ist das ein ganz normaler (Arbeits-)Tag. Er wird morgens aufbrechen und sich ein erstes Meißen-Motiv suchen. Solange er fühlt, dass es raus muss, solange er zwei Bilder am Tag erschafft – solange wird Ulrich Jungermann seinem Namen alle Ehre machen.