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Meißen: Von einem, der auszog, die Güte der Menschen zu finden

Der Meißner Klaus Dorschner umrundet Deutschland mit dem Liegefahrrad. Ein Bericht über schlechtes Wetter und Lichtblicke.

Von Jakob Hammerschmidt
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Klaus Dorschner mit seinem treuen Liege-Trike an der Ostsee. Einer der beiden Wimpel sei kürzlich kaputtgegangen, was ihn sehr traurig gestimmt habe.
Klaus Dorschner mit seinem treuen Liege-Trike an der Ostsee. Einer der beiden Wimpel sei kürzlich kaputtgegangen, was ihn sehr traurig gestimmt habe. © privat

Möwen kreischen im Hintergrund, als Klaus Dorschner am Freitag aus Travemünde anruft. Viel Zeit hat er nicht. Sein Tagesziel sei heute Wismar, immerhin etwa 50 Kilometer gen Osten. Auf seinem Liege-Trike - ein dreirädriges Gefährt mit zuschaltbarer elektrischer Unterstützung - hat der Meißner während seiner Deutschlandumrundung bisher bereits knapp über 4.000 Kilometer zurückgelegt. Unterwegs begegnete er Verkehrshindernissen, Extremwetter - und wieder und wieder und der Bestätigung, dass der Mensch im Grunde gut sei.

„Deutschland hat die schlechtesten Radwege“

Doch von Anfang an. Dorschner, 63 Jahre alt, ist seit Langem begeisterter Radfahrer. Den 50 Kilometer langen täglichen Weg zu seinem Arbeitsplatz bei der Dresdner Stadtentwässerung legte er auf dem Fahrrad zurück – zuerst noch mit dem Rennrad, nach einem Bandscheibenvorfall dann mit dem Liege-Trike, mit dem er nun wie verwachsen scheint. Bevor er im Juni in den Vorruhestand eintrat, um seine Mammut-Radtour antreten zu können, ereilte ihn jedoch ein Schicksalsschlag.

Im März 2022 erlitt Klaus Dorschner einen Schlaganfall. Zu seinem großen Glück erholte er sich in der Reha wieder, und trug scheinbar keine körperlichen Schäden davon. Doch das Ereignis war dennoch einschneidend: Nach dem Anfall stieg Dorschner auf eine vegetarische Ernährung um, gab das Rauchen und den Alkohol vollständig auf, wie seine Frau Bettina Kulke berichtet, die im Medienpädagogischen Zentrum Meißen und an der Oberschule Kötitz arbeitet. Und Dorschner begann für die Tour zu trainieren. Ursprünglich plante er eine Umrundung der Ostsee, entschied sich dann aber doch noch einmal um. Laut ihm selbst, weil ihm Putins Vormarsch Sorgen bereitet. Seine Frau meinte jedoch auch, die Familie hätte ihn gebeten, sich an einer etwas kleineren Reise zu versuchen.

Dorschner unterwegs.
Dorschner unterwegs. © privat

Am 11. Juni startete Klaus Dorschner in Altenberg vom Erzgebirge aus zu seiner Deutschlandumrundung. Bisher besuchte er dabei acht Anrainer-Staaten (plus Liechtenstein): Tschechien, Österreich, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Belgien, Dänemark sowie die Schweiz, „mein Geld besuchen“, wie er verschmitzt am Telefon hinzufügt. Auch Polen wird er wohl bald auf die Liste setzen können. Und auch wenn er sich keine Länderwertung erlauben möchte, stellt Klaus Dorschner unumwunden fest: „Deutschland hat die schlechtesten Radwege, sowohl was den Belag als auch was die Ausschilderung betrifft.“ Sein Favorit in dieser Hinsicht ist das Pommesparadies Belgien.

Die heimliche Heldin

Eine Reise mit diesen Ausmaßen kommt nicht ohne Strapazen aus. Mehrfach musste Dorschner wegen gesperrter Straßen umdrehen. Der Arlbergpass in Österreich beispielsweise sei Radfahrern gänzlich unzugänglich gewesen. Zu seinem Glück wollte seine Frau ihn zu dieser Zeit besuchen und seine Reise für zwei Wochen begleiten, und so schmuggelte sie ihn und sein Gefährt kurze Zeit im Auto mit, wie Bettina Kulke schmunzelnd erzählt. In der Eifel verabschiedete sich das Paar wieder, und pünktlich drehte sich auch das Wetter: Kälte und Nässe waren nun Dorschners Begleiter, sodass er auch das mitgebrachte Zelt nur selten aufstellen konnte und immer öfter in Herbergen unterkommen musste, die ihm nicht selten seine Frau vom heimischen Meißen aus buchte.

In Emden erlebte Klaus Dorschner dann seinen Tiefpunkt, erwog zum ersten und einzigen Mal die Aufgabe. Bettina Kulke entschloss sich kurzerhand, ihn zu besuchen („Die Autobahn war frei“) und zum Weitermachen zu ermutigen. Kulke ist die heimliche Heldin von Dorschners Reise, die beide täglich telefonieren. Seine Abwesenheit empfand sie zu Beginn noch nicht als störend. Viele Dinge, die liegengeblieben waren, habe sie schaffen können. Nun, nach zwei Monaten, werde sie jedoch etwas kribbelig.

Klaus Dorschner und ein temporärer Reisekumpan vor bergiger Kulisse.
Klaus Dorschner und ein temporärer Reisekumpan vor bergiger Kulisse. © privat
So sieht die Zeltstatt des Deutschlandumrunders aus - auch wenn er wegen des Regens häufig in feste Herbergen ausweichen musste.
So sieht die Zeltstatt des Deutschlandumrunders aus - auch wenn er wegen des Regens häufig in feste Herbergen ausweichen musste. © privat

Auch Freunde und Bekannte meldeten sich während seiner härtesten Phase bei ihm, sprachen ihm Mut zu. Dieser Kontakt zu Menschen, bekannt wie fremd, ist es, der Klaus Dorschner in seiner Überzeugung bestärkt hat, dass der Mensch im Grunde gut sei. Er bezieht sich hierbei auf das Buch „Im Grunde gut“ des niederländischen Historikers Rutger Bregman, in dem dieser postuliert, dass der Mensch von Grund auf gut und hilfsbereit sei. „Es wird einem kaum noch aus freien Stücken geholfen“, relativiert Dorschner selbst, aber wenn man die Leute anspräche, dann erhalte man Hilfe.

Die Realität sieht anders aus

Seine Reise ist voll mit Beweisstücken für seinen optimistischen Ausblick auf die Welt. Menschen, die ihm in wenigen Minuten anbieten, sein zerstörtes Handydisplay oder sein kaputtes Schutzblech zu reparieren. Flüchtige Begebenheiten, wie ein Amerikaner, mit dem er in Husum drei Sätze wechselte, bevor die Ampel grün wurde. Ein Radlerehepaar aus Lörrach, das er bei Salzburg kannte, und das ihn, als er selbst durch Lörrach fuhr, mit einer Flasche Sekt überraschte. Auf die Frage, ob die Reise ihm die Hoffnung in die Güte des Menschen wiedergegeben habe, antwortet Dorschner, er habe sie nie verloren.

Zu seinem sonnigen Gemüt trägt auch bei, dass er seinen eigenen Medienkonsum während der Reise nicht auf ein Minimum reduziert habe. Die Medien berichten hauptsächlich über negative Ereignisse, er weiß, das sei Teil des Geschäfts. Die Realität sehe jedoch anders aus. Und diese Realität will er auf seiner Reise kennenlernen. Es geht ihm nicht um sportliche Meilensteine, stattdessen versteht er es als Genuss- und Erkundungsreise. Die empfiehlt er jedem, der offen für Fremdes und Unbekanntes sei. Toleranz zu zeigen, sei das Wichtigste, meint Dorschner. Und räumt ein, dass „wir Deutschen“ das manchmal nicht beherrschten.

Klaus Dorschner wird seine Reise voraussichtlich Mitte September abschließen. Bis dahin können ihm Interessierte auf Instagram unter dem Namen „dreiradfahrer63“ folgen, wo er seinen Reisefortschritt dokumentiert.