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Das Kaolin-Geheimnis der Meißner Porzellanmanufaktur

Im kleinsten Bergwerk Deutschlands wird das weltweit reinste Kaolin für die Porzellanmanufaktur Meissen gewonnen. Doch jetzt war ein Umzug unter Tage nötig.

Von Ines Mallek-Klein
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So sieht es in dem kleinen Schacht aus. Das Kaolin aus Seilitz gilt als besonders rein, weil es auch während der Eiszeit nicht mit Erzen verunreinigt wurde.
So sieht es in dem kleinen Schacht aus. Das Kaolin aus Seilitz gilt als besonders rein, weil es auch während der Eiszeit nicht mit Erzen verunreinigt wurde. © Porzellanmanufaktur Meissen

Meißen. Das schneeweiße Gebäude mit dem roten Ziegeldach schmiegt sich an den Hang. Dass sich in seinem Inneren der Zugang zu Europas kleinstem in Betrieb befindlichen Bergwerk befindet, wissen nur Eingeweihte. Allein die gekreuzten Blauen Schwerter an der Gebäudefassade lassen erahnen, dass der 2021 begonnene Bau etwas mit der Porzellanmanufaktur Meissen zu tun hat.

Denn hier in dem Diera-Zehrener Ortsteil Seilitz, wo 14 Einwohner und eine Handvoll Galloway-Rinder zu Hause sind, wird der Rohstoff gewonnen, der das Meissener Porzellan so Besonders macht. Hier wird Kaolin abgebaut, in seiner reinsten und schönsten Form, wie es sonst weltweit nicht zu finden ist, sagt der Geschäftsführer der Porzellanmanufaktur, Tillmann Blaschke.

Der regionale Rohstoff macht es möglich

Das schneeweiße Gestein liegt zu einem Haufen aufgeschüttet in einer von drei Kammern des Huthauses. So nennt man das zentrale Verwaltungsgebäude eines Bergwerks. In den Händen fühlt es sich an, wie eine Mischung aus Kreide und Wachsstift. Es hinterlässt beim Zerreiben feinste weiße Pulverspuren. Die beiden Bergmänner in Seilitz schaffen es, der Erde täglich einige Hunte - das sind metallene Loren, die luftbereift durch den Stollen gefahren und mit einem Lastaufzug ans Tageslicht befördert werden, abzuringen.

Am alten, wenige Hundert Meter entfernten Standort, wurden so jeden Tag bis zu zwei Tonnen Kaolin gefördert. Etwa die Hälfte davon zeigt eine gelblich oder rötliche Farbe, sie gilt als Abraum. In die Manufaktur werden mehrfach im Jahr mit dem Lkw nur die schneeweißen Brocken gefahren, die dann mehrfach einen Schlämmprozess durchlaufen. Vermengt mit Feldspat und Quarz entsteht das Ausgangsmaterial für das berühmte Meissener Porzellan. "Das ist deshalb so schneeweiß, weil wir hier in der Region besonders reines Kaolin gewinnen", so Tillmann Blaschke.

Ohne diesen regionalen Rohstoff wäre das Porzellan weniger weiß und großfigürliche Arbeiten gar nicht möglich. Insofern war es eine Frage der Existenz, als sich an dem alten, Mitte des 18. Jahrhundert entdeckten und erschlossenen Bergwerkes die Vorräte langsam dem Ende zuneigten. Die beiden Bergarbeiter waren bis in die fünfte Sohle vorgedrungen, arbeiteten zuletzt gut 18 Meter unter Tage.

Eine Zufallsentdeckung

Nun also treiben sie an einer anderen Stelle einen neuen Stollen in den Berg. Wie vor Jahrhunderten werden die Gänge mit Holzbohlen gesichert, die aufgrund der Luftfeuchte schnell verwittern und regelmäßig ausgetauscht werden müssen. Hier ist es nicht dunkel und es gibt auch keine Hacke, dafür kleine Schlagbohrer, die sich Zentimeter für Zentimeter durch das Kaolin arbeiten. In Seilitz handele es sich um eine Primärlagerstätte. Das Kaolin, ein Abbauprodukt des Quarzporphyr, wurde offensichtlich auch während der Eiszeit nicht bewegt und mit Erzen vermischt. Es hat daher weder einen Gelb-, Grau- noch Blaustich.

Das Huthaus ist das Verwaltungsgebäude des Bergwerks. Hier wird nicht nur das Kaolin gelagert, hier haben die beiden Bergleute auch ihre Umkleide und den Pausenraum.
Das Huthaus ist das Verwaltungsgebäude des Bergwerks. Hier wird nicht nur das Kaolin gelagert, hier haben die beiden Bergleute auch ihre Umkleide und den Pausenraum. © Claudia Hübschmann

Die Seilitzer Lagerstätte wurde durch einen Zufall entdeckt, und zwar gut fünfzig Jahre, nachdem Johann Friedrich Böttger in Meißen das Porzellan erfunden hatte. Ein Bauer wurde beim Pflügen seines Feldes auf das weiße Pulver aufmerksam und so begann man zunächst im Tagebau Kaolin zu gewinnen. Da überirdisch aber die Verunreinigungen zu groß waren, entschied man sich schnell, zum Abbau in den Berg zu wechseln.

Eine Holzfigur wacht über die Arbeit

Bis zur Inbetriebnahme des eigenen Bergwerkes 1764 hat die Meißener Porzellanmanufaktur ihr Porzellan übrigens mit Kaolin aus Colditz hergestellt. Das sei gut, aber eben nicht gut genug, so Tillmann Blaschke. Zumal die Manufaktur großen Wert darauf lege, mit Rohstoffen aus der Region zu arbeiten.

Das verringert auch Probleme bei den Lieferketten, erklärte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig. Der SPD-Politiker war am Montagnachmittag eigens in Bergmannsuniform nach Seilitz gekommen, um bei dem Schachtanschlag dabei zu sein und warb dafür, die Rohstoffe aus der Region schätzen zu lernen. Sie seien die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg Sachsens - damals wie heute. Der Schachtanschlag, er fand ausgerechnet am 4. Dezember statt, dem Tag der Heiligen Barbara, die als Schutzheilige vieler Professionen gilt, unter anderem der Bergleute.

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) stellt die Heilige Barbara als Schutzheilige der Bergleute am Eingang des neuen Schachts auf.
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) stellt die Heilige Barbara als Schutzheilige der Bergleute am Eingang des neuen Schachts auf. © Claudia Hübschmann

Sie wacht nun als Holzfigur über die Arbeit von den Bergleuten Andreas Kawka und seinem Kollegen Patrick Stahnke. Auf einem Sockel aus Meissener Porzellan steht sie direkt gegenüber vom Eingang zum Lastenzug. Das handgeschnitzte Unikat war lange im Privatbesitz von Andreas Kawka, der seit vielen Jahrzehnten im Kaolinbergbau tätig ist. Gemeinsam mit seinem Kollegen hatte er zuletzt die Bohlen des alten Bergbaus zurückgebaut und so das Bergwerk kontrolliert einstürzen lassen. Jetzt also ein Neuanfang an anderer Stelle und ein besonderer Tag für Andreas Kawka.

Um die Kaolinvorräte an dieser Stelle wisse man schon sehr lange. Die ersten Erkundungen liegen gut vier Jahrzehnte zurück, erinnert sich Produktionsleiterin Beate Preuß. Sie wird in einigen Monaten in den Ruhestand gehen. Ihre Manufaktur aber zumindest rohstofftechnisch für die kommenden Jahre gut gerüstet zu wissen, rührt die Porzellinerin sichtlich. Für mindestens 50 Jahre reicht das Kaolin aus Seilitz. Das beruhigt auch Geschäftsführer Blaschke. Ja sicher, es gäbe auch andere Vorkommen weltweit. Aber das würde bedeuten, alle Rezepturen neu anzupassen, alle Brenntemperaturen zu verändern. Und das Meissener Porzellan wäre nicht mehr dasselbe.