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Meißener Familie in Not bedankt sich für Unterstützung

Nach dem Hilferuf eines Vereins lief binnen kürzester Zeit eine beispiellose Spendenaktion für eine fünfköpfige Familie aus Meißen an. Die SZ hat sie besucht.

Von Andre Schramm
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Vater Karsten sortiert im Schlafzimmer. Nach einem Aufruf erhielt die fünfköpfige Familie eine komplette Wohnungseinrichtung.
Vater Karsten sortiert im Schlafzimmer. Nach einem Aufruf erhielt die fünfköpfige Familie eine komplette Wohnungseinrichtung. © Claudia Hübschmann

Meißen. Susi und Karsten können es immer noch nicht richtig glauben, was sie die letzten Tage erlebt haben. Normalerweise würden sie an diesem Freitag in einer nahezu leeren Drei-Raum-Wohnung stehen. Tatsächlich bietet sich ein völlig anderes Bild. Die Küche ist so gut wie komplett: Hängeschränke, Arbeitsplatte, Herd, Geschirrspüler, eine ziemlich hochwertige Mikrowelle. Die Küchenmöbel in cremefarbener Optik sind augenscheinlich sehr gut in Schuss. "Jemand aus Görna hat sie uns gespendet", freut sich Karsten. Der große Kühlschrank in der Ecke, so erzählt er weiter, stamme aus Weinböhla. Hier und da fehlen noch ein paar Griffe, ansonsten kann losgekocht werden.

Rückblick: Montagabend meldet sich Serpina Bittner vom Verein "Ein Haus für Vieles" in der SZ-Redaktion mit einer dringlichen Bitte. Sie erzählt von einer Familie mit drei Kindern, die sie ehrenamtlich betreut. "Nach langer Suche haben wir nun überraschend doch noch eine Wohnung für sie gefunden. Morgen ist Übergabe – hoffentlich", sagt sie noch. Das Problem: Die Familie hat keinen eigenen Hausstand. Serpina Bittner schickt per WhatsApp eine Liste mit Ausstattung, die benötigt wird. Alles muss schnell gehen. Der Aufruf über die Zeitung löst kurze Zeit später eine regelrechte Welle der Hilfsbereitschaft aus.

Pakete aus dem Erzgebirge

Minütlich gehen Hilfsangebote bei Serpina Bittner ein. Sie koordiniert, macht Termine und klärt, wie die Sachen zur Familie kommen. Diese hat sich inzwischen einen Transporter ausgeliehen, um die Spenden abzuholen. Viele, die helfen wollen, nehmen die Logistik jedoch selbst in die Hand und bringen ihre Sachspenden bis zur Wohnung im Meißner Stadtteil Niederfähre. "Bis heute sind es weit mehr als 100 Hilfsangebote, die uns erreicht haben", sagt Susi. Sogar Pakete wurden verschickt. "Wir haben tolle Kindersachen aus dem Erzgebirge bekommen", erzählt die Mutter.

Wir sind unterdessen im Kinderzimmer angekommen. Hingucker ist ein hölzernes Schaukelpferd. "Das hat uns auch jemand geschenkt", erzählt Karsten. Weiter hinten stehen die zwei Kinderbetten. Sie standen ganz oben auf der Wunschliste. Dazwischen liegt jede Menge Spielzeug. In der Ecke steht ein heller Kleiderschrank. Die Hilfsbereitschaft ist so groß, dass das Schlafzimmer nebenan inzwischen als Lagerstätte fungiert: Kommoden, Schränke, Kisten und Lampen sind hier verstaut. Karsten weiß, er muss aufpassen, dass das Ganze nicht ausufert. "Ich will aber auch niemanden, der uns helfen will, vor den Kopf stoßen", sagt er, als es an der Haustür klingelt.

Das Schaukelpferd kam bei den Kindern besonders gut an.
Das Schaukelpferd kam bei den Kindern besonders gut an. © privat

Drogenabhängig gewesen

Bevor der 36-Jährige an die Sprechanlage geht, schaut er noch fix auf einen handgeschriebenen Zettel daneben. Hier stehen Namen und Telefonnummern von Menschen, die sich angekündigt haben. "Das müssten die Badmöbel sein", mutmaßt Karsten. Er verschwindet im Treppenhaus, und kommt wenig später mit gut erhaltenen Badschränken zurück. "Ein freundlicher Mann aus Meißen. Wir haben uns kurz unterhalten. Er wollte wissen, warum wir so in Not geraten sind", erzählt Karsten. Tatsächlich lief das Leben von Susi und Karsten bisher nicht so gut. Ganz und gar nicht.

Susi stammt aus dem Erzgebirge. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Mit 17 Jahren wurde sie das erste Mal schwanger. Der Sohn lebt heute bei dem Vater. Ihr zweites Kind kam mit zwei kranken Nieren auf die Welt. Es befindet sich in einer Spezialeinrichtung in Hannover. Kontakt hält sie per Telefon. "Meistens geht Karsten ran. Ich kann das nicht", sagt Susi. Der leibliche Vater, so erzählt sie, habe sich vor Jahren das Leben genommen. Sie selbst ist inzwischen fünffache Mutter. Die drei anderen Kinder leben nun mit in der neuen Wohnung. Das war nicht immer so.

Karsten und Susi lernten sich vor etwa fünf Jahren kennen. "Wir waren Nachbarn", erinnert sich Susi. Was sie teilten, war nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre Sucht. "Ja, wir waren drogenabhängig", erzählt Karsten unumwunden. Er berichtet in dem Zusammenhang von Marihuana. Wahrscheinlich waren auch andere Substanzen im Spiel. Beide gingen auf eine einmonatige Entgiftung. Die Kinder waren zeitweise im Heim untergebracht. Susi besuchte später eine Mutter-Kind-Einrichtung für zwei Jahre. Danach folgte eine sechsmonatige Langzeittherapie. Karsten wohnte in dieser Zeit in seiner Einraumwohnung. Im Januar 2022 kam Susi zurück nach Meißen. "Ich kam mit den Kindern in eine Übergangswohnung, die die Familienhilfe zur Verfügung gestellt hatte", sagt sie. Das Arrangement sei von Anfang an zeitlich begrenzt gewesen.

Und die Zukunft?

"Wir hatten allerdings Probleme, eine Wohnung zu finden", erzählt Karsten. Beide haben Schulden und dementsprechende Einträge in der Schufa. Als Susi aus der Übergangswohnung raus musste, seien sie bei Freunden und der Schwester untergekommen. Der Druck, eine Wohnung zu finden, war enorm – bis eben Serpina Bittner von einem Meißner Vermieter grünes Licht bekam. Die Erstausstattung übernimmt normalerweise das Amt. "Das hätte aber viel zu lange gedauert", meint Karsten.

Die Antwort auf die Zukunft der Familie befindet sich im Wohnzimmer: Der fünfjährige Sohn sitzt am Stubentisch und hat ein Malbuch vor sich. "Das ist Rocky von Paw Petrol", sagt er. Währenddessen wuselt die kleine Tochter (2 Jahre) durch das Zimmer. Völlig unbeeindruckt vom Trubel gibt sich der fünf Monate alte Sohn. Der Kleine schläft ganz fest. Man fragt sich bei dem Anblick, ob die Eltern dieser großen Verantwortung gewachsen sind?

"Wir haben einen Kita-Platz im Triebischtal und einen Platz bei einer Tagesmutti", sagt Susi. Sobald der Kleinste krippenreif ist, will sie sich um einen Job kümmern. Sie ist Hauswirtschaftshelferin. Karsten arbeitet schon länger als Hausmeister, muss aber aufstocken, wie er sagt. Gelernt hat er ursprünglich Ausbaufacharbeiter und Metallarbeiter. "Er würde gern in diesen Beruf zurückkehren. Ich kann meine Familie aber nicht allein lassen und wochenlang auf Montage gehen", sagt er.

Für Serpina Bittner sind die letzten Tage der Beweis gewesen, dass der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft durchaus funktioniert. Bei Karsten hat man das Gefühl, er würde am liebsten alle ganz fest drücken wollen. Susi ist dankbar über die große Unterstützung. "Damit hätten wir nie im Leben gerechnet", sagt sie. Vom emotionalen Zustand der Eltern bekommt der Nachwuchs nicht viel mit. Der Fünfjährige freut sich so sehr über sein eigenes Kinderzimmer, das er es jedem zeigen möchte. Vielleicht reicht dieser Schwung für ein besseres Leben aus. Es wäre wohl der schönste Dank an alle, die geholfen haben.