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"Widersprüche zwischen politischer Blase und Lebenswirklichkeit auflösen"

Die Lommatzscher Bürgermeisterin Anita Maaß ist jetzt Vorsitzende der sächsischen FDP. Steht sie vor dem Sprung in die Landespolitik?

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Die Lommatzscher Bürgermeisterin Anita Maaß wurde zur sächsischen FDP-Chefin gewählt. Ein erster Schritt zum Wechsel in die Landespolitik?
Die Lommatzscher Bürgermeisterin Anita Maaß wurde zur sächsischen FDP-Chefin gewählt. Ein erster Schritt zum Wechsel in die Landespolitik? © Claudia Hübschmann

Auf dem Landesparteitag der FDP am Wochenende in Döbeln wurde die Lommatzscher Bürgermeisterin Anita Maaß zur sächsischen FDP-Vorsitzenden gewählt. Im SZ-Gespräch sagt die 45-jährige gebürtige Oschatzerin, was sie zur Kandidatur bewog, welche Ziele sie hat und was dieses Amt für ihre Bürgermeistertätigkeit, die sie seit 2005 ausübt, bedeutet.

Frau Maaß, Glückwunsch zur Wahl als sächsische FDP-Vorsitzende. Was war der Grund für Sie, sich für den Parteivorsitz zu bewerben? Ist Ihnen Lommatzsch zu klein geworden?

Nein. Das ist ja ein Ehrenamt, ich bin für zwei Jahre gewählt, bleibe Bürgermeisterin in Lommatzsch. Die Initiative ging nicht von mir aus. Ich wurde nach der Bundestagswahl gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, meine Fähigkeiten als erfahrene Bürgermeisterin für die FDP und unser Land stärker einzusetzen. Ich habe dann mit Kreisvorsitzenden sowie Mitgliedern des Präsidiums und Landesvorstandes gesprochen, um ihre Meinung dazu zu erfahren. Schließlich war ich für mich überzeugt, dass es richtig ist zu kandidieren.

Sie bekamen als einzige Bewerberin 70,4 Prozent der Stimmen. Ein zufriedenstellendes Ergebnis?

Sagen wir es so: Es ist ein Arbeitsauftrag. Ich bekam Vertrauen, aber keine Vorschusslorbeeren. Viele der 2.300 FDP-Mitglieder in Sachsen kennen mich nicht, schließlich war ich seit 2014 in der Landespartei "unsichtbar", habe mich in den letzten sechs, sieben Jahren auf mein Bürgermeisteramt und auf meine Kreistagsarbeit konzentriert.

Sie sind seit 2016 Dozentin am Kommunalen Studieninstitut Dresden, Vorsitzende des Fördervereines für Heimat und Kultur Lommatzscher Pflege sowie Mitglied weiterer Gremien und Vereine. Wie wollen Sie das alles unter einen Hut kriegen?

Ich werde für meine Ehrenämter verstärkt den Freitagnachmittag nutzen, der bisher für die Familie reserviert war.

Wenn Sie es selbst ins Spiel bringen: Wie hat die Familie reagiert?

Positiv. Wir sind ja eine sehr politische Familie. Mein Mann ist Ortsvorsitzender der FDP und Kreistagsmitglied. Er hält mir zu Hause den Rücken frei. Die 20-jährige Tochter studiert in Regensburg, ist aus dem Haus, hat bei der Sommertour der FDP kräftig mitgeholfen. Für die Kleine, die jetzt zehn Jahre alt ist, werde ich genügend Zeit finden. Während des Corona-Lockdowns habe ich Gartenarbeit gemacht und Freizeit in der Natur verbracht. Ich habe dabei festgestellt, dass Gartenarbeit nicht so mein Ding ist. Und mein Mann hat gemerkt, dass es nicht bloß gut ist, wenn ich zu oft zu Hause bin...

Zurück zur Politik. Die FDP ist seit 2014 nicht mehr im Sächsischen Landtag vertreten. Wie soll der Wiedereinzug geschafft werden?

Als Freie Demokraten ist uns in unserer politischen DNA Freiheit gewissermaßen „eingewebt“. Dabei verstehen wir Freiheit nie als Verantwortungslosigkeit. Derzeit wird die sächsische Landespolitik vor allem von Verboten und Beschränkungen unter Ausschalten des gesunden Menschenverstandes geprägt. Das muss aufhören. Angst lähmt. Nicht Ängste, Verbote oder die Furcht vor Veränderung dürfen im Mittelpunkt stehen. Vielmehr sollte wieder die Lust geweckt werden, persönliche Lebensumstände positiv gestalten zu können. Wir müssen die Landespolitik wieder vom Kopf auf die Füße stellen, die FDP als die Partei mit den konkreten und an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientierten Lösungen für die aktuellen Probleme in Sachsen platzieren.

Wie soll das gelingen?

Es muss von unten heraus, aus den Kommunen, passieren. Wir sind nur stark, wenn wir wieder den Kommunen vertrauen, ihren Verwaltungsgremien tatsächlich Verantwortung für die Entwicklung ihrer kommunalen Gebietskörperschaften geben und sie mit den notwendigen finanziellen Spielräumen dafür ausstatten. Nur dann werden sich die Widersprüche zwischen der politischen Blase und der real erlebten Lebenswirklichkeit der Menschen auflösen. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten. Als Bürgermeisterin arbeite ich täglich mit Menschen an der Basis zusammen, überall erlebe ich die Lebenswirklichkeit, die Sorgen, die Bedürfnisse.

Die AfD hat nicht nur in Sachsen, sondern auch in Lommatzsch die meisten Zweitstimmen bei der Bundestagswahl gewonnen. Wie gehen Sie damit um?

Ich halte die AfD für populistisch und nicht lösungsorientiert. Als Kreisrätin erlebe ich die AfD im Kreistag in Meißen unmittelbar. Ich ärgere mich über deren populistischen „Wählerfang“ mit unrealistischen Anträgen. Gleichzeitig stimmt die AfD beispielsweise bei Haushaltsfragen oder der Verhinderung von Transparenz kommunalpolitischer Entscheidungen unkritisch mit der CDU. Diese ist ihrerseits auf die Stimmen der AfD für die Mehrheitsfindung angewiesen. Eine politische Abgrenzung beider Parteien voneinander findet zumindest in meiner unmittelbaren kommunalen Wahrnehmung nicht statt.

Kann man aus dem Erstarken der AfD auch etwas lernen?

Wir brauchen wieder mehr politischen Diskurs. Es muss möglich sein, eine andere Meinung zu haben, ohne gleich in eine bestimmte Ecke geschoben und ausgegrenzt zu werden. Wir müssen komplizierte politische Dinge so erklären, dass die Menschen sie verstehen und sie mitgenommen werden. In Lommatzsch praktizieren wir das schon lange und fahren gut damit.

Als FDP-Vorsitzende sind sie auch Spitzenkandidatin bei der nächsten Landtagswahl. Halten Sie eine Regierungsbeteiligung der FDP für möglich, spekulieren Sie mit einem Landtagsmandat oder gar einem Ministerposten.

Das ist eine verwegene Frage. Können Sie die mir 2023 nochmal stellen?

Warum?

Weil ich nur für zwei Jahre gewählt bin. Erst 2023 entscheidet sich eine Wiederwahl und eine mögliche Spitzenkandidatur. Doch auch dann müssen wir als FDP erstmal den Wiedereinzug in den Landtag schaffen. Erst danach können wir über Koalitionen reden, zuletzt geht es um Postenverteilung.

Aber Sie wären nicht abgeneigt?

So ein Amt kommt in meiner Lebensplanung derzeit nicht vor. Sollte sich die Situation ergeben und ich gefragt werden, bin ich niemand, der sich vor der Verantwortung drückt.

Gab es schon Reaktionen der Bürger auf ihre Wahl zur FDP-Chefin in Sachsen?

Ja, manche sind verunsichert.

Was sagen Sie denen?

Ich sage denen das Gleiche wie Ihnen. Dass der FDP-Vorsitz ein Ehrenamt für zunächst zwei Jahre ist und ich gleichzeitig Bürgermeisterin in Lommatzsch bleibe.

Das Gespräch führte Jürgen Müller