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Der goldene Meister: Sein Fitnessstudio war die Fleischerei

Der Nossener Fleischermeister Andreas Thiele wurde für sein Lebenswerk mit dem Goldenen Meisterbrief geehrt. Seine Arbeitszeiten wären heute undenkbar.

Von Uta Büttner
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Der Nossener Fleischermeister Andreas Thiele (r.) erhielt den Goldenen Meisterbrief. Kreishandwerksmeister Peter Liebe gratulierte ihm.
Der Nossener Fleischermeister Andreas Thiele (r.) erhielt den Goldenen Meisterbrief. Kreishandwerksmeister Peter Liebe gratulierte ihm. © Claudia Hübschmann

Nossen. Er ist weit über die Grenzen Nossens hinaus bekannt – Fleischermeister Andreas Thiele. Im September 1982 hatte er die Fleischerei am Markt der Muldestadt von seinem Schwiegervater Rudolf Hentschel, bei dem er auch in die Lehre ging, übernommen.

Heute, 50 Jahre, nachdem er seine Meisterausbildung abschloss, ist der 73-Jährige längst im Ruhestand. Doch um das Familienunternehmen muss er sich keine Sorgen machen. Seit 2015 hat Sohn René den Handwerksbetrieb übernommen. Und auch dessen Nachfolge sei bereits gesichert, berichtet Andreas Thiele stolz. Enkel Markus beende dieses Jahr seine Fleischerlehre, „er will in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten“, erzählt der Goldmeister.

So hat er durchweg Grund zur Freude, und zwar nicht nur über die Ehrung der Dresdner Handwerkskammer. Letztere gratulierte in diesem Jahr insgesamt 17 Personen aus dem Landkreis Meißen, die vor 50 Jahren ihren Meisterbrief erhielten.

Privatfleischereien wurden in der DDR massiv unter Druck gesetzt

Lange Schlangen vor der Fleischerei Thiele waren zu DDR-Zeiten gerade in der Vorweihnachtszeit normal. Foto: privat
Lange Schlangen vor der Fleischerei Thiele waren zu DDR-Zeiten gerade in der Vorweihnachtszeit normal. Foto: privat © privat

In Anbetracht der damaligen Situation in der DDR seien es relativ viele, die noch die Meisterausbildung absolvierten, erzählt Kreishandwerksmeister Peter Liebe. Private Betriebe waren eine große Seltenheit in der DDR. Dass die Privatfleischerei überlebte, sei der Standhaftigkeit Hentschels zu verdanken gewesen, berichtet Liebe rückblickend.

Denn in den 50er und 60er Jahren wurden die privaten Fleischer enorm unter Druck gesetzt, in die Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) einzutreten. So wurde beispielsweise bei Hentschel eine Steuer-Tiefenprüfung vorgenommen, und danach musste dieser eine sehr hohe Goldsumme an das Finanzamt bezahlen. Auf private Bäckereien, so erzählt der Nossener Bäckermeister Liebe, habe man keinen derartigen Druck ausgeübt, „warum, weiß ich allerdings nicht.“

Von 1965 bis 1968 hatte Thiele in der Fleischerei Hentschel gelernt. Bevor er seine Meisterprüfung ablegte, arbeitete er ein Jahr lang in einer Freiberger Fleischerei, „ich wollte mein Wissen erweitern“, begründet er die damalige Entscheidung. Dann kehrte er wieder nach Nossen zurück und heiratete 1972 die Tochter seines Lehrmeisters. Beide führten die Familientradition fort. Nachdem sein Schwiegervater erfolgreich für die Eigenständigkeit gekämpft hatte, gab es keine Probleme mehr.

„Wir hatten auch eine Versorgungsaufgabe“, erzählt Thiele. So wurden zu DDR-Zeiten verschiedene Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) beliefert. Deshalb habe die Nossener Fleischerei auch eine Sondergenehmigung gehabt, mehr als zehn Angestellte zu beschäftigen. Diese Grenze durften Privatbetriebe normalerweise nicht überschreiten.

Trotz schwerer Arbeit liebte er seinen Beruf

Heute, mit seinen 73 Jahren, fühle sich Thiele fit und gesund – und dass trotz des einst hohen Arbeitspensums. So begann sein Tag fünf Uhr in der Fleischerei. Bis 16 Uhr wurde produziert. Und 18 Uhr dann der Laden aufgeräumt, 19 Uhr sei Feierabend gewesen. In der Weihnachtswoche startete er bereits vier Uhr früh, „und dann war ich gegen 20 oder 21 Uhr wieder in meiner Wohnung“, berichtet er.

Ein Fitnessstudio – in der DDR gab es natürlich noch keine – brauchte er nicht. Allein das Verladen der Schweinehälften und Rinderviertel per Muskelkraft war Krafttraining genug. Denn diese wogen 50 und 60 bis 130 Kilogramm. „Abends bin ich manchmal am Abendbrottisch eingeschlafen“, erzählt er mit einem Lachen. Dennoch habe er seine Berufswahl nie bereut, betont Thiele. Seine Freude an der Arbeit war, „ich habe täglich gesehen, was ich produziert habe.“

Zudem habe er sich gefreut, wenn die Kunden zufrieden waren. Selbst heute noch bekäme er lobende Worte und Anerkennung für das, „was wir zu DDR-Zeiten geleistet haben.“ Damals, in der Vorweihnachtszeit, gab es zwei lange Schlangen vor dem Geschäft – 40 Meter an der Wurst- und 40 Meter an der Fleischtheke. Für die Produkte kamen die Kunden auch aus Freiberg, Döbeln, Roßwein und der Lommatzscher Gegend, erzählt Andreas Thiele mit Stolz.