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Wenn das Bildungsticket zur Bürokratiehürde wird

Mit dem Bildungsticket können Schüler günstig den öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) nutzen. Problematisch wird es aber, wenn die Schule in einem anderen Verkehrsverbund liegt.

Von Lea Heilmann
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Schülerin Jette nutzte das Bildungsticket regelmäßig. Mit dem Wechsel auf eine neue Schule muss sie im Monat jedoch das Dreifache für den ÖPNV bezahlen.
Schülerin Jette nutzte das Bildungsticket regelmäßig. Mit dem Wechsel auf eine neue Schule muss sie im Monat jedoch das Dreifache für den ÖPNV bezahlen. © SZ/DIetmar Thomas

Döbeln. An jedem Tag und zu jeder Uhrzeit den öffentlichen Verkehr in der Region für 15 Euro im Monat nutzen können. Seit August 2021 ist das für Schüler und Schülerinnen mit dem Bildungsticket möglich.

Das Angebot nutzte im Juni fast jeder zweite sächsische Schüler oder Freiwilligendienstleistende. Auch Jette war mit dem Bildungsticket unterwegs. Sie lebt in der Region Döbeln und ging dort in Hartha auf die Oberschule. Mit dem Wechsel zur Fachoberschule in Freital, der wegen eines besonderen Bildungsprofils notwendig war, haben sich allerdings die Grenzen des Bildungstickets aufgezeigt.

Ein Bildungsticket pro Schüler

Das Ticket ist für einen Verkehrsverbund gültig. Im Gebiet des Verkehrsverbundes Mittelsachsen (VMS) gehören neben dem Landkreis Mittelsachsen auch Zwickau, Chemnitz und der Erzgebirgskreis dazu. Freital liegt im angrenzenden Verkehrsverbund Oberelbe (VVO).

Jugendliche, deren Wohnort in einem anderen Verbund liegt als ihre Schule, können sich aussuchen, für welches der beiden Gebiete das Ticket gelten soll. Jette könnte sich also zwischen dem VMS und VVO entscheiden - zwei Bildungstickets sind allerdings nicht möglich.

Die Schülerin hatte zunächst weiterhin das Bildungsticket für den VMS genutzt. Auf ihrer Strecke gilt dieses bis Niederbobritzsch. Für die restlichen Haltestellen würde sie für eine Fahrt 8,30 Euro zahlen. Allein für eine Hin- und Rückfahrt bezahlt sie somit pro Woche mehr als für ihr monatliches Bildungsticket.

Vereinzelt gibt es Ausnahmeregelungen

Laut dem Verkehrsministerium gibt es in allen Verkehrsverbünden Regelungen, die die Anwendbarkeit des Bildungstickets auf verbundüberschreitende Buslinien ermöglichen. "Damit ist die Anwendbarkeit des Bildungstickets bei einem weit überwiegenden Teil der Schulwege gesichert", sagte Pressereferentin Kathleen Brühl.

So ist es zum Beispiel für den Altkreis Döbeln, der im VMS Gebiet liegt, und dem Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV). "Wenn jemand in Döbeln wohnt, aber irgendwo im MDV zur Schule geht, kann er zwei Bildungstickets kaufen. Das gilt aber nur auf Buslinien, weil diese Verbundlinien sind", erklärte Falk Ester, Pressesprecher des VMS.

Auch der VVO und Zweckverbund Oberlausitz-Niederschlesien haben eine Ausnahmeregelung. Weil der Landkreis Bautzen in beiden Verkehrsverbünden Mitglied ist, werden die Bildungstickets gegenseitig anerkannt. Ester betonte, dass diese Regelungen nicht auf alle angrenzenden Verbundräume anwendbar sind.

Vor dem Schulwechsel im vergangenen Jahr hatte sich Jettes Vater an das Verkehrsministerium gewandt mit der Frage, ob es für solche Sonderfälle eine Regelung gibt. Knapp einen Monat später bekam er die Antwort: Für seine Tochter biete sich das ebenfalls günstige Azubi-Ticket an.

Dieses kostet 48 Euro im Monat und ist grundsätzlich nur in einem Verbundraum gültig. Für fünf Euro mehr könnte aber ein weiterer Raum dazu gebucht werden. Damit würde das Ticket mehr als das dreifache des Bildungstickets kosten. Für die Familie kam das nicht infrage.

Niemandsland zwischen zwei Verkehrsverbünden

Obwohl eigentlich nicht vorgesehen, konnte Jette nach einigen Woche doch ein zweites Bildungsticket beim VVO beantragen. Bereits auf einer der ersten Fahrten erlebte sie jedoch eine weitere böse Überraschung. Der Schaffner kontrollierte beide Tickets und sagte zu ihr, dass die für die Strecke nicht gültig sind. Im Moment würde sie schwarz fahren. 60 Euro Strafe wurden zusätzlich fällig. Jette und ihre Eltern verstanden die Welt nicht mehr.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Mit der Strecke meinte der Kontrolleur die Route vom letzten Halt im VMS bis zum ersten Halt im VVO. Zwischen den beiden Stationen herrscht "Niemandsland", die Verkehrsverbünde grenzen nicht direkt aneinander an.

Dort gilt dann der Tarif der Eisenbahnen im Deutschlandtarifverbund. Für eine Strecke, die nicht mal zwei Kilometer lang ist, musste die Schülerin sich für zwei Euro ein drittes Ticket holen. Jettes Vater: "Das versteht kein Mensch. Mit normalem Menschenverstand kann man das nicht erklären."

Kathleen Brühl erklärte, dass Verkehrsverbünde für viele verbundübergreifende Strecken bereits gemeinsame Übergangstarife entwickelt haben. "Für regelmäßige verbundübergreifende Fahrten ist aber derzeit das Deutschlandticket das einfachste und preisgünstigste Angebot", sagte sie weiter.

Kein vergünstigtes Ticket für ganz Sachsen in Sicht

Für das hat sich letztendlich auch Jette für dieses Schuljahr entschieden. Um der Bürokratie aus dem Weg zu gehen, bezahlt sie jetzt mehr als das dreifache als für das Bildungsticket. Der Preis von 15 Euro ist aber auch nur so günstig, weil der Freistaat pro Jahr 50 Millionen Euro an die Verkehrsunternehmen dazusteuert, um die Mehrkosten auszugleichen.

Deshalb sieht Falk Ester auch keine Möglichkeit, dass die Verbünde ein vergünstigtes Ticket anbieten können. "Wir haben nicht das Geld dafür, ein neues Tarifprodukt zu entwickeln", sagte er.

  • Mehr als 9.000 Menschen aus Ost- und Mittelsachsen haben für den Mobilitätskompass Einblick in ihr Mobilitätsverhalten gegeben. Der Mobilitätskompass wurde unter wissenschaftlicher Begleitung der Evangelischen Hochschule Dresden und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher" entwickelt und ausgewertet, die darauf geachtet haben, dass die Aussagen belastbar sind. Bis Anfang Dezember veröffentlicht Sächsische.de die regionalen und lokalen Ergebnisse. Alle erschienenen Beiträge finden Sie auch auf www.saechsische.de/mobilitaetskompass

Auch das Verkehrsministerium spricht sich aktuell gegen ein preiswertes Ticket für ganz Sachsen aus. "Da sich der Freistaat Sachsen mit hohen staatlichen Ausgleichszahlungen bereits an der Einführung des Deutschlandtickets beteiligt, bestehen aus finanzpolitischer Sicht derzeit wenig Möglichkeiten, sofort weitere vergünstigte Tickets anzubieten", teilte Brühl mit.

Prioritäres Ziel des sächsischen Verkehrsministeriums sei es, die Bestandsverkehre zu sichern, Abbestellungen zu vermeiden und das Deutschlandticket sowie bereits bestehende Tarifvergünstigungen, wie das Bildungsticket, zu finanzieren.