SZ + Sebnitz
Merken

Hupkonzerte und Pfiffe für Sachsens Ministerpräsident in Neustadt

Michael Kretschmer kam am Mittwoch zum Bürgerdialog nach Neustadt. Während drinnen diskutiert wurde, musste die Polizei draußen eingreifen.

Von Anja Weber
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
"Wir Deutschen müssen entscheiden, wer kommt und wer bleiben darf": Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Bürgerdialog in Neustadt.
"Wir Deutschen müssen entscheiden, wer kommt und wer bleiben darf": Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Bürgerdialog in Neustadt. © Mike Jäger

Die Proteste der Landwirte wurden am Mittwochabend in Neustadt fortgesetzt. Am Parkplatz der Mariba-Freizeitwelt hatten sich einige Bauern mit Traktoren versammelt. Mit Plakaten und Hupkonzerten demonstrierten sie - wie in den Tagen zuvor - gegen die Sparpläne der Bundesregierung, wachsende Bürokratie und Reglementierung.

Ihnen gegenüber stand eine aufgebrachte Gruppe. Mit Rufen wie "Hau ab" und "Wir brauchen Dich hier nicht" sowie Pfiffen wollten sie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) empfangen. Dieser hatte für Mittwochabend nach Neustadt geladen, um dort seine Bürgerdialog-Reihe "MK-DIREKT" fortzuführen. Wie die Polizei mitteilte, hatten sich aus diesem Anlass vor der Neustadthalle insgesamt etwa 150 Personen versammelt. Einige von ihnen hätten laut Polizei versucht, in die Räume der Neustadthalle zu gelangen. Polizisten unterbanden dies und drängten die Personen zurück. Die Beamten konnten einen 41-Jährige als Rädelsführer ausmachen. Dieser beleidigte die Polizisten und widersetzte sich den Maßnahmen. Gegen den Deutschen wird nun wegen Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt.

So aufgebracht die Stimmung vor der Neustadthalle war, nach drinnen hatte sich diese nicht verlagert. Es sollte an dem Abend um Fragen, Ideen und Sorgen gehen, die die Menschen aktuell bewegen. Das sind einige der Themen, die in Neustadt zur Sprache kamen:

Wie in den Tagen zuvor stellte sich der Ministerpräsident auch in Neustadt hinter die Landwirte. Es gehe nicht nur um Agrardiesel und Steuerbefreiungen. Seit Jahren würden die Dinge verkompliziert, alles schwieriger gemacht. "Wenn sich Menschen für so wichtige Themen einsetzen, brauchen sie Unterstützung", sagte Kretschmer. Und das traf dann letztlich nicht nur auf die Landwirte draußen zu, sondern auch auf die Fragen und Bedenken aus dem Publikum, deren Teilnehmer sich im Vorfeld anmelden mussten.

Landwirte protestierten auf dem Parkplatz der Mariba-Freizeitwelt in Neustadt gegen die Sparpolitik der Bundesregierung.
Landwirte protestierten auf dem Parkplatz der Mariba-Freizeitwelt in Neustadt gegen die Sparpolitik der Bundesregierung. © Mike Jäger

An den Schulen in Sachsen fehlen Lehrer

Das Thema Bildung wurde in Neustadt gleich mehrmals angesprochen, so unter anderem von Nick, einem Neuntklässler aus der Oberschule in Stolpen. Er hatte die missliche Situation speziell auch an seiner Schule beschrieben. Mitunter habe er nur vier Stunden Unterricht pro Tag. Er sorgt sich deshalb um den Lernstoff, anstehende Prüfungen und ähnliches. "Was haben Sie vor, um die Bildung auf den neusten Stand zu bringen?", fragte er.

Ministerpräsident Kretschmer gab die unbefriedigende Situation zu, konnte aber auch einiges erklären. So seien in den Jahren 2017/2018 etwa 40 Prozent der in Sachsen ausgebildeten Lehrer abgewandert. Um gegenzusteuern, habe man die Anzahl der Studienplätze von einst 800 auf 2.700 erhöht. Aber die meisten Lehrer würden lieber in den größeren Städten bleiben. Gleichzeitig verwies Kretschmer auf sein viel zitiertes Teilzeitbefristungsgesetz. Er könne die Leute verstehen, die nur 32 Stunden pro Woche arbeiten möchten. Aber das reiche nicht für die Wirtschaft und auch nicht für die Bildung. Er verwies darauf, dass es künftig speziell für Oberschulen Studiengänge gibt, zum Beispiel in Mathematik und Naturwissenschaften. Ziel wäre es, diese so auszubilden, dass sie Lehrer an Oberschulen werden.

Angesprochen wurde auch das Thema Inklusion in Kindergärten. Das sei kaum noch leistbar, weil zu wenig dafür ausgebildetes Personal da sei. Eine Lösung dafür hatte der Ministerpräsident noch nicht. Aber das Thema werde er auf jeden Fall auch mitnehmen, versprach er.

Pflegedienste sind an der Grenze

Kathrin Vogel von der gleichnamigen Häuslichen Alten- und Krankenpflege in Neustadt beschrieb die steigenden Kosten und die Sorge, sich nicht mehr um Patienten kümmern zu können. Dazu komme die endlose Bürokratie. Das alles führe dazu, dass es für manche Pflegedienste keinen Nachfolger gebe und sie aufhören würden.

Auch das war für Kretschmer kein unbekanntes Thema. In manchen Regionen würden mehr Leute ins Rentenalter einsteigen, als junge Leute in den Beruf. Einen Lösungsvorschlag hatte er nicht. Man müsse darüber nachdenken, wie es mit der Pflegeversicherung weitergehe. Und man müsse miteinander überlegen, wo Menschen sind, die Pflege leisten können.

Fachärzte fehlen überall auf dem Land

Ein altbekanntes Thema, die kränkelnde medizinische Versorgung in ländlichen Regionen. Aus Sicht des Ministerpräsidenten sei es unter anderem wichtig, dass kleinere Krankenhäuser nicht geschlossen, sondern in medizinische Versorgungszentren umgewandelt werden, wo Ärzte weiter arbeiten können.

Außerdem habe man gemeinsam mit dem Land Brandenburg die Medizinische Hochschule Lausitz auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, junge Leute in den ländlichen Gebieten zu halten.

Migration und Arbeitskräftemangel

Wie könne es gelingen, Zugewanderte in Arbeit zu bringen? Auch ein Thema was in Neustadt angesprochen wurde. Die Argumentation von Michael Kretschmer dazu ist bekannt. Man brauche Fachkräfte für das Handwerk und die Pflege. "Wir Deutschen müssen entscheiden, wer kommt und wer bleiben darf. Da muss eben das Grundgesetz geändert werden", sagt er. Das allerdings obliegt nicht der sächsischen Regierung wie auch die Möglichkeit, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Das bremse die Bürokratie aus. Kretschmer kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Integration von Ukrainern auf dem Arbeitsmarkt. In Polen und den Niederlanden würden 60 bis 70 Prozent bereits arbeiten, in Deutschland seien es nur 19 Prozent.

Zusätzlich verwies er darauf, dass Sachsen die Chipkarte für Sachleistungen für Asylbewerber einführen wird. "Die Menschen, die zu uns kommen, müssen Geld nach Hause schicken", sagt er und verweis auf die hohe Anzahl an unbegleiteten Minderjährigen oder jungen Männern, die aus ihrer Heimat losgeschickt wurden.

Kritik an der Energiewende von beiden Seiten

Kritisch gesehen wurde auch in Neustadt die Energiewende. So ging es unter anderem darum, künftig für andere Technologien offenzubleiben, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass in anderen Länder neue Atomkraftwerke gebaut oder alte saniert werden.

Auch das war für den Ministerpräsidenten keine neue Frage. Für ihn sei klar, dass der Vertrauensverlust in die Bundesregierung entstanden sei, als die drei Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Wer den Kohlendioxid-Ausstoß vermindern wolle, komme ohne Atomkraft nicht aus. Deshalb wolle man sich mit Wissenschaftlern, Umweltverbänden an einen Tisch setzen, um Lösungen zu suchen. Die Energiewende sei gescheitert und man müsse sie neu aufsetzen.