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Linke ermutigt Waggonbauer in Niesky zur Werksbesetzung

Um die Zukunft des Werkes mit 160 Mitarbeitern zu sichern, denkt die Linkspartei über schärfere Mittel des Arbeitskampfes nach. Das stößt auf Kritik bei Wirtschaftsexperten. In Niesky wird am Sonntag gebetet für den Waggonbau.

Von Sebastian Beutler & Michael Rothe
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Mit Mahnwachen allein, davon ist die Linkspartei überzeugt, wird der Waggonbau in Niesky nicht erhalten.
Mit Mahnwachen allein, davon ist die Linkspartei überzeugt, wird der Waggonbau in Niesky nicht erhalten. © André Schulze

Die Linkspartei empfiehlt den Mitarbeitern des Nieskyer Waggonbaus in ihren Kampf um den Bestand ihres Werkes über 2023 hinaus zu härteren Mitteln zu greifen. "Wenn die Arbeiter ihr Unternehmen wirklich erhalten und das Know-how für Güterwagenherstellung in unserer Region behalten wollen, werden sie es nicht mit Mahnwachen schaffen", erklärte Landtagsabgeordnete und Kreisvorsitzende Antonia Mertsching. In der kommenden Woche steht die 20. Mahnwache an.

Linke würde eine Besetzung unterstützen

Sie äußerte sich nach einer Gesprächsrunde in Niesky, wo aus Amerika Dario Azzellini zugeschaltet war. Azzellini ist promovierter Soziologe und Politikwissenschaftler. Er arbeitet im Promotionsstudiengang Entwicklungsstudien der Autonomen Universität von Zacatecas, Mexiko. Seine Forschungsschwerpunkte sind Arbeit, lokale und Arbeiterselbstverwaltung und Soziale Bewegungen.

Mit ihm wurde die Lage beim Nieskyer Waggonbau besprochen und dabei auch die Möglichkeit erwogen, das Werk zu besetzen. "Im Fall des Waggonbaus Niesky, wo mit der Geschäftsleitung kein Gespräch hergestellt werden kann, wäre eine Besetzung der Fabrik durch die Arbeiter ein weltweit erprobtes Mittel, um ihrem Kampf eine realistische Chance zu geben", erklärte Mertsching weiter und versicherte: "Unsere Unterstützung ist ihnen sicher."

Kritik: Wie geht es nach der Besetzung weiter?

Dagegen bezeichnet der Dresdner Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz, stellvertretender Chef der Dresdner Niederlassung des Ifo Instituts, Betriebsbesetzungen als eindeutig illegal. Natürlich könnten die Beschäftigten versuchen, den Eigentümern den Betrieb abzukaufen. "Vermutlich werden sie das nicht wollen, weil sie dann ja in die eigene Haftung für das eingesetzte Kapital gehen müssen", sagt Ragnitz. "

Auch dann brauche man wohl professionelle Manager, die man zusätzlich bezahlen müsste. Das wäre dann so eine Art Genossenschaftslösung." Es bliebe aber die Frage, was der Anreiz für die Genossenschaftseigner wäre: Wollen sie investieren, um Gewinne zu machen, oder wollen sie kurzfristige Einkommenssteigerungen, auch wenn das auf Kosten der langfristigen Rentabilität geht. Ragnitz glaubt daher, "dass die Linkspartei das noch nicht bis zum Ende durchdacht hat“.

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Die Lage im Nieskyer Waggonbau ist seit Monaten undurchsichtig. So verweigert sich der slowakische Eigentümer Tatravagonka einem Gespräch mit der Belegschaft über seine Vorstellungen, wie es in Niesky weitergehen soll. Bei der Übernahme des traditionsreichen Werkes hatte er sich verpflichtet, den Betrieb mindestens fünf Jahre fortzuführen. Diese Frist läuft Ende dieses Jahres aus. Angesichts seines Stillschweigens und des Ausbleibens von neuen Aufträgen wächst in der Belegschaft die Sorge, dass der Waggonbau zum Ende des Jahres geschlossen werden könnte.

Diese Sorge wollte der Chef des Unternehmerverbandes Niesky, Roland Jäkel, nach einem Gespräch mit der Nieskyer Waggonbau-Spitze nehmen. Demnach plane der Eigentümer für den Nieskyer Standort über 2023 hinaus. Allerdings hatte er die Situation ungewollt angeheizt, weil er in einem SZ-Interview die Vorwürfe der Geschäftsführung an die Adresse der Mitarbeiter ungeprüft weitergegeben hatte.

Der Waggonbau Niesky hat derzeit 160 Mitarbeiter und ist der einzige Produzent von Güterwagen in Deutschland noch. Vor diesem Hintergrund fordert der Görlitzer Landtagsabgeordnete der Linkspartei, Mirko Schultze, ein stärkeres Engagement des Freistaates beim Waggonbau in Niesky. „Die sächsische Lausitz erhält 7 Milliarden Euro für den Ausstieg aus der Kohleverstromung, um Industriearbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten", sagt Schultze. "Mir ist völlig unklar, warum bisher nicht ein Cent in die Stärkung des vorhandenen Schienenfahrzeugbaus geht. Das einzige, was die Staatsregierung kann, ist Briefe schreiben, wie aus einer Kleinen Anfrage von mir hervorgeht." Stattdessen sollte die Landesregierung für notwendige Kredite bürgen, "um dem Standort eine neue Perspektive zu geben".

Auch in Niesky fiebern Einwohner, Unternehmer, Händler, Gewerbetreibende mit dem Waggonbau. Nach einer Plakataktion in Nieskyer Geschäften und einem Protestumzug durch die Stadt wird für das Wochenende eine weitere große Aktion angekündigt. Die Kirchengemeinden der Stadt Niesky - die katholische, evangelische, Brüdergemeine sowie ev. Trinitatisgemeinde am See - werden am Sonntag in den Gottesdiensten ein Gebet für den Waggonbau Niesky sprechen. "Dieses Gebet ist zugleich unsere Stellungnahme zur Situation des Werkes. Die Existenzängste der Werksmitarbeitenden können uns nicht egal sein", teilt Pfarrer Janis Kriegel für die beteiligten Kirchengemeinden mit.