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Der "Weintraube" folgen neue Wohnungen

Das Nieskyer Traditionslokal ist verkauft und bald abgerissen. Ende nächsten Jahres sollen an seiner Stelle zwei Wohnhäuser stehen.

Von Steffen Gerhardt
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Ein letzter Blick in und auf die Weintraube vor dem Abriss. Das Gebäude ist bereits entkernt und wird nun abgetragen.
Ein letzter Blick in und auf die Weintraube vor dem Abriss. Das Gebäude ist bereits entkernt und wird nun abgetragen. © André Schulze

Ein Stück Nieskyer Gastlichkeit verschwindet aus der Kleinstadt: Das Restaurant "Zur Weintraube". Wie eine ausgehöhlte Weihnachtsgans steht das Gebäude an der Rosenstraße inzwischen da. Nun greift der Abrissbagger zu und trägt das Haus Stück für Stück ab. An seiner Stelle wird Neues entstehen, aber Gastronomie wird es dort nicht mehr geben. Darüber ist sich der Investor einig.

In Niesky pfiffen es die Spatzen schon längst von den Dächern, dass das Restaurant zum Verkauf steht, sein Besitzer das Objekt abgeben möchte. Bis Ende 2018 wollte Gerd Seifert "seine Weintraube" als Familienbetrieb noch führen und dann in andere Hände geben. Anfangs noch mit dem Gedanken, dass der Gaststättenbetrieb aufrechterhalten bleibt. Doch der Verkauf zog sich hin und die Pläne des neuen Käufers änderten sich. Der Baubetrieb Siegfried Schur mit Sitz in Kringelsdorf erwarb die Immobilie im März dieses Jahres. Dazu Geschäftsführer Matthias Schur: "Dass Herr Seifert seine Gaststätte verkaufen will, wussten wir schon seit Längerem, schließlich sind wir in Niesky Nachbarn und da spricht man über so etwas."

Kein Objekt für Spekulationen

Schur-Bau hat bereits im Nachbargrundstück seit einigen Jahren drei Mehrfamilienhäuser stehen. Dort, wo einst das Nieskyer Fleischwerk seinen Standort hatte. Und auch der der "Weintraube" vorstehende "Treppenkonsum" gehört dem Bauunternehmen. Das hat den ehemaligen Verkaufsladen komplett zu einem Wohnhaus umgebaut. Nun ist das Grundstück der "Weintraube" noch hinzugekommen. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend gewesen: Zum einen die Nachbarschaft zu den anderen Schur-Häusern und zum anderen: "Wir wollten verhindern, dass es ein Spekulant erwirbt und verfallen lässt - und unsere Mieter dann eine Ruine vor ihren Fenstern haben."

Noch bevor Corona zuschlug, kauften die Kringelsdorfer Haus und Grundstück. Anschließend war die Frage zu klären, ob sich eine Modernisierung und ein Umbau lohnt oder das Gasthaus ganz abgerissen werden muss. Schließlich ist es nicht nur Gaststätte gewesen mit einer Gaststube mit 95 Sitzplätzen, einem Weinzimmer für bis zu 14 Personen und zwei Clubzimmern zu je 30 und 20 Plätzen. Das Objekt bietet 20 Zimmer und eine Wohnung auf einer Gesamtfläche von 2.200 Quadratmetern. "Wir haben uns das Haus mit Baufachleuten genau angeschaut und sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wir zwei bis drei Millionen Euro hätten investieren müssen, um das Gebäude auf den heutigen Stand zu bringen", berichtet Matthias Schur. Also fiel die Entscheidung auf Abriss.

Platz für zwei Wohnhäuser

Anstelle des Gasthauses werden zwei Mehrfamilienhäuser gebaut. Platz wäre auch für mehr Häuser gewesen, aber der kleine Park zwischen dem Gebäude und der Rosenstraße wollen Schurs für ihre Mieter erhalten. Ein Görlitzer Architekturbüro ist jetzt damit beauftragt, die beiden Häuser zu projektieren. Jedes soll bis zu sechs Wohnungen bieten, hauptsächlich Zweieinhalb- bis Dreiraumwohnungen. Vom Baustil sollen sie so wie die beiden Schur-Häuser auf der Schulstraße am ehemaligen Standort der Berufsschule aussehen. Die Farbe der Fassade soll aber den drei benachbarten Häusern auf dem Sonnenweg entsprechen. Wie diese Häuser werden auch die beiden neuen mit Aufzügen und Tiefgarage ausgestattet.

Obwohl die Häuser noch nicht stehen, gibt es schon Interessenten für die Wohnungen. "Wir haben Anfragen von ehemaligen Nieskyern. Sie wollen wieder in ihre Heimatstadt ziehen. Aber auch aus den Dörfern um Niesky, wo vor allem ältere Menschen eine kleine und komfortable Wohnung ihrem Gehöft vorziehen", erklärt der Bauunternehmer. Läuft alles wie vorgesehen, können die neuen Mieter Weihnachten 2021 in ihren neuen vier Wänden feiern.

Erinnerung an die "Weintraube"

Ganz und gar soll die "Weintraube" aber nicht von ihrem Standort verschwinden. "Wir wollen die für den Gastraum markanten Granitsäulen und die bunten Glasfenster erhalten und sie in unsere beiden Häusern integrieren", sagt Matthias Schur. Denn für viele Nieskyer ist die "Weintraube" eine der traditionsreichen Gaststätten in der Kleinstadt. Ob runde Geburtstage, Hochzeiten oder Beerdigungen. Viele Generationen kamen hier bei Speis und Trank zusammen. Für den Eislaufverein Niesky ist die "Weintraube" zum Vereinslokal geworden, nun ist man im Bürgerhaus heimisch.

Ursprünglich war das Gasthaus ein Stallgebäude. In den 1960er Jahren diente das Haus nach einer Erweiterung als "Erfassungsstelle für landwirtschaftliche Erzeugnisse", also Aufkauf von Obst und Gemüse. Nach umfangreichen Umbauten öffnete am 16. Mai 1976 das Restaurant "Zur Weintraube" - als eine Einrichtung der staatlichen Handelsorganisation (HO). Erster Betreiber wurde Richard Ehrenberg, der Leiter des Kreiskulturhauses "Herbert Balzer". Am 1. September des gleichen Jahres übernahm Gerd Seifert das Haus. Bis auf einen zeitlich befristeten Abstecher als Leiter des "Deutschen Hofes" (heute Fahrrad Steffen und Sanitär Kleicke) blieb der Horkaer Gastronom dem Haus vier Jahrzehnte treu. Er führte das Restaurant mit seiner gutbürgerlichen Küche zusammen mit seiner Familie.

Auf eine Art wird auch das Bauunternehmen Schur die "Weintraube" vermissen. Lieferte Gerd Seifert doch immer die kalten und warmen Buffetts, wenn bei Schurs wieder eine Haus-Einweihung zu feiern war. Das wird in einem Jahr wohl ein anderer Gastronom übernehmen müssen.

Der Gastraum mit seinen über 90 Plätzen ist leer geräumt. Das Deckengewölbe verrät, dass hier mal ein Stall war. Die Granitsäulen sollen wiederverwendet werden in dem Nachfolgebau am gleichen Standort.
Der Gastraum mit seinen über 90 Plätzen ist leer geräumt. Das Deckengewölbe verrät, dass hier mal ein Stall war. Die Granitsäulen sollen wiederverwendet werden in dem Nachfolgebau am gleichen Standort. © André Schulze
Beliebt bei den Nieskyern und ihren Gästen waren die Veranstaltungen. Wie hier eine Modenschau des Fachgeschäftes "hautnah" im Oktober 1996.
Beliebt bei den Nieskyern und ihren Gästen waren die Veranstaltungen. Wie hier eine Modenschau des Fachgeschäftes "hautnah" im Oktober 1996. © Archiv/Rolf Ullmann
Sein Name steht für vier Jahrzente Gastlichkeit in der "Weintraube": Gerd Seifert. 1976 hat der Gastronom das Restaurant übernommen und bis 2018 geführt.
Sein Name steht für vier Jahrzente Gastlichkeit in der "Weintraube": Gerd Seifert. 1976 hat der Gastronom das Restaurant übernommen und bis 2018 geführt. © Archiv/Rolf Ullmann