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Schweinepest verliert 2022 nichts von ihrer Brisanz

Die Tierseuche hat sich weiter ausgebreitet und der Landkreis wenig Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage. Das zehrt inzwischen an den Kräften aller Beteiligten.

Von Frank-Uwe Michel
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So wie hier werden Wildschweinkadaver im Landkreis Görlitz jeden Tag eingesammelt und an zentrale Punkte gebracht, von wo sie zur Tierkörperbeseitigung nach Meißen transportiert werden.
So wie hier werden Wildschweinkadaver im Landkreis Görlitz jeden Tag eingesammelt und an zentrale Punkte gebracht, von wo sie zur Tierkörperbeseitigung nach Meißen transportiert werden. © privat

Marko Broda ist schon seit vielen Jahren Jäger. Was in den Feldern, auf Wiesen und in Wäldern aktuell passiert, hat er in dieser Dramatik so aber noch nicht erlebt. "Es gibt Reviere, die sind von Wildschweinen fast leergefegt." Na klar, seit Monaten werden die Schwarzkittel zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest (ASP) verstärkt abgeschossen. Aber ist das der alleinige Grund? "Es ist wohl ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren. Die Zäune spielen eine Rolle, natürlich auch die Bejagung. Vielleicht meiden die Schweine aber auch Flächen, auf denen ihre Artgenossen verendet sind."

Seit einiger Zeit hat der Görlitzer aber nicht nur als Jäger mit der Schweinepest zu tun. Broda ist zugleich Prokurist beim Sicherheitsdienst GRS in der Neißestadt und schickt in Absprache mit dem Veterinäramt des Kreises täglich ein Team raus, um geschossene oder verendete Wildschweine einzusammeln. Bei der Görlitzer Service GmbH heißt der Geschäftszweig jetzt Wild- und Kadaverbergung. Dass es bald keine Aufträge mehr gibt, glaubt der Firmenchef nicht. Denn die Tierseuche lässt sich nicht so ohne Weiteres besiegen. Zehn Jahre auf hohem Niveau gibt ihr der Experte mindestens noch.

Hoher Anteil infizierter Wildschweine

So weit will der Landkreis in seiner Einschätzung der Lage noch nicht ganz gehen. Allerdings werde es eine weitere Ausbreitung Richtung Westen geben, sind die Fachleute aus dem Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramt (Lüva) überzeugt und sehen sich mit erst jüngst festgestellten Ausbrüchen im Landkreis Meißen und im mecklenburgischen Ludwigslust/Parchim bestätigt. Zwar sei in den Medien zuletzt weniger über die Schweinepest berichtet worden. Aber auch wenn Corona die Nr. 1 in der öffentlichen Wahrnehmung sei - die ASP-Situation habe nichts von ihrer Dramatik eingebüßt.

Im August besuchte Ministerpräsident Michael Kretschmer den Landkreis Görlitz und ließ sich vor Ort in Lodenau über die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Schweinepest informieren.
Im August besuchte Ministerpräsident Michael Kretschmer den Landkreis Görlitz und ließ sich vor Ort in Lodenau über die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Schweinepest informieren. © André Schulze

Ein Blick auf die Zahlen macht das deutlich. Seit dem Erstausbruch am 1. November 2020 hat es 5.985 Untersuchungen auf das Virus im Landkreis Görlitz gegeben (Stand: 22. Dezember). 18,7 Prozent der 4.023 in der Restriktionszone geborgenen verendeten, verunfallten oder geschossenen Wildschweine waren positiv. Den höchsten Anteil gab es innerhalb des Fallwildes, also der verendeten Sauen, Keiler und Frischlinge. Von 943 Exemplaren trugen 60,8 Prozent das Virus in sich. Nur dem "unermüdlichen Einsatz der Jägerschaft" und der "permanenten Umsetzung aller Maßnahmen" ist es laut Kreissprecherin Julia Bjar zu verdanken, dass die Entwicklung nicht noch schlimmer verlaufen ist.

Marko Brodas Männer gehören mit zu jenen, die für die "Maßnahmen" zuständig sind. Sechs Mitarbeiter hat das Sicherheitsunternehmen für diese spezielle Aufgabe schulen lassen. Jeweils zwei Personen rücken als Bergeteam an Orte in den Landkreisen Görlitz und Bautzen aus, wo erlegtes oder verendetes Schwarzwild geborgen werden muss. Im Ganzkörperanzug, Desinfektionsmittel immer dabei. "Denn wenn das Schwein auf dem Hänger liegt, muss die Fundstelle desinfiziert werden. Am Abend dann auch das Fahrzeug, der Hänger und die Schuhe der Mitarbeiter", erklärt Broda den Aufwand. Zusätzlich nimmt das Team jedem Schwein eine Blutprobe ab, die zum Lüva geht und untersucht wird.

Auch im Kreis Bautzen werden Zäune gebaut

Das zu Ende gehende Schweinepest-Jahr war für den Landkreis ernüchternd und erfolgreich zugleich. So habe sich die Seuche in den Kreisgrenzen zwar weiter ausbreiten können, was laut Julia Bjar "angesichts der Geografie und wildbiologischen Erkenntnisse nicht überraschte". Aber - und das ist die andere Seite der Medaille - man konnte auch viele wichtige Daten sammeln, die Ausbreitung verlangsamen und den Eintrag des Virus in die Hausschweinbestände verhindern.

Kadaverspürhunde - hier in einem Wald bei Biehain - kommen regelmäßig zum Einsatz. Sie suchen tote Wildschweine, die dem Schweinepestvirus zum Opfer gefallen sind.
Kadaverspürhunde - hier in einem Wald bei Biehain - kommen regelmäßig zum Einsatz. Sie suchen tote Wildschweine, die dem Schweinepestvirus zum Opfer gefallen sind. © André Schulze (Archiv)

Auch 2022 wird der Landkreis nicht zur Ruhe kommen, weil von Polen aus immer wieder infizierte Schwarzkittel über die Neiße wandern. Weil die Seuche aber weiter ins Innere Deutschlands und Europas vordringen werde, müsse man aufpassen, "dass der notwendige Fokus auf unsere Region erhalten bleibt", so die Sprecherin. In Zukunft müssten alle beteiligten Ebenen - von den Kommunen über den Bund bis zur EU - über ihre Strategien noch schneller nachdenken und vor allem zusammenarbeiten. "Vor Ort gilt es, die Kräfte hier weiterhin zu motivieren und kreative Möglichkeiten zur Entlastung in dieser außergewöhnlichen Situation zu finden."

Wie ernst die Lage ist, beweist ein Blick über den Tellerrand. Seit einigen Tagen werden auch im Landkreis Bautzen entlang der B 156 von der Autobahn bis zum Bärwalder See Schutzzäune gegen die Ausbreitung der Schweinepest errichtet. Auch südlich der Königsbrücker Heide wird gebaut. Im nächsten Jahr soll es ab der Autobahnabfahrt Burkau in Richtung Hoyerswerda sowie in Richtung Tschechien weitergehen.

Bevölkerung soll mitwirken bei Seuchenbekämpfung

Passend zur momentan kritischen Situation hat Sachsens oberster Schweinepest-Bekämpfer Sebastian Vogel die Bevölkerung zur Mitwirkung aufgerufen. Wildabwehrzäune sollten nicht beschädigt, die Tore geschlossen gehalten werden, so der Staatssekretär im Sozialministerium. Fleisch- und Lebensmittelreste gehörten in verschließbare Tonnen. Sie achtlos wegzuwerfen, würde nur der Ausbreitung des Virus helfen.