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Streit um Erbe eines Dresdner Revolutionärs

Friedrich Boltz gehörte zur Gruppe der 20 in der Wendezeit in Dresden. Dann kaufte er einen Hof in Jänkendorf bei Görlitz. Nun ist er gestorben. Was wird nun aus dem Hof?

Von Sebastian Beutler & Steffen Gerhardt
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Friedrich Boltz lebte für seinen Hof und liebte die Tiere. Ende März ist er an einer Krankheit gestorben. Um sein Erbe dreht sich eine Auseinandersetzung.
Friedrich Boltz lebte für seinen Hof und liebte die Tiere. Ende März ist er an einer Krankheit gestorben. Um sein Erbe dreht sich eine Auseinandersetzung. © Archiv: andré schulze

Ob Jänkendorf hier anfängt oder langsam aufhört, ist eine Frage des Standpunkts. Jedenfalls liegt der sogenannte Holderbusch-Hof ziemlich am Ende der Dorfstraße. Friedrich Boltz hatte ihn vor mehr als 20 Jahren erworben. Seitdem war er Anlaufpunkt für Weltenbummler, für Aussteiger, die es kurzzeitig aus der Lebensbahn geworfen hatte, für Familien oder internationale Workcamps, die nachhaltige Permakultur kennenlernen und ausprobieren wollen. Doch das ist schon einige Zeit vorbei, auch wegen der Einschränkungen in der Corona-Pandemie. Im März dieses Jahres verstarb Friedrich Boltz. Ob der Tod von Boltz nun der Anfang vom Ende oder der Aufbruch in eine neue Zukunft ist, darüber gibt es verschiedene Ansichten.

Michael Boltz ist der Sohn des Eigentümers und davon überzeugt, dass er das Anwesen mit seiner Familie in eine gute Zukunft führt. Der gelernte Dachdecker und studierte Wirtschaftsingenieur hat den Hof maßgeblich selbst mit aufgebaut. Er hat mehrere Jahre auf dem Hof internationale Workcamps geleitet. Des Weiteren hat er den Holderbusch-Verein finanziell beträchtlich unterstützt.

Streit um das "Erbe"

Ein Jugend-Workcamp auf dem Holderbusch-Verein. Ganz links Michael Boltz, der Sohn von Friedrich Boltz.
Ein Jugend-Workcamp auf dem Holderbusch-Verein. Ganz links Michael Boltz, der Sohn von Friedrich Boltz. © Archivfoto: privat

Doch es gibt auch noch eine andere Gruppe, die offensichtlich Interesse an dem Hof hat. Menschen, die Friedrich Boltz in den vergangenen Jahren kennenlernten, mit denen er verbunden war oder die das heute behaupten, so ganz trennscharf ist das nicht immer zu sagen. Sie sehen sich als "Erben" von Friedrich Boltz, der einst zusammen mit dem späteren CDU-Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz, dem späteren Dresdner Oberbürgermeister Herbert Wagner sowie dem späteren sächsischen Justizminister Steffen Heitmann in der Wendezeit die Gruppe der 20 in Dresden mitgründete, die eine maßgebliche Rolle beim Übergang in die demokratische Bundesrepublik in der Landeshauptstadt spielte.

Über das Erbe ist nun eine Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit getragen worden, die Michael Boltz als fehlplatziert erachtet. Er und seine Brüder sind nach der gesetzlichen Lage die erben, ein handschriftliches Testament seines Vaters, in dem der Vorstand des Holderbusch-Vereins erwähnt wird, ist so unkonkret, dass seine Wirkung mindestens rechtlich umstritten ist.

Die Gruppe um das Ehepaar Matthias (re.), die ebenso Anspruch auf den Hof in Jänkendorf erheben.
Die Gruppe um das Ehepaar Matthias (re.), die ebenso Anspruch auf den Hof in Jänkendorf erheben. © André Schulze

Zumal der Holderbusch-Verein nach Ansicht von Michael Boltz nur noch auf dem Papier existiert. Der Verein zur "Förderung nachhaltiger Wirtschaftsformen und kultureller Vielfalt" war 1998 aus förder-, haftungs- und steuerrechtlichen Gründen in Ergänzung zum Hof gegründet worden. Doch von dem eigentlich dreiköpfigen Vorstand sind nach dem letzten Registereintrag beim Vereinsgericht in Dresden nur noch zwei Personen übrig. Einer ist Michael Boltz, der andere ein ehemaliger Berliner, der mittlerweile ausgetreten ist. Darüber hinaus gebe es keine Mitglieder mehr und der Verein habe offene Zahlungsforderungen, die mit den verbleibenden Mitteln zu begleichen sind. Für Boltz ist klar: der Verein kann nur abgewickelt werden, denn er ist pleite.

Gegenseitige Ansprüche auf Hof, Gerätschaften, Tiere

Das sieht eine Gruppe um das Ehepaar Matthias aus dem brandenburgischen Bloischdorf - einer Gemeinde an der Grenze von Brandenburg zu Sachsen, gleich gegenüber von Groß Düben und Schleife gelegen - anders. Barbara Matthias und ihr Mann Frank führen dort einen Öko-Bauernhof und lernten Friedrich Boltz über eine Biohof-Vereinigung kennen. Auf ihrem Pinokkio-Hof fand am 14. Juni eine Beratung von sieben Personen statt, die sich als Mitglieder des Holderbusch-Vereins ausgeben und eine außerordentliche Mitgliederversammlung zur Klärung der Lage verlangen. Jedoch sind sie keine Mitglieder und haben teilweise einen Mitgliedschaftsantrag erst wenige Tage zuvor gestellt.

Aktuell werden Ansprüche erhoben. So behauptet Sebastian Melde aus Hähnichen, ihm würden Maschinen und Fahrzeuge gehören, die noch auf dem Boltz-Hof stehen. Er will Eigentumsnachweise besitzen. Entsprechende Nachweise konnten jedoch nicht vorgelegt werden, erklärt Michael Boltz. Er sagt auch: "Herr Melde hat noch Schulden bei der Familie Boltz. Die muss er erst begleichen." Und zeigt einen Kreditvertrag, aus dem noch Zahlungen in vierstelliger Höhe ausstehen sollen. Auch ein Kodersdorfer Landwirt kann gegenüber der SZ ein Schreiben vorweisen, mit dem er noch ausstehende Forderungen an Melde belegen kann. Melde wiederum droht mit der Polizei, um an für sich reklamiertes Eigentum zu kommen.

Die Schafherde des Jänkendorfer Hofs.
Die Schafherde des Jänkendorfer Hofs. © Archivfoto: privat

Ein anderes Thema ist die Schafherde mit 47 Alt- und 45 Jungtieren, die auf dem Hof gehalten wurde. Melde will sich um sie gekümmert haben, sagt sogar, Friedrich Boltz habe sie ihm zu Lebzeiten versprochen. Doch ein Schriftstück darüber ist bislang nicht aufgetaucht. Dafür gibt es aber ein anderes. Es ist ein Protokoll. Nach dem Besuch der zuständigen Überwachungsbehörde des Landratsamtes Görlitz geht aus dem hervor, dass die Tiere nur mangelhaft gehalten wurden, über mehrere Jahre bereits an Moderhinke erkrankt waren, die nicht ausreichend behandelt wurde. Diese Klauenkrankheit ist für die Schafe sehr schmerzhaft und nur mit sehr viel Aufwand zu heilen. Das Amt stellte infrage, ob genügend Personal für die Zahl der Tiere tätig war. Mittlerweile ist die Herde verkauft.

Und schließlich erinnern sich beide Seiten auch ganz anders an das Abschiednehmen von Friedrich Boltz. Sein Sohn hatte eine Totenwache im Haus eingerichtet, an der jeder von Friedrich Boltz Abschied nehmen konnte. Auch die Beerdigung auf dem Ullersdorfer Friedhof mit einem vorgelagerten Trauerzug war für alle öffentlich. Doch wollte sich die Gruppe um Sebastian Melde nach der Trauerfeier noch auf dem Hof versammeln, die sie als "ihren" verstehen. Die vielen ungeladenen Personen ließen die Familie nicht zur Ruhe kommen. Das empfand sie als Zumutung.

Turbulentes Leben von Friedrich Boltz

So verlaufen die ersten Monate nach dem Tod Friedrich Boltz ähnlich turbulent wie dessen Leben. Friedrich Boltz, Jahrgang 1953, hatte seine eigene Lebensart, die er nicht nur auf seinem Hof verwirklichte. Der studierte Kybernetiker rebellierte zeit seines Lebens gegen die politischen Systeme. Nachdem er von Dresden in die Oberlausitz übergesiedelt war, entwickelte er sich zu einem Verfechter der Permakultur, zu Deutsch: dauerhafte Landwirtschaft oder dauerhafte Kultivierung. Grundlage ist ein nachhaltiges Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, natürliche Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur genau zu beobachten und nachzuahmen.

Am Briefkasten steht noch der Holderbusch-Verein
Am Briefkasten steht noch der Holderbusch-Verein © André Schulze

Aber nicht nur damit machte Friedrich Boltz sich einen Namen. Er war ein streitbarer Gemeinderat in Waldhufen, Stammgast bei den Anti-Corona-Demonstrationen in Görlitz, hielt seinen Hof auch in Zeiten der Pandemie für viele Menschen offen, "schützte" sich mit einer Schweißermaske vor dem Virus und sorgte regelmäßig für Ärger in der Nachbarschaft.

Friedrich Boltz lebte für seinen Hof und liebte den Garten und die Tiere, solange er sich um beides kümmern konnte. Ende März ist er an einer Krankheit gestorben. Es kann gut sein, dass damit auch seine eigene Welt an ihr Ende kam. Es ist jedoch kein Ende des Hofes. Familie Boltz will nach dem Aufräumen einen Permakultur-Waldgarten aufbauen. So wie es sich Friedrich Boltz gewünscht hätte.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die erste Fassung dieses Textes grundsätzlich überarbeitet, nachdem uns weitere Quellen zur Verfügung standen.