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Er repariert Handys - hat aber selbst keins

Der Dresdner Alexander Eölyüs repariert zwar beruflich Smartphones, fühlt sich aber privat ohne Mobiltelefon freier – und sicherer.

Von Henry Berndt
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Neben Notebooks nimmt Alexander Eölyüs in seiner IT-Firma im Dresdner Norden regelmäßig Smartphones auseinander.
Neben Notebooks nimmt Alexander Eölyüs in seiner IT-Firma im Dresdner Norden regelmäßig Smartphones auseinander. © Sven Ellger

Es gibt diese seltenen Momente, in denen auch Alexander Eölyüs ins Schwitzen kommt. Zum Beispiel, wenn er im Auto sitzt, sein Kind abholen will und plötzlich in den Stau kommt. Kein Problem, könnte man denken. Einfach schnell eine Whatsapp-Nachricht an die Frau absetzen, und die Sache ist geklärt. Oder anrufen. Doch da gibt es ein Problem: Alexander Eölyüs hat kein Handy. In Zeiten, in denen in Deutschland aktuellen Studien zufolge drei Viertel der Kinder ab zehn Jahren ein eigenes Smartphone besitzen, muss er sich dafür schon regelmäßig rechtfertigen. Zumal Eölyüs nicht 88 ist, sondern 38.

Er ist ein Kind der sozialistischen Freundschaft. Sein Vater stammt aus Ungarn, doch er selbst wurde in Deutschland geboren. „Damals mit 18 hatte ich auch mal so ein altes Nokia“, sagt er. „Weil es alle hatten.“ Genutzt habe er sein Handy aber schon damals kaum. „Ich habe noch nie viel vom Telefonieren gehalten. Ich kläre Dinge lieber persönlich.“

Wie viel Stress und Ärger man sich selbst machen kann, wenn man sich immer mehr von Technik abhängig macht, das erlebt Eölyüs heute jeden Tag auf Arbeit. Seit sieben Jahren ist er Chef der IT-Firma com@sutra mit Sitz im Dresdner Norden. Früher wurden hier vor allem Notebooks repariert. Inzwischen hat er sich mit seinen drei Mitarbeitern auf Datenrettung spezialisiert, bietet aber auch das komplette Paket mit Reparatur und Reinigung an. Weniger gern, aber immer häufiger, nimmt er auch kaputte Smartphones an. Die Technik und das Know-how haben sie. Doch der Aufwand ist wesentlich größer.

Auch wenn die Rettungsquote recht gut ist, hat Eölyüs schon viele fast neue Smartphones über den Jordan gehen sehen. Aus Rücksicht auf der Umwelt ist er daher froh, von diesem Besitz und dem Zwang, immer das neueste Modell haben zu müssen, befreit zu sein. Das ist ein Grund, aber längst nicht der einzige.

Der Abschied sei ihm damals nicht besonders schwergefallen. „Das Display ist mir schon immer zu klein gewesen, um Nachrichten zu schreiben“, sagt er. Außerdem höre man doch immer häufiger von Haltungsschäden bei den jungen Leuten. „Ich kenne mich selbst gut, und ich bin technikaffin. Ich weiß genau, wenn ich ein Smartphone hätte, würde ich es bei jeder Gelegenheit rausholen und viel spielen.“ Doch wer das tue, der denke nicht mehr über sein Leben nach. „Das ist nicht gesund für die Seele.“ Insofern sei seine Handylosigkeit auch ein sehr effektives Anti-Sucht-Programm. Netter Nebeneffekt: Seit er kein Telefon mehr habe, vergesse er auch keine Telefonnummern mehr.

Spätestens seit ein gewisser Edward Snowden 2013 die Welt wissen ließ, wie weit Gemeindienste bereit sind, in die Privatsphäre der Menschen vorzudringen, war das Thema Mobilfunk für Alexander Eölyüs erledigt. „Man muss ja kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu sehen, wie gefährlich es sein kann, wenn jeder jederzeit weiß, wo du bist“, sagt er. Wenn auch hierzulande eines Tages ein extremistisches Regime an die Macht komme, würde es dem dadurch viel leichter fallen, ein repressives System zu installieren. „Die wissen dann Sachen über mich, die ich nach 20 Jahren längst vergessen habe.“

Deswegen will er selbst wenigstens einen kleinen Teil dazu beitragen, sich und seine Daten zu schützen. Twitter und Instagram sind für ihn tabu. Bei Facebook ist er nur unter Pseudonym und nutzt das Netzwerk ausschließlich beruflich.

Bei seiner Frau zu Hause hat Eölyüs mit dieser Strategie allerdings schlechte Karten. Sie hat ein Smartphone, sie hat auch Whatsapp, und sie nutzt es gern und häufig. Diskussionen sind zwecklos. Er hat das akzeptiert, so wie sie akzeptieren musste, dass ihr Mann mobil nicht erreichbar ist. Immerhin sei er ab zu mal bei einem Videochat mit der Familie dabei. Grundsätze zu haben, bedeutet für ihn nicht automatisch, gleich paranoid zu werden.

Vor ein paar Jahren sei er mit seinen Ansichten noch ziemlich missionarisch gewesen, sagt Eölyüs. Inzwischen aber wolle er niemandem mehr seine Meinung aufdrängen. „Das soll jeder selbst entscheiden“, sagt er. „Dann muss aber auch jeder selbst mit den Konsequenzen leben.“

Als er vor einigen Wochen mal zu einer Fachmesse nach Österreich fuhr, besorgte er sich für diese Zeit ein einfaches Handy. Das liegt nun wieder ausgeschaltet in der Schublade. Und wenn es doch mal passiert, dass er sich abends mit Freunden verabredet und man sich nicht findet? „Dann mache ich eben allein Party“, sagt er. „Es gibt immer einen Plan B.“ Da sonst praktisch jeder ein Handy habe, könne er im Notfall auch fast jeden fragen. Und wenn er ganz aufmerksam durch Dresden läuft, findet er sogar hier und da noch etwas, was die jungen Leute von heute nur noch im Museum erwarten. Eine Telefonzelle.