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„Wir brauchen Zuwanderung“

Der neue Dresdner Jobcenter-Chef Thomas Berndt über Hartz-IV-Sanktionen und Lösungen gegen den Fachkräftemangel.

Von Julia Vollmer
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Thomas Berndt ist der neue Leiter des Dresdner Jobcenters.
Thomas Berndt ist der neue Leiter des Dresdner Jobcenters. © Paul Glaser/SZ-Bildstelle

Herr Berndt, vor einer Woche hat das Bundesverfassungsgericht die Sanktionen für Hartz IV-Empfänger teilweise gekippt. Wie bewerten Sie das?

Ich begrüße das Urteil, denn nun haben wir endlich Klarheit.

Die meisten Menschen wollen arbeiten, einige wenige ruhen sich aber auf den Leistungen vom Jobcenter aus. Wie oft mussten oder müssen Sie Sanktionen anwenden bei den rund 40.000 Dresdnern, die Hartz IV bekommen?

Davon sind aber nur 28.765 erwerbsfähig. 95 Prozent unsere Kunden halten sich an die Regeln, halten Termine ein und sagen Jobangebote nicht einfach ab.

Das heißt, die weiteren fünf Prozent müssen weiter mit Sanktionen rechnen, also ganz- oder teilweise werden die Leistungen gestrichen?

Nein, solange wir keine Rechtssicherheit nach dem Urteil haben, setzen wir vorerst die Sanktionen aus. Die Anhörungen gehen aber weiter.

Sie sprechen von Sanktionen, wenn Arbeitslose einen Job ablehnen, den Sie anbieten. Aber wie soll beispielsweise eine alleinerziehende Mutter einen Job als Verkäuferin mit Abend-und Wochenenddienst leisten können?

So etwas bieten wir der alleinerziehenden Mutter im besten Fall gar nicht erst an. Wenn doch, führt die Absage nicht automatisch zu einer Sanktion. Die durch uns angebotenen Jobs müssen zumutbar sein. Das prüfen wir, bevor wir den Job anbieten und noch einmal durch die Anhörung vor einer Sanktionsentscheidung.

Sind Jobs deutlich unter der Qualifikation zumutbar? Muss also zum Beispiel ein studierter Historiker einen Job als Pförtner annehmen?

Ja, das ist zumutbar. Gesetzlich gibt es im SGB II, also für Kundinnen und Kunden des Jobcenters, keinen Berufsschutz. Das heißt, dass es keinen Anspruch darauf gibt, nur Jobs in einer bestimmten Branche oder Qualifikation annehmen zu müssen. Im Rahmen unserer Arbeit mit den Menschen versuchen wir in der höchstmöglichen Qualifikationsebene einen Wiedereinstieg zu ermöglichen.

Bleiben wir bei den Alleinerziehenden, die ja mit rund 4000 von den 28.000 arbeitsfähigen Hartz-IV-Empfängern eine große Gruppe ausmachen. Warum haben die Betroffnen es so schwer?

Sie sind nun mal an bestimmte Arbeitszeiten gebunden und können in der Regel nicht abends und am Wochenende arbeiten.

Viele Branche wie Gastronomie, Pflege oder Bäcker klagen über massiven Personalmangel. Müssen diese sich besser auf Eltern einstellen?

Genauso so ist es. Geld allein ködert heute niemanden mehr, sondern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer wichtiger. Die Arbeitgeber müssen sich neu orientieren, um noch ihren Personalbedarf zu decken.

Trifft das auch auf die rund 1670 Flüchtlinge zu, die aktuell vom Jobcenter Dresden Leistungen beziehen?

Hier darf es keine Vorbehalte geben. Um es klar zu sagen: Wir brauchen Zuwanderung, sonst haben wir künftig ein Problem, alle Stellen zu besetzen.

Zu einem Job gehören Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie motivieren Sie Menschen, die schon jahrelang arbeitslos sind?

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gesunken von rund 8000 auf 5000.

Immer noch eine hohe Zahl, was tun Sie?

Mit Qualifizierungen und Coaching sowie Lohnkostenzuschüssen können wir vielen beim Weg zurück in den Job helfen. Mit dem Teilhabechancengesetz wurden hier Anfang des Jahres auch sehr gute neue Fördermöglichkeiten eröffnet.Für Menschen die mehrere und verfestigte Probleme wie Süchte, Schulden oder psychische Krankheiten bewältigen müssen, haben wir speziell geschulte Berater, unsere Fallmanager.

Haben Sie denn dafür Kapazitäten, um sich um jeden Betroffenen intensiv zu kümmern? Wie viele Fälle betreut den einer Ihrer Mitarbeiter?

Noch 1996 auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit hat ein Berater fast tausend Menschen betreut. Das ist weniger geworden. Heute sind es ca. 300 in der Vermittlung für die über 25 Jährigen. Bei der Bearbeitung von Geldleistungen betreut ein Mitarbeiter ca. 120 sogenannte Bedarfsgemeinschaften. Die beiden Aufgaben Vermittlung und Leistungsgewährung sind für die Jobcenter immer parallel zu betrachten.

Immer wieder gibt es Angriffe auf Mitarbeiter in den Jobcentern, wie ist die Lage in Dresden?

Wir mussten dieses Jahr 17 Hausverbote nach körperlich oder verbalen Angriffen aussprechen und ebenso viele Verwarnungen.

Wie schützen Sie Ihre Mitarbeiter?

Wir haben einen Sicherheitsdienst und jeder Mitarbeiter hat einen Notruf am Arbeitsplatz. Ein Fluchtweg vom Schreibtisch muss immer frei sein. Grundsätzlich gilt aber – Wir erbringen unsere Dienstleistungen in einer offenen, dem Kunden zugewandten Form. Und wir bieten für unsere Mitarbeiter im Jobcenter verschiedene Seminare zur Eskalationsprävention, zur Schulung in psychologischer und sozialer Kompetenz an.

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