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Warum kostet ein Medikament 1,9 Millionen Euro?

Das sagt der Hersteller über die teure Therapie für Baby John aus Sebnitz, den Behandlungserfolg und die geplante Zulassung in Europa.

Von Steffen Klameth
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Mutter Jana Brandt und der kleine John: Alle Hoffnung richtet sich jetzt auf die neue, aber teure Gentherapie. Wann sie beginnen kann, ist noch offen.
Mutter Jana Brandt und der kleine John: Alle Hoffnung richtet sich jetzt auf die neue, aber teure Gentherapie. Wann sie beginnen kann, ist noch offen. © Jürgen Lösel

Er ist sieben Monate alt und inzwischen in ganz Deutschland bekannt: John aus Sebnitz leidet unter spinaler Muskelatrophie (SMA) Typ 1, der schwersten Form von Muskelschwund. Nun soll er so schnell wie möglich ein Medikament erhalten, das ihn vor einem frühen Tod bewahren soll. Der Haken: Eine Dosis kostet rund zwei Millionen Euro. Zolgensma – so der Handelsname – ist damit das teuerste Arzneimittel der Welt.

Inzwischen ist eine öffentliche Diskussion entstanden, ob solche hohen Medikamentenpreise überhaupt gerechtfertigt sind. Dazu hatten wir auch das Schweizer Pharmaunternehmen Novartis um Stellungnahme gebeten. Es ist die Muttergesellschaft der US-amerikanischen Biotechnologiefirma AveXis, die das Medikament herstellt. Ein Interview sei vor Zulassung von Zolgensma in Deutschland leider nicht möglich, hieß es. Stattdessen übermittelte die für Europa zuständige Niederlassung AveXis Europe Ltd. schriftliche Antworten, die wir hier auszugsweise wiedergeben.

In wie vielen Fällen kam Zolgensma bereits zum Einsatz?

Onasemnogene abeparvovec-xioi (so der originale Name von Zolgensma, d. A.) ist derzeit nur für die Anwendung in den USA bei pädiatrischen Patienten mit SMA unter zwei Jahren zugelassen. In den USA wurden seit der Zulassung schon viele Patienten behandelt. Wir wissen von einem Kind aus Deutschland, das an SMA 1 leidet und auf der Grundlage einer Sonderregelung im Arzneimittelgesetz behandelt wurde.

Liegen Ihnen Informationen zum Verlauf dieser Therapien vor?

Die Zulassung in den USA basiert auf Daten aus der laufenden Phase-III-Studie STR1VE und der abgeschlossenen Phase-I-Studie START, die die Wirksamkeit und Sicherheit evaluiert. Die Gentherapie zeigt in klinischen Studien eine klinisch vielversprechende Wirkung für das Überleben und die Verbesserung der motorischen Funktion im Vergleich zu den Daten von unbehandelten Patienten.

Welche Konsequenzen könnte die Datenmanipulation haben, die nach Zulassung von Zolgensma bekannt wurde?

Am 28. Juni teilte AveXis der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA freiwillig mit, dass einige Daten, die zuvor im Rahmen des Zulassungsantrags an die Behörde übermittelt worden waren, nicht korrekt waren. AveXis war auf Vorwürfe der Datenmanipulation in einem spezifischen Tierversuchsverfahren aufmerksam geworden, das bei der Entwicklung des Produkts genutzt wurde. Wie die FDA feststellte, betreffen die fraglichen Daten nur einen kleinen Teil unseres Zulassungsantrags und beschränken sich auf ein älteres Verfahren, das nicht mehr verwendet wird.

Zu keinem Zeitpunkt wiesen die Ergebnisse auf Probleme mit der Produktsicherheit, Wirksamkeit oder Qualität des Medikaments hin. Wir setzen uns für ein Höchstmaß an Transparenz und Integrität bei den Gesundheitsbehörden sowie bei den behandelten Patienten und Zentren ein.

Wie begründet Novartis den Preis von 1,9 Millionen Euro?

Bei der Gentherapie wird eine funktionale Kopie des menschlichen SMN-Gens bereitstellt, um das Fortschreiten der Krankheit durch eine nachhaltige SMN-Proteinexpression zu stoppen. Zolgensma wird in Form einer einmaligen einstündigen IV-Infusion verabreicht, die einen langfristigen Nutzen bringen soll. Der Preis spiegelt sowohl den Wert wider, den diese Behandlung für Patienten, Pflegekräfte und das Gesundheitssystem hat, als auch die sehr geringe Anzahl von Patienten. Es ist zu erwarten, dass die Gen-Ersatztherapie, verglichen mit der bisher zur Verfügung stehenden lebenslangen Behandlung und Versorgung von SMA-Patienten, Kosteneinsparungen für das Gesundheitswesen realisiert.

Wie stehen Sie zu Forderungen, die Bezahlung von Medikamenten vom Behandlungserfolg abhängig zu machen?

Es ist eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Selbstverwaltung und Unternehmen, in Deutschland Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen neuartige Therapien rasch die Patienten erreichen. AveXis, ein zur Novartis Gruppe gehörendes Unternehmen, ist an der gemeinsamen Entwicklung nachhaltiger Lösungen für das Gesundheitssystem interessiert – und dabei auch offen für innovative Erstattungsmodelle, zum Beispiel Pay for Outcome. In Deutschland befinden wir uns zurzeit in Gesprächen mit Krankenkassen.

Wann erwarten Sie die Zulassung für den europäischen Markt?

In Europa wird die Zulassung derzeit durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geprüft.

Die Krankheit Muskelatrophie

Die spinale Muskelatrophie ist ein Muskelschwund, der aufgrund eines Gendefekts durch einen fortschreitenden Untergang von motorischen Nervenzellen im Vorderhorn des Rückenmarks verursacht wird.

Der Rückgang bewirkt, dass Impulse nicht an die Muskeln weitergeleitet werden. Lähmungen mit Muskelschwund (Atrophie) und verminderte Muskelspannung sind die Folge.

Sind Hirnnerven betroffen, kommt es auch zu Einschränkungen der Schluck-, Kau- und Sprechfunktionen. Quelle: Wikipedia

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