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Sachse in Beirut: "Man denkt, jetzt ist es vorbei"

Der Pirnaer Politiker Oliver Wehner wurde Augenzeuge der katastrophalen Explosion. Im Interview erzählt er, wie die Lage in der Stadt jetzt ist.

Von Daniel Krüger
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Als die Lagerhalle explodierte, war der Pirnaer Politiker Oliver Wehner gerade mit seiner Frau einkaufen.
Als die Lagerhalle explodierte, war der Pirnaer Politiker Oliver Wehner gerade mit seiner Frau einkaufen. © Marwan Naamani/dpa (Archiv)

Der ehemalige sächsische Landtagsabgeordnete Oliver Wehner (CDU) befand sich am Dienstagabend im Beiruter Geschäftsviertel, als in unmittelbarer Nähe die Lagerhalle explodierte. Nur durch viel Glück hat der 35-Jährige die Explosion unbeschadet überstanden. Im Gespräch mit Sächsische.de berichtet der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes in Pirna über die Lage in Beirut nach der Katastrophe - und ruft die Sachsen zur Solidarität auf.

Herr Wehner, weshalb sind Sie derzeit in Beirut?

Meine Frau ist gebürtige Libanesin, die nach der Promotion zur Pharmazeutin in die USA ausgewandert ist. Wir haben ein Ferienhaus in den Bergen nahe der Hauptstadt. Dort verbringen wir seit zwei Wochen mit unserem Sohn den Sommerurlaub und besuchen die Verwandten meiner Frau. 

Wo waren Sie am Dienstagabend, als das Lagerhaus explodierte?

Wir waren ganz in der Nähe des Hafens, um in der Innenstadt Besorgungen zu machen und gerade wieder mit dem Auto auf dem Heimweg. Im Libanon gab es vorher aufgrund von Corona einen mehrtägigen Lockdown und der nächste Lockdown wurde auch schon wieder in zwei Tagen angekündigt. 

Deshalb waren sehr viele Menschen an diesem Tag in der Stadt unterwegs, um einzukaufen, auch wir. Unser Sohn war zu dem Zeitpunkt bei seinen Großeltern, weil wir ihn keiner Infektionsgefahr aussetzen wollten. 

Oliver Wehner im Live-Gespräch mit Sächsische.de in seinem Ferienhaus. Der Ex-Landtagsabgeordnete wurde im Urlaub Zeuge der Katastrophe von Beirut.
Oliver Wehner im Live-Gespräch mit Sächsische.de in seinem Ferienhaus. Der Ex-Landtagsabgeordnete wurde im Urlaub Zeuge der Katastrophe von Beirut. © Oliver Wehner/privat

Wie haben Sie die Explosion erlebt?

Wir hatten großes Glück, weil wir in einem Geländewagen saßen, der uns Schutz geboten hat. Es war wie ein kleines Erdbeben. Alles hat gewackelt und dann gab es einen lauten Knall. Da denkt man schon, dass es jetzt vorbei ist. 

Dann wurde es sehr neblig, überall sind Scherben, Splitter und Metallteile durch die Gegend geflogen, auch auf unser Auto. Man sieht Menschen mit Schnittverletzungen rennen, andere liegen blutüberströmt auf dem Boden. Für Deutsche ist das ein sehr ungewohntes Bild.

Sie meinen, im Libanon hat man einen anderen Umgang mit solchen Ereignissen?

Ja, die Bevölkerung ist durch die Erfahrungen der Vergangenheit sensibilisiert. Besonders in Beirut ist es zwar sicher, aber trotzdem liegt Spannung in der Luft. Es ist zum Beispiel normal, dass jeden zweiten, dritten Tag israelische Kampfjets über dem Gebirge kreisen. 

Nach der Explosion wurde im Radio sofort gemeldet, dass es sich um ein Bombenattentat handelt. Die Menschen haben dann alle versucht, so schnell wie möglich aus der Stadt zu fliehen. Man weiß ja schließlich nie, ob noch eine zweite Bombe kommt. Erst 2005 gab es eine Reihe von Anschlägen in Beirut. Seitdem wissen die Leute, wie sie sich im Ernstfall verhalten müssen.

Ihnen ist glücklicherweise nichts passiert. Ist Ihr Auto noch heil?

Naja, ein Deutscher würde schon sagen, es ist wegen der Kratzer im Lack erheblich beschädigt. (lacht) Aber wir konnten ohne Probleme nach Hause fahren. Es hat aber eineinhalb Stunden gedauert, aus der Innenstadt herauszukommen, weil überall Metall, Bürostühle und Kartons herumlagen und wir den Rettungsdiensten Platz gemacht haben.

Wie ist die Lage in der Stadt? Waren Sie seitdem wieder da?

Nein, Beirut ist seitdem quasi abgeriegelt, wegen Corona sollte man aber so oder so besser nicht ins Stadtzentrum. Man darf nicht vergessen, dass es dort viel weniger Krankenhausbetten gibt als in Deutschland, weil die medizinische Versorgung nicht so gut ist. Ein Freund unserer Familie ist Kinderchirurg, er führt seit anderthalb Tagen ununterbrochen Notoperationen durch. Zudem sind in Beirut überall Suchtrupps unterwegs, die versuchen, vermisste Personen aufzuspüren.

Was brauchen die Beiruter in dieser schwierigen Lage am dringendsten?

Ich stehe in direktem Kontakt zur deutschen Botschaft, der Konrad-Adenauer-Stiftung und natürlich dem roten Kreuz. Der Libanon ist gerade jetzt stark auf Hilfe aus dem Ausland aus Deutschland und Europa angewiesen. Viele Menschen sind plötzlich obdachlos, brauchen Essen, ein Dach über dem Kopf und Medikamente.

Auch die Menschen zuhause können helfen und zum Beispiel ans DRK Sachsen spenden. Dort kommt jeder Euro an, wo er wirklich gebraucht wird. Ich werde heute selbst noch beim libanesischen Roten Kreuz Blut spenden und sehen, wo meine Hilfe benötigt wird. 

Spuren der Verwüstung kurz nach der Explosion: Noch im Auto filmte und fotografierte Oliver Wehner die Zerstörungen in Beirut.
Spuren der Verwüstung kurz nach der Explosion: Noch im Auto filmte und fotografierte Oliver Wehner die Zerstörungen in Beirut. © privat

Was muss im Libanon politisch geschehen, damit sich solche Dramen nicht wiederholen?

Im Land leben unglaublich viele gut ausgebildete junge Menschen, die aber oft auswandern, weil die Infrastruktur schlecht ist und Korruption und Misswirtschaft vorherrschen. Diese Katastrophe ist eine Chance für das Land, endlich die Demokratisierung und Reformen voranzutreiben, denn jetzt blickt die Welt auf den Libanon. 

Wie geht es für Sie persönlich weiter? Brechen Sie Ihren Urlaub ab?

Wir schauen uns jeden Tag die Lage an und entscheiden je nach Situation, ob wir noch bleiben oder nicht. Das hängt auch von Corona ab. Ich habe in den letzten 14 Tagen bereits zwei PCR-Tests gemacht und werde mich vor dem Rückflug natürlich nochmal testen lassen, um nichts nach Sachsen einzuschleppen. 

Das Interview führte Daniel Krüger