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Seniorenheime wollen raus aus der Isolation

Besuche in Pflegeheimen sind wegen Corona seit Wochen tabu. Angehörige können trotzdem Kontakt halten. Für die Einrichtungen ist das oft ein Kraftakt.

Von Katarina Gust & Heike Sabel
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Hofft auf weitere Lockerungen beim Besuchsverbot: Susanne Hübel von der Alloheim Seniorenresidenz „AGO Bielatal".
Hofft auf weitere Lockerungen beim Besuchsverbot: Susanne Hübel von der Alloheim Seniorenresidenz „AGO Bielatal". © Daniel Schäfer

Wann sind Besuche endlich wieder möglich? Diese Frage bekommt Susanne Hübel derzeit am häufigsten gestellt. Die Leiterin der Alloheim Seniorenresidenz „AGO Bielatal" kann dann oft nur eines sagen: "Hoffentlich bald." Wann genau sich Angehörige und Bewohner von stationären Pflegeeinrichtungen in Sachsen wieder sehen und in den Arm nehmen können, ist ungewiss. Wegen der Corona-Pandemie sind Besuche in Seniorenheimen weiter untersagt - bis mindestens 20. Mai. 

"Das Besuchsverbot traf die Angehörigen und unsere Bewohner gleichermaßen schwer", erzählt Susanne Hübel. Telefonate und Briefe sind derzeit die einzige Möglichkeit, um mit den Bewohnern Kontakt zu halten. "Das alles kann das persönliche Treffen zwar nicht ersetzen, sorgt aber dafür, dass sich unsere Senioren weniger einsam fühlen", schildert sie.  Pflegebedürftige und betagte Menschen, die zur Hochrisikogruppe gehören, sollen mit dem Besuchsverbot vor einer Infektion mit dem gefährlichen Coronavirus geschützt werden. Trotzdem plant der Freistaat, die Regeln weiter zu lockern - womöglich diese Woche schon. 

Susanne Hübel begrüßt diesen Schritt. Für sie und ihre Mitarbeiter bedeutet das allerdings viel Arbeit, denn es müssen Besuchskonzepte erstellt und genehmigt werden. Wie diese künftig aussehen könnten? In der Alloheim Seniorenresidenz „AGO Bielatal" steht bereits fest, dass die Besuche zeitlich begrenzt werden. "Alle Gäste müssen vorher angemeldet werden, einen Mund-Nase-Schutz tragen und es darf nur ein Angehöriger pro Bewohner in die Einrichtung kommen", erklärt die Heimleiterin auf. Zudem müsse ein Mindestabstand von 1,5 bis 2 Meter während des gesamten Besuches eingehalten werden. 

Feste Besuchszeiten eingeführt

Besuche mit genügend Abstand - einige Pflegeeinrichtungen im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge machen diese bereits möglich. Denn trotz Besuchsverbot, können die Heime Ausnahmen machen. Die beiden Johanniter-Pflegeheime in Heidenau vergeben beispielsweise feste Besuchszeiten. Das heißt, mit einem Besucher pro Bewohner wird eine konkrete Zeit vereinbart. Dann kann er für eine Viertelstunde den Bewohner in einer Besuchsecke - mit genügend Abstand - treffen. Bedingung: eine dreilagige Maske, Stoffmasken reichen nicht. Außerdem müssen sich alle Besucher in eine Liste eintragen, so wie es inzwischen unter anderem auch bei Friseuren üblich ist. Für das Desinfektionsmittel sorgen die Heime, sagt Leiterin Antje Gietzelt. "Wir begrenzen den Besuch auf 15 Minuten, um allen ein Treffen zu ermöglichen", sagt sie. Es ist logistisch und organisatorisch eine Herausforderung. Schließlich müssen die Bewohner im Zimmer geholt und wieder hingebracht und alle Hygieneregeln eingehalten werden. Allein auf der Friedrich-Engels-Straße sind es 89 Bewohner. Bis die alle einmal Besuch empfangen können, ist eine Woche rum. Sobald die allgemeinen Infektionszahlen steigen oder sich die Bedingungen ändern, können die Besuche auch wieder gestrichen werden. Die meisten Angehörigen hätten sehr viel Verständnis, sagt Antje Gietzelt. 

Zusätzliche Arbeit fürs Personal

Viel Verständnis, das hätten die Bewohner und Angehörigen der Pflegeheime beim ASB Ortsverband in Neustadt auch. "Der Frust nimmt jedoch zu", sagt Christian Kowalow, der das ASB-Seniorenpflegeheim in Neustadt leitet. Es sei eine harte Zeit - für alle. Nicht jeder Bewohner oder Angehörige könne mit Videotelefonie umgehen. Deshalb wurde ein Besuchsfenster eingerichtet, an dem die Senioren Gäste auf Abstand "treffen" können.  

"Solche Lockerungen sind immer ein Spagat", beschreibt Alexander Penther, Geschäftsführer des ASB-Neustadt die Situation. Man wolle den Bewohnern den Kontakt ermöglichen, sie jedoch nicht in Gefahr bringen. Für uns als Träger ist das eine enorme Herausforderung. Es muss genügend Schutzmaterial wie Masken vorhanden sein, Desinfektionsmittel sowieso. Zudem werde zusätzliche Personalkraft gebraucht, um die Besuche zu organisieren. "Jemand muss die Treffen überwachen, die Besucher am Eingang abholen und wieder nach draußen begleiten", zählt Penther auf. Zudem müsse genau protokolliert werden, wer wann zu Gast war, um mögliche Infektionsketten verfolgen zu können. Der ASB-Chef fühlt sich derzeit von der Politik allein gelassen. "Es fehlen konkrete Vorgaben", kritisiert er. Zum Beispiel zur Besuchszeit. Ist eine halbe Stunde zu wenig, eine Stunde bereits zu viel? Alexander Penther fordert deshalb klare Leitlinien, die für alle Pflegeeinrichtungen gleichermaßen gelten.

Schwer erklärbar für Demenzpatienten

Quasi auf Abruf arbeitet auch die Diakonie in Dippoldiswalde, die das Altenpflegeheim „Johann Hinrich Wichern“ betreibt. "Wir denken von heute auf morgen", sagt Geschäftsführer Jörg Ihbe. In dem Heim sind bereits Besuche von Angehörigen im Garten möglich, die auch gut genutzt werden. Auch über zwei Balkone könnten Senioren und ihre Familien miteinander sprechen. Die soziale Isolation falle den Betroffenen schwer. "Den Bewohnern am meisten", sagt er. Nicht jeder sei geistig fit, um die Corona-Krise und ihre Auswirkungen zu verstehen. Vor allem dementen Menschen könne man kaum verständlich erklären, warum sie von ihren Angehörigen plötzlich nicht mehr direkt besucht werden. 

Jörg Ihbe kann der Situation dennoch etwas positives abgewinnen. Und die hängt mit dem Personal zusammen. Wegen Corona musste die Tagespflege der Dippoldiswalder Diakonie schließen. Die Mitarbeiter sind nun im Pflegeheim mit im Einsatz. "Mit dieser zusätzlichen Betreuung ist die Trennung ein bisschen besser zu bewältigen", sagt der Geschäftsführer.

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