SZ + Görlitz
Merken

Bleibt das Wolfszentrum in Görlitz?

Bis Ende August muss das geklärt werden. Die SZ gibt darum einen Überblick über die Arbeit der Forscher.

Von Irmela Hennig
 1 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Hermann Ansorge zeigt einen Wolfsschädel. Im Senckenberg Museum Görlitz wird nicht nur aufbewahrt - sondern geforscht und ein Netzwerk von Institutionen geleitet, das sich deutschlandweit mit dem Wolf befasst.
Hermann Ansorge zeigt einen Wolfsschädel. Im Senckenberg Museum Görlitz wird nicht nur aufbewahrt - sondern geforscht und ein Netzwerk von Institutionen geleitet, das sich deutschlandweit mit dem Wolf befasst. ©  Nikolai Schmidt

Manchmal hat Wolfsbeobachtung auch mit Fußballspielen zu tun. Hermann Ansorge vom Senckenbergmuseum für Naturkunde in Görlitz jedenfalls hat den Ball nach eigenen Worten abgegeben an Svenja Schulze. Die SPD-Politikerin ist Bundesumweltministerin und damit von Amts wegen Deutschlands oberste Wolfshüterin. Darum hat ihre Stimme auch Gewicht, wenn es um die Zukunft der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, kurz DBBW, geht. Die wurde 2016 offiziell eingerichtet, gefördert vom Bund.

Die Aufgabe: Sie soll dem Bund und den Ländern bei Fragen zum Raubtier Auskunft geben, Daten bundesweit sammeln, auswerten und öffentlich machen. Dafür entstand kein Neubau, es wurden auch nicht Dutzende Leute eingestellt. Gebildet wurde vielmehr eine Kooperation von Instituten, die sich ohnehin schon lange mit dem Wolf beschäftigen. Die Leitung liegt beim Senckenberg Museum in Görlitz und dessen Abteilungsleiter für Zoologie, Professor Hermann Ansorge. Zum 31. August 2019 läuft die Frist fürs Zentrum aus.

Auch das ist Wolfsforschung – bei Senckenberg in Görlitz werden die Häute toter Wölfe gesammelt.  Foto: Wolfgang Wittchen
Auch das ist Wolfsforschung – bei Senckenberg in Görlitz werden die Häute toter Wölfe gesammelt. Foto: Wolfgang Wittchen ©  Wolfgang Wittchen

Die SZ fasst zusammen, wie es dann weitergehen könnte und was das Zentrum konkret tut:

Fortsetzung folgt: Umweltministerin will mit Görlitz weitermachen

Die Lichter gehen nicht aus, wenn der Vertrag für die DBBW erst einmal ausläuft. Die Bundesländer hatten schon vor einem Jahr klar beschlossen, dass die Beratungsstelle bestehen bleiben soll. Mit wem als Partner und unter welcher Leitung, das ist aber noch offen. Bei einem Besuch in Görlitz lobte Bundesumweltministerin Svenja Schulze ausdrücklich die Arbeit des bisherigen Teams und sah „keinen anderen Plan, als den mit Görlitz“. Allerdings könne sie das nicht allein entscheiden, momentan laufen dazu Gespräche, so Schulze.

Großes Interesse: 500 000 Zugriffe auf die Internetseite des Wolfszentrums

73 Wolfsrudel, fünf Paare und zehn Einzeltiere mit festem Revier leben derzeit nachweislich in Deutschland. Bei 70 Rudeln wissen die Forscher, dass es Nachwuchs gegeben hat. Solche und andere Fakten rund um den Wolf sind auf der Internetseite der Dokumentations- und Beratungsstelle zu lesen. Dazu gibt es Karten und Bilder, die sehr beliebt seien, sagt Leiter Hermann Ansorge. Das Interesse an der Website sei groß. Allein im Mai gab es 500 000 Zugriffe.

Tote Wölfe: Elf Prozent der Tiere werden illegal getötet

Am 3. Juli wurde zuletzt ein toter Wolf gefunden, ein Welpe aus dem Rudel von Milkel, entdeckt im Landkreis Görlitz. Umgekommen ist er bei einem Verkehrsunfall. Um die Todesursache zu klären, werden Wolfs-Totfunde ans Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) nach Berlin gebracht. Das ist ein Partner der Dokumentations- und Beratungsstelle Wolf. Das IZW untersucht alle toten Wölfe aus Deutschland, um zu klären, woran sie gestorben sind. Laut den Daten des Instituts werden derzeit elf Prozent der tot aufgefundenen Wölfe illegal getötet. Die meisten werden abgeschossen, ein Tier sei absichtlich überfahren worden. „Wir finden aber auch immer wieder tote Wölfe, die bei einem Unfall oder natürlich gestorben sind. Wir stellen dann bei der Untersuchung aber fest, dass diese Tiere irgendwann zuvor mal angeschossen wurden“, sagt Claudia Szentiks, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Wölfe untersucht. Die letzte bekannte illegale Tötung gab es im Mai 2019 in Brandenburg.

Die Enzyme: Wölfe können schlechter Nudeln verdauen als Hunde

Manchmal helfen auch ungewöhnliche Erkenntnisse in Sachen Wolf weiter. Zum Beispiel die Tatsache, „dass Wölfe Nudeln schlechter verdauen können als Hunde“, sagt Carsten Nowak. Der Biologe leitet das Fachgebiet Naturschutzgenetik an der Außenstelle des Senckenberg-Forschungsinstituts im hessischen Gelnhausen. Dort werden genetische Spuren rund um den Wolf untersucht. Immer wieder fragen Wolfkritiker und auch Medien in dem Zusammenhang nach Wolf-Hund-Mischlingen, also Hybriden. Genetisch nachgewiesen, gab es das in Deutschland seit 1990 nur zweimal – in Sachsen und in Thüringen, so Carsten Nowak. Allerdings trauten manche Wolfsgegner der Genuntersuchung nicht. Darum hat das Gelnhausener Team die Wölfe auf ein bestimmtes Enzym hin untersucht. Das hilft, Stärke zu verdauen. Der Hund, der seit Jahrtausenden beim Menschen lebt und auch mehr von dessen Nahrung abbekommt, habe von diesem Enzym vier bis 20 sogenannte Kopien oder mehr. Die 222 untersuchten Wölfe besaßen nur eine oder zwei Kopien. Es gab lediglich einen Fall mit drei Kopien.

Eine wichtige Aufgabe der Genetiker ist es, zu klären, ob gerissene Haustiere vom Wolf oder von anderen Tieren getötet worden sind. Laut Carsten Nowak wurde im Schnitt bei etwa 60 Verdachtsproben der Wolf als Verursacher festgestellt. Bei 40 Prozent waren es Hunde, Füchse oder andere Tiere. Das Institut in Gelnhausen wird bei Rissen nur eingeschaltet, wenn es Unklarheiten bei der Begutachtung vor Ort gibt. Insgesamt haben die Gelnhausener bislang 12 000 Wolfsverdachtsproben analysiert. Pro Jahr seien es inzwischen rund 3 000. Dabei seien 57 Prozent der Proben Abstriche von gerissenen Nutztieren. Ansonsten werden zum Beispiel Kot, Fell und Blut betrachtet. „Im Zeitraum von 2000 bis 2017 haben wir 234 Würfe genetisch erfasst“, so Nowak. Also die Welpen. Die Genetiker konnten durch ihre Daten auch feststellen, dass ein in Dänemark aufgetauchter Wolf aus Deutschland stammt. Im letzten Beobachtungsjahr waren zwölf „Grenzwanderer“ bekannt geworden.

Weniger Wachstum: In der Lausitz wird die Wolfszahl nur wenig steigen

Ilka Reinhardt ist sich ziemlich sicher: „In der Lausitz wird die Zahl der Wölfe nicht mehr oder nur noch sehr wenig steigen“, sagt die Leiterin des Lupus-Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland. Auch Lupus gehört, wie die Genetiker aus Gelnhausen, zur DBBW. Die Mitarbeiter des Instituts sind diejenigen, die draußen unterwegs sind, um Wölfe zu beobachten, die Hinweise sammeln und Spuren nachgehen. Laut Ilka Reinhardt wächst die Population in Deutschland rasant um jährlich über 30 Prozent. „Das ist aber normal, so lange genügend freie und geeignete Flächen vorhanden sind. Dass der Wolf hauptsächlich Schafe und Ziegen fresse, lasse sich nicht belegen. In einer Studie seien über 3 500 Kotfunde in der Lausitz untersucht worden. In 1,01 Prozent der Fälle wurden Nutztiere als Nahrung ausgemacht. Hauptsächlich aber fressen die Wölfe Rehe, Rotwild und Wildschweine. In Skandinavien werden vor allem Elche gejagt. Anders sei die Situation in Teilen Südeuropas. In Westspanien ernähren sich Wölfe nahezu ausschließlich von Nutztieren, „weil dort keine Wildtiere mehr leben“, so Reinhardt. Ausgerottet wurden sie nach SZ-Recherchen vor allem durch die Jagd und durch Infektionskrankheiten.

1 / 5

Mehr lokale Artikel:

www.sächsische.de/goerlitz

www.sächsische.de/niesky

www.sächsische.de/loebau

www.sächsische.de/zittau