Merken

"Corona oder nicht, die Leute zählen auf uns"

Trotz Ansteckungsgefahr geben die Helfer der Gröditzer Tafel Lebensmittel an bedürftige Menschen heraus.

Von Jörg Richter
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ilona Urban hat die Gröditzer Tafel vor 15 Jahren gegründet und hilft nach wie vor ehrenamtlich mit.
Ilona Urban hat die Gröditzer Tafel vor 15 Jahren gegründet und hilft nach wie vor ehrenamtlich mit. © Sebastian Schultz

Gröditz. Kerstin Mittelstädt steht als Erste am Tor. Die schwangere Frau hat einen Fahrradanhänger mitgebracht, denn ihre beiden Einkaufstaschen möchte sie lieber nicht tragen. Das wäre nicht gut für das Baby, das sie erwartet. Hungern ist es auch nicht. Doch zum Glück gibt es die Gröditzer Tafel des hiesigen Arbeiter-Samariter-Bundes. "Sie ist richtig wichtig", sagt die arbeitslose Frau. "Das muss man echt zu schätzen wissen, was die Leute hier leisten. Das hilft ganz enorm." 

Auch die Menschen hinter ihr, die sich mit mehreren Metern Abstand einreihen, stimmen ihr zu. Für viele Bedürftige, die hier stehen, wäre es eine kleine Katastrophe, wenn die Tafel wegen Corona geschlossen hätte. Vor allem am Monatsende, wenn das wenige Geld, von dem sie leben müssen, bis auf ein paar wenige Euros ausgegangen ist. 

In anderen Städten sind die Tafeln schon geschlossen. Von den 42 sächsischen Einrichtungen, wo Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger kostengünstige Lebensmittel kaufen können, haben 13  bereits dicht gemacht. Also etwa ein Drittel. Deutschlandweit ist es fast jede zweite Tafel. 

Tafel-Leiter Sten Kunert reicht Kerstin Mittelstädt eine Stiege Obst.
Tafel-Leiter Sten Kunert reicht Kerstin Mittelstädt eine Stiege Obst. © Sebastian Schultz

Das ist schlecht für die Menschen dort, aber gut für die Leute in Gröditz.  Die Tische stehen voller Obst, Gemüse, Milchprodukte, Süßigkeiten und Backwaren. Von einem befürchteten Engpass ist hier nichts zu merken. "Zurzeit können wir uns nicht beklagen", sagt Sten Kuhnert, der Leiter der Gröditzer Tafel. Weil andere Tafeln zugemacht haben, ist das Angebot größer als sonst. Noch am Morgen hat er den Kuchen, der eigentlich für die Riesaer Tafel bestimmt war, von dort abgeholt.   

Zum Thema Coronavirus im Landkreis Meißen berichten wir laufend aktuell in unserem Newsblog.

An diesem Tag ist die Auswahl wirklich groß. "Das kann sich ganz schnell ändern", so Kuhnert. "Wenn einer von uns infiziert ist, müssen wir schließen." Diesmal helfen ihm zwei Buftis (Bundesfreiwilligendienst), ein Minijobber und vier ehrenamtliche Mitstreiter. Darunter sind mit Ilona Urban und Monika Schaffer auch zwei Rentnerinnen. Obwohl sie zur Risikogruppe gehören, wollen sie mitmachen. "Sie werden gebraucht", sagt Tatjana Welsch, Mitarbeiterin der ASB-Geschäftsstelle. 

Ilona Urban hatte im November 2005 die Gröditzer Tafel aus der Taufe gehoben. Sie ist seitdem mit Herz und Seele dabei. "Corona oder nicht, die Leute, die nicht viel haben, zählen auf uns", sagt sie. Viele seien dankbar, dass die Tafel trotz der widrigen Umstände geöffnet hat.

Carola Gnichwitz öffnet das Tor zum Hof der Gröditzer Tafel.
Carola Gnichwitz öffnet das Tor zum Hof der Gröditzer Tafel. © Sebastian Schultz

Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, gelten auch hier neue Regeln. Für die Tafelmitarbeiter sind Mundschutz und Handschuhe sind Pflicht. Und auch die Kunden wissen Bescheid. Infizierte dürfen nicht hierher. Die bedürftigen Menschen sollen sich vor dem Tor anstellen, mit genügend Abstand zueinander. Statt zweimal in der Woche wird jetzt nur noch freitags geöffnet. "Wir stellen eine Person ans Tor, die sie einzeln reinlässt. Das hatten wir vorher auch nicht", sagt Kuhnert. Diesmal ist es seine Schatzmeisterin Carola Gnichwitz. Sie kennt die meisten der Leute, die das Angebot der Gröditzer Tafel nutzen, mit Namen. Und sie weiß, "sie danken es auch einem".

Dass sich Menschen aus anderen Städten, wo die Tafeln bereits geschlossen sind, druntermischen, schließt Tatjana Welsch aus. "Wir gehen davon aus, dass die Leute ehrlich sind." Außerdem erhalten nur Menschen Zutritt, die einen Tafelausweis in der ASB-Geschäftsstelle beantragt haben. Für die Gröditzer Tafel sind 85 Haushalte mit insgesamt 181 berechtigten Personen gemeldet. Nicht alle nehmen das Angebot jedes Mal wahr. Gewöhnlich sind es um die 30 Leute. "Wir hatten auch schon 46", berichtet Mitstreiterin Ute Haupt.  

Die ehrenamtlichen Helfer legen den Mundschutz an. Hygiene und Sicherheit haben oberste Priorität.
Die ehrenamtlichen Helfer legen den Mundschutz an. Hygiene und Sicherheit haben oberste Priorität. © Sebastian Schultz

"Aber ohne die vielen Spender geht es gar nicht", sagt Kuhnert. Brot, Brötchen und Kuchen spenden die Bäckereien Raddatz aus Gröditz, Sachse aus Lichtensee und Pförtner aus Saathain. Viele Lebensmittel stammen von den hiesigen Einkaufsmärkten Rewe, Aldi, Netto und Lidl. Und auch der Geflügelhof Großenhain und der Radeburger Rewe, sind immer ansprechbar, wenn es darum geht, den Ärmsten der Armen in Gröditz und Umgebung zu helfen. "Sie helfen alle mit", sagt Kuhnert. - Sie alle sind in diesen Tagen Corona-Helden. Genauso wie die Helfer der Gröditzer Tafel. 

Sie möchten auch einen #CoronaHeldenSachsen vorschlagen? Dann schreiben Sie uns an [email protected].