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Die Auferstehung des Lugsteinhofs

Die Staatssicherheit ging unter, doch ihr Ferienheim lebte weiter – mit einem Namen, der vielen bekannt vorkam.

Von Jörg Stock
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Erfolgsgeschichte auf 900 Höhenmetern: Das Hotel Lugsteinhof alias MfS-Ferienheim „Am Lugstein“ ist seit seiner Eröffnung 1978 ununterbrochen in Betrieb.
Erfolgsgeschichte auf 900 Höhenmetern: Das Hotel Lugsteinhof alias MfS-Ferienheim „Am Lugstein“ ist seit seiner Eröffnung 1978 ununterbrochen in Betrieb. © Egbert Kamprath

Es ist die letzte Notiz, die sich in den Akten der Staatssicherheit zum Thema „Lugstein“ findet: In einem Rundschreiben an alle Diensteinheiten drängt Oberst Erich Schwager am 9. Januar 1990 darauf, sämtliche Objekte der mittlerweile in Amt für Nationale Sicherheit, AfNS, umbenannten Geheimpolizei dem Verfassungsschutz der DDR zu melden, inklusive der „Art bisheriger Angriffe gegen das Objekt“, Kapazität, Betriebsaufwand und Vorschlag der künftigen Nutzung. Schwager ist an den Plänen zur Auflösung des AfNS maßgeblich beteiligt. Sein Ziel: Geeignete Häuser, besonders die Ferienheime, mit Mann und Maus in eine zivile Zukunft zu führen.

Der „Lugstein“ in Zinnwald ist zu diesem Zeitpunkt schon etwas in die Jahre gekommen. Geländer sind verbeult, das Garagendach ist leck, Korrosion nagt an den Leitungen des Schwimmbads. Doch noch immer zählt das Haus zu den am besten ausgestatteten Ferienheimen im Osterzgebirge. Bäder auf den Zimmern statt auf der Etage sind damals Luxus. Oberleutnant Rainer Förster ist der Heimleiter in Zinnwald. Was aus seinem Haus werden soll, weiß er in diesen wirren Tagen nicht. Seine Vorgesetzten in der Dresdner AfNS-Bezirksverwaltung haben auch keinen Plan. „Die sagten zu uns: Macht erst mal weiter.“

Die Stasiheime haben neue Herren, schreibt die SZ am 7. Februar 1990. Der „Lugstein“ wird dem Feriendienst des FDGB übergeben. 
Die Stasiheime haben neue Herren, schreibt die SZ am 7. Februar 1990. Der „Lugstein“ wird dem Feriendienst des FDGB übergeben.  © Archivverbund Pirna

Rainer Förster spürt damals eine „ganz blöde Stimmung“ in der Belegschaft. Jeder, vom Hausmeister bis zum Leiter, ist pro forma ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Staatssicherheit, trägt einen militärischen Dienstgrad. Förster fürchtete, dass der Zorn auf die Stasi bis in den „Lugstein“ durchschlägt, dass er seine Leute trifft, womöglich auch seine Familie, seine Kinder. „Ich fragte mich, was sie jetzt mit uns machen werden, ob sie uns verteufeln.“

Es bleibt bei dem mulmigen Gefühl. Anfeindungen oder gar Übergriffe erlebt Rainer Förster nicht im „Lugstein“. Vermutlich deshalb nicht, weil das Haus, trotz seiner Abschottung, irgendwie doch mit dem Dorf verwachsen ist. Fahrzeuge des Ferienheims transportieren für die Gemeinde und für Privatleute Baustoffe, kutschieren Rentner oder Schulkinder zu Ausfahrten. Im Winter rollt die Schneefräse der Stasi auch auf kommunalen Straßen. Einer hat die Technik, der andere den Sprit. Man hat nicht lange gefragt, sondern gemacht, sagt Rainer Förster. „Wir hatten keinen schlechten Stand im Ort.“

„Eine ganz blöde Stimmung.“ Rainer Förster erlebte als letzter MfS-Heimleiter die Wende im „Lugstein“. Hotelier blieb er bis heute. 
„Eine ganz blöde Stimmung.“ Rainer Förster erlebte als letzter MfS-Heimleiter die Wende im „Lugstein“. Hotelier blieb er bis heute.  © Daniel Schäfer

Der Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB, die „Urlaubsmaschine“ der DDR, übernimmt den „Lugstein“. Er gehört nun zur Regionalgruppe „Feriendienst Osterzgebirge“, die in der Gegend 16 Häuser verwaltet. Bereichsleiter ist Jochen Löbel, Erzgebirgler und bis vor Kurzem noch Hauptmann der Grenztruppen. Er hat sich eigentlich als Techniker beworben. Der Zufall will es, dass er gleich am ersten Tag Ferienheimmanager wird. Alles ging holterdiepolter in jener Zeit, sagt er heute. Sein Talent zur Organisation und zur Menschenführung, als Offizier erprobt, half ihm, Herr der Lage zu bleiben.

Der Feriendienst verkauft auch 1990 weiter Ferienschecks und beschafft sich somit die Gäste für seine Heime selbst. Der Staat schießt Geld zu. So bleiben die Urlaubsplätze weitaus billiger als eine Reise in die neu gewonnene Freiheit. Viele Ferienheime ändern ihre Namen. Kommunisten wie Otto Buchwitz und Arno Lade, Paten der Erholungsheime in Schellerhau und Bärenburg, sind nicht mehr gefragt. Im Februar 1990 lobt das Gewerkschaftsreisebüro Osterzgebirge einen Ideenwettbewerb für neue Namen aus.

Brennt für seinen Job: Jochen Löbel ist seit 25 Jahren Direktor des Hotels Lugsteinhof. „Man muss sich auf diese Landschaft einlassen.“ 
Brennt für seinen Job: Jochen Löbel ist seit 25 Jahren Direktor des Hotels Lugsteinhof. „Man muss sich auf diese Landschaft einlassen.“  © Frank Baldauf

Obwohl ausgerechnet das einstige MfS-Heim ganz unideologisch „Am Lugstein“ heißt, wird es umbenannt, in Lugsteinhof. Ein Berghotel dieses Namens, errichtet von dem Architekten Richard Dolze, hatte einst am Platz des „Lugstein“ gestanden und war von der Stasi für den Neubau abgerissen worden. Treppenwitz der Geschichte: Den 1. Preis des Wettbewerbs gewinnt ausgerechnet Richard Dolzes Tochter Elfriede Gerlach. Sie wird für ein Wochenende samt Begleitung in den neuen alten „Lugsteinhof“ eingeladen.

Trotz des frischen Namenszugs: Der Lugsteinhof hat es schwer. Das MfS gibt es nicht mehr, und damit auch keine Scheck-Urlauber. Die Auslastung ist weit niedriger als in den traditionellen Gewerkschaftshäusern, liegt im September 1990 bei etwa 30 Prozent. Auswärtige Gäste kommen kaum. Und die Einheimischen essen und trinken jenseits der Grenze, bei den Tschechen, wo sie dank D-Mark in der Tasche ein großes Bier für 33 Pfennige kriegen. Einzig das Schwimmbad des Lugsteinhofs, weitgehend konkurrenzlos, wird gut besucht.

Anfang 1991 passiert der Gau: Der Feriendienst ist pleite, die Heime sind auf sich gestellt: Entweder irgendwie überleben oder die Schlüssel zur Treuhand bringen. Die Bob-Weltmeisterschaft, die im Februar im Kohlgrund bei Altenberg ausgetragen werden soll, ist der Strohhalm, an den sich alle klammern. Weil es in der Gegend keine Hotels gibt, nur Ferienheime, müssen die Teams und Offiziellen sowieso dort einquartiert werden. Die WM mit retten will damals auch Rainer Förster. Doch sein Lugsteinhof läuft auf Sparflamme. „Ich brauchte erst mal ein paar Kohlen.“ Letztlich gelang es ihm, das Pressezentrum bei sich unterzubringen.

Ein Ideenwettbewerb machte aus dem Ferienheim „Am Lugstein“ den Lugsteinhof. Heute ist „Lugi“ das Maskottchen des Hauses. 
Ein Ideenwettbewerb machte aus dem Ferienheim „Am Lugstein“ den Lugsteinhof. Heute ist „Lugi“ das Maskottchen des Hauses.  © Frank Baldauf

Etwa um die gleiche Zeit bekommt Rainer Förster neue Chefs. Die Treuhand hat den Lugsteinhof an die thailändische Hotelkette Euro Mill verpachtet. Förster muss grinsen, wenn er an den Moment denkt, als die Nachricht bei der Belegschaft bekannt wurde. Das englische Wort Mill falsch ausgesprochen, glaubt man, an einen Müll-Entsorger geraten zu sein. Unter der neuen Führung beginnt die massive Werbung um Touristen in Westdeutschland. Auf allen Messen erklärt man den Leuten, dass es ein Urlaubsgebiet namens Osterzgebirge gibt. Und nicht umsonst. „Ein großer Veranstalter nach dem anderen hat seine Busse zu uns geschickt“, sagt Rainer Förster. „Aber es war sehr mühevoll.“ 1992 verlässt er den Lugsteinhof und geht seine eigenen Wege in der Hotellerie.

Euro Mill verdient Geld mit den Ferienheimen im Osterzgebirge. Aber investiert wird nicht. Jochen Löbel, inzwischen Regionaldirektor, kritisiert das. Im Herbst 1994 wird er gefeuert. Zu diesem Zeitpunkt untersteht ihm der Lugsteinhof schon nicht mehr. Die Geschwister Vera und Konrad Kadletz haben das Haus von der Treuhand gekauft, für 3,3 Millionen D-Mark. Ihr Opa, Josef Kadletz, hatte den alten Lugsteinhof in den 1920ern und 1930ern zur Blüte geführt. Die Verbundenheit mit dem Werk des Großvaters war entscheidend beim Kauf, sagt Konrad Kadletz, nicht etwa der Triumph über den SED-Staat, der dieses Werk zerstört hatte. Man habe ja letztlich den Schwarzen Peter gezogen, sich hoch verschuldet, um zu investieren, sieben Millionen Euro insgesamt. Noch immer sind nicht alle Schulden abbezahlt.

Am 1. November 1994 wurde der bei Euro Mill geschasste Jochen Löbel Direktor bei den Kadletzens im Lugsteinhof. An seinem ersten Arbeitstag, das weiß er noch wie heute, herrschte dicker Nebel, der vier Wochen lang klebenblieb. Das Wetter hat sich seither wenig geändert am Lugstein. Und Jochen Löbel, jetzt 62, ist immer noch der Chef im Lugsteinhof, 25 Jahre nun schon. Wie schafft man das? Indem man sich einlässt auf die Landschaft, sagt er, und auf die Leute. Man muss diesen Job nicht nur machen, man muss ihn leben. „Man muss dafür brennen.“

Damit ist die „Akte Lugstein“ geschlossen. Doch nicht für immer. In Kürze erscheint die Serie als Sammelband.